Infantiles Hämangiom: Leitlinie gibt konkreten Therapierahmen vor

Dr. Susanne Gallus

Infantile Hämangiome entstehen durch Proliferation von Endothelzellen. Infantile Hämangiome entstehen durch Proliferation von Endothelzellen. © Science Photo Library/JOSE CALVO

Zwar ist nur ein geringer Teil der infantilen Hämangiome therapiebedürftig, doch sollte in diesen Fällen nicht lange gewartet werden. Die leitliniengerechte Behandlung startet bereits im zweiten bis fünften Lebensmonat.

Generell durchlaufen infantile Hämangiome drei Phasen. Durch starke Proliferation findet zunächst das Wachstum statt. Dieser Prozess endet meist nach dem sechsten bis neunten Lebensmonat. Darauf folgen Übergangs- und Involutionsphase. Letztere kann sich je nach Größe des Hämangioms über acht bis zehn Jahre ausdehnen.

Hämangiome richtig einordnen

Während sich die kleinen kutanen Vertreter der benignen Tumoren i.d.R. wieder komplett zurückbilden, bleiben bei größeren in mehr als der Hälfte der Fälle Residuen zurück. Dies ist vor allem bei komplizierten Hämangiomen der Fall, schreiben die Autoren der neuen S2k-Leitlinie zum infantilen Hämangiom im Säuglings- und Kleinkindesalter unter der Leitung von Privatdozentin Dr. Bettina Lange von der Universitätsmedizin Mannheim. Als kompliziert wird der Blutschwamm eingestuft, wenn er

  • zu funktionellen Beeinträchtigungen oder Ulzerationen führt,
  • mit weiteren Komplikationen wie sekundärer Hypothyreose und extrakutanen Manifestationen oder Fehlbildungen verbunden ist bzw.
  • für eine langfristige ästhetische Beeinträchtigung sorgt.

Differenzialdiagnostisch gilt es, andere vaskuläre Tumoren oder Malformationen auszuschließen. Für Letzteres sprechen z.B. Vorhandensein schon bei der Geburt und nur langsames, aber stetiges Wachstum in den ers­ten Monaten.

Differenzialdiagnosen

Vaskulärer Tumor (v.a. bei ausgeprägten Gefäßveränderungen bei Geburt):
  • kongenitales Hämangiom
  • Granuloma pyogenicum
  • kaposiformes Hämangioendotheliom
Nicht-vaskuläre Raumforderung:
  • Dermoidzyste
  • nasales Gliom
  • Myofibrom
  • Sarkom
Vaskuläre Malformation:
  • arteriovenöse, venöse, lymphatische, kapilläre oder kombinierte Malformation des Gefäßsystems
  • assoziierte Syndrome wie Sturge-Weber oder Proteus
Immunhistologisch kann zur Abgrenzung die GLUT1-Expression im Gewebe herangezogen werden. Im Gegensatz zu den o.g. Gefäßtumoren ist Gewebe des infantilen Hämangioms GLUT1-positiv.

Wenn sich ein Blutschwamm bei der Erstvorstellung nicht eindeutig zuordnen lässt, wird zu einer engmaschigen Beobachtung mit regelmäßigen klinischen Kontrollen inkl. (Duplex-)Sono geraten. Eine Sonderstellung nehmen multifokale infantile Hämangiome mit und ohne extrakutane Beteiligung (Leber, Hirn, Lunge und oder Gastrointestinaltrakt) ein. Diese bleiben zwar klein, können aber bis über das erste Lebensjahr hinaus neu auftreten. Bei ihnen sollte die Diagnostik um Echokardiographie und Serum-TSH-Bestimmung ergänzt werden. Eine zusätzliche Sonographie wird außerdem u.a. bei lumbosakralen, subkutanen und segmentalen infantilen Hämangiomen empfohlen sowie bei solchen an komplizierten Regionen wie Kinn, vorderer Hals und Auge.

Wie therapieren?

Therapeutisch lassen sich drei Ziele definieren:
  • früher Wachstumsstopp und Beschleunigen der Rückbildung des Hämangioms
  • Prävention von Einschränkungen (funktionell und ästhetisch)
  • Abheilen von Ulzerationen (z.B. im Anogenitalbereich oder in intertriginösen Regionen)
Die Therapie von Hämangiomen sollte möglichst bereits in der Wachstumsphase, d.h. im zweiten bis fünften Lebensmonat des Patienten, beginnen. Ist das Wachstum des Tumors abgeschlossen, kann man abwarten – es sei denn, es sind Ulzerationen zu befürchten.

Steckbrief infantiles Hämangiom

  • proliferierender benigner Gefäßtumor, der kutan, subkutan oder als Mischform vorkommen kann
  • tritt bei 4–5 % aller Säuglinge auf
  • betrifft meist Kopf- und Halsregion
  • wird typischerweise erst postpartal in den ersten Tagen/Wochen sichtbar (imponiert bei der Geburt nie als Tumor)
  • in ca. 90 % der Fälle lokalisiert, scharf begrenzt und von einem zentralen Fokus ausgehend
  • Wachstum in den ersten Lebensmonaten schnell, danach langsam mit späterer Regression
  • Risikofaktoren: weibliches Geschlecht, helle Hautfarbe, Frühgeburt mit Geburtsgewicht < 1000 g

Mittel der Wahl sowohl für kutane als auch für extrakutane Häm­angiome ist systemisches Propranolol. Fallserien belegen zwar für Nadolol und Atenolol eine ähnliche Wirksamkeit, beide sind jedoch aufgrund fehlender klinischer Studien nicht für diese Indikation zugelassen. Gleiches gilt für die topische Anwendung der Betablocker. Eine Kryotherapie eignet sich nur für kleine kutane Hämangiome (< 1 cm), kann allerdings zu Narbenbildung und Hypopigmentierung führen und wird deshalb nicht mehr regelhaft angewendet. Systemische Steroide sollten heutzutage nur noch bei Therapieversagen und akut lebensbedrohlichen Zuständen gegeben werden, z.B. bei drohender Obstruktion der oberen Luftwege. Gegebenenfalls kann man sie auch mit Propranolol kombinieren. Bei Therapiebeginn in den ers­ten sechs Monaten erzielt die Monotherapie mit Propranolol, verfügbar beispielsweise als Saft, laut Studienergebnissen Ansprechraten von 98 %. Allerdings sollte auch bei gesunden Säuglingen vor der Behandlung per EKG eine angeborene Herz-Kreislauf-Erkrankung ausgeschlossen werden. Insbesondere bei Kindern mit relevanten kardialen oder respiratorischen Begleiterkrankungen bzw. assoziierten Fehlbildungen sollte die Therapieeinstellung stationär erfolgen. Gleiches gilt für Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen sowie bei Frühchen mit einem korrigierten Alter < 8 Wochen. Die Therapie bei Kindern, die jünger als fünf Wochen (korrigiertes Alter) sind, erfolgt off label.

Nebenwirkungen der Therapie sind i.d.R. passager

Die Einstellung erfolgt in der Regel von 1 mg/kgKG/d auf eine Zieldosis von 2(–3) mg/kgKG/d, verteilt auf zwei bzw. drei Einzeldosen. Die Aufdosierungsintervalle richten sich danach, ob die Therapie ambulant (wöchentliche Abstände) oder stationär (tägliche Steigerung) eingeleitet wird. Alle vier Wochen sollte die Wirkstoffmenge an das Körpergewicht des Patienten angepasst werden. Bei knapp jedem dritten Kind kann es durch die Therapie zu passageren Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, kalten Extremitäten oder Durchfall kommen. Dies ist insbesondere bei sehr jungen Patienten (< 3 Monate) der Fall. Für einen negativen Einfluss auf die psychische beziehungsweise kognitive Entwicklung der Kinder gibt es bislang keine Belege – auch wenn Propranolol die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann. Nach Ende der Gabe kommt es bei 15–20 % der Behandelten zu einem kurzzeitigen Rebound. Darauf sollte man die Eltern im Voraus hinweisen. Risikofaktoren sind weibliches Geschlecht, subkutan-kutane Hämangiom-Mischformen und eine zu kurze Therapiedauer (< 6 Monate). Präventiv wird daher die Behandlung oft bis auf zwölf Monate verlängert. Bleiben funktionell bzw. ästhetisch einschränkende Überbleibsel bis über das vierte Lebensjahr hinaus erhalten, können diese z.B. mittels Laser- oder Blitzlampentherapie angegangen werden. Bei Narben, Gewebeüberschuss oder Asymmetrien kommt ggf. eine chirurgische Korrektur infrage. Hämangiom und Therapiespuren sollten bis zur Einschulung des Kindes beseitigt worden sein, heißt es in der Leitlinie.

Quelle: S2k-Leitlinie Infantile Hämangiome im Säuglings- und Kleinkindesalter, AWMF-Register-Nr. 006/100, www.awmf.org

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Infantile Hämangiome entstehen durch Proliferation von Endothelzellen. Infantile Hämangiome entstehen durch Proliferation von Endothelzellen. © Science Photo Library/JOSE CALVO