Nicht immer reicht ein halbes Jahr

Dr. Susanne Gallus und Lukas Koch

Vor allem an sichtbaren Stellen besser nicht versprechen, dass alles ohne Residuen abheilt. Vor allem an sichtbaren Stellen besser nicht versprechen, dass alles ohne Residuen abheilt. © Anna Silverthorn – stock.adobe.com

Infantile Hämangiome bilden sich in vielen Fällen von selbst zurück. Dennoch kommt man um eine Therapie manchmal nicht herum. Doch wie lange behandeln? Experten empfehlen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren – je nach Ausprägung.

Etwa bei 10 % der reif geborenen Kinder entwickelt sich im Laufe der ersten Lebenswochen ein infantiles Hämangiom, bei Frühgeborenen betrifft es jedes dritte Baby. Trotz primär unkomplizierten Verlaufs und Rückbildung während der Involutionsphase bleiben in über der Hälfte der Fälle Residuen zurück, betonte PD Dr. Hagen Ott vom Fachbereich Pädiatrische Dermatologie und Allergologie des Kinder- und Jugendkrankenhauses Auf der Bult, Hannover. Dazu gehören: Teleangiektasien, seltener Anetodermie und fibrolipomatöses Restgewebe. „Wir sollten also im Elterngespräch vorsichtig sein und nicht initial suggerieren – mit dem Wissen, dass 90 % der infantilen Hämangiome unkompliziert sind –, dass sich das Ganze schon wieder von selbst erledigen wird.“

Bevor man die Diagnose stellt und evtl. bei einer behandlungsbedürftig erscheinenden Läsion eine Therapie in die Wege leitet, müssen benigne vaskuläre Tumoren von malignen sowie vaskulären Malformationen differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden. Auch die Trennung zwischen infantilen und kongenitalen Hämangiomen ist wichtig, da Propranolol bei letzteren nicht wirkt.

Kongenital vs. infantil

Im Gegensatz zu infantilen Hämangiomen treten kongenitale schon bei Geburt oder präpartal in Erscheinung, sind meist solitär und haben andere Wachstumsverläufe. Ein weiterer Unterschied zeigt sich zudem histopathologisch: Infantile Hämangiome sind durch die Expression von GLUT-1 charakterisiert. Bei kongenitalen Hämangiomen spielt der Glukosetransporter-1 keine Rolle. Sie beruhen auf somatischen Mutationen in Genen, die für Wachstum und Entwicklung von Gefäßzellen kodieren (GNA11, GNAQ).

Hinsichtlich der Entscheidung, welche Tumoren in der Praxis betreut werden können und wann besser ein spezialisierter Kollege eingreifen sollte, hilft der Infantile Hemangioma Referral Score.1 Der zweistufige Triage-Algorithmus identifiziert diejenigen Fälle, bei denen es zu Komplikationen (z.B. Ulzeration) und/oder zu einer unvollständigen Regression mit ästhetischen Beeinträchtigungen kommen kann. Das Kontrollintervall sollte dem Lebensalter des Kindes – ausgedrückt in Monaten – in Wochen entsprechen. „Der zwei Monate alte Säugling sollte also nach 14 Tagen wieder gesehen werden“, so Dr. Ott.

Notfall Ulzeration

In der Regel sind die Ulzera vor allem schmerzhaft, insbesondere bei Läsionen in der Windelregion. Zwar sind Infektionen nicht häufig, dennoch sollte man auf Anzeichen achten. Dass das Kind nachts verbluten könnte, ist dagegen eine in der Regel unbegründete Angst vieler Eltern, betont der Experte. Blutbeimengungen z.B. in der Windel treten bei etwa der Hälfte der Ulzerationen auf, in 97 % der Fälle sind sie aber gering. Ist die Anamnese in dieser Richtung leer, brauchen sich Eltern also keine Sorgen zu machen. Ebenfalls erwähnt werden sollte, dass die Abheilung mitunter ein bis zwei Monate dauern kann, der Median lag in einer Studie bei sechs Wochen. Interessant war allerdings, dass in der Studie diejenigen Kinder, die eine Propranololtherapie mit ≤1 mg pro kgKG erhielten, eine schnellere Abheilung zeigten als die mit 2 oder 3 mg. „Deswegen würden wir in Zukunft, wenn die antiproliferative Komponente nicht im Vordergrund steht (und wir also keine funktionelle Beeinträchtigung durch den raumfordernden Tumor haben), sondern eine ulzerierte Plaque, das Propranolol niedrig dosiert einsetzen und zusätzlich ein Wundmanagement durchführen“, so Dr. Ott.

Wenn ein infantiles Hämangiom ulzeriert, tut es das – warum genau bleibt ungeklärt – median im vierten Lebensmonat.2 „Eigentlich in einer Zeit, von der wir den Eltern suggeriert haben, dass da das meiste Wachstum und die größte Problematik schon vorbei sei“, führt der Experte aus. Auch darauf müsse bei Säuglingen mit Hämangiomen in Prädilektionsarealen (Körperfalten, Anogenitalregion usw.) frühzeitig hingewiesen werden. Ein Sechstel dieser Patienten werde sogar erst nach dem ersten Lebenshalbjahr symptomatisch.

Wenn Tumoren nur kurz aufhören zu wachsen

In manchen Fällen kommt es, auch nach einer Propranololtherapie, später zu einem erneuten Wachstum der Hämangiome, z.T. jenseits des dritten Geburtstags, so dass der Betablocker wieder angesetzt werden muss. Das Ansprechen scheint diesbezüglich nicht abzunehmen, gab der Experte Entwarnung. Um langwierige Behandlungen zu vermeiden, sei aber bei älteren Kindern auch eine Laserbehandlung denkbar­. In der Regel hört man gemäß Fachinformation nach sechs Monaten mit der Propranololtherapie auf. Tumoren z.B. mit hohem Rebound-Risiko machen aber ggf. ein Abweichen von diesem Schema erforderlich. Meist handelt es sich um Hämangiome im Kopf-Hals-Bereich mit tiefem subkutanem Anteil und solche, die die Patienten bei Rebound oder Persis­tieren kosmetisch extrem beeinträchtigen (beispielsweise an Nasenspitze, Lid, Lippen, Parotisregion), sowie große und/oder segmentale Läsionen. Liegen solche Risikofaktoren vor, „ist es sinnvoll, schon im Erstgespräch mit den Eltern zu diskutieren, dass wir wahrscheinlich länger als sechs Monate, z.B. mindestens bis zum ersten Geburtstag, behandeln wollen und müssen“. Eine aktuelle Studie3 zeige sogar, dass Gesichtshämangiome eigentlich bis zum 24. Monat behandelt werden sollten. Diese Fälle bespreche man aber besser mit Experten aus einem spezialisierten Zentrum.

Vorsicht mit pauschalen Therapieaussagen

Wie lange tatsächlich behandelt wird, bleibt für jeden Patienten individuell zu entscheiden. Was man laut Dr. Ott im Gespräch mit den Eltern immer vermeiden sollte, ist die Aussage, dass die Therapie nach sechs Monaten in jedem Fall beendet sei. Nicht vergessen dürfe man bei einem segmentalen Tumor außerdem die Diagnostik zur Abschätzung eines PHACE-Syndroms (Angio-cMRT, Herz-Echo oder ggf. Herz-MRT, Funduskopie und weitere klinische Untersuchungen) vor der Therapie.

Quellen:
1. Léauté-Labrèze C et al. Pediatrics 2020; 145:e20191628; DOI: 10.1542/peds.2019-1628
2. Fernández Faith E et al. JAMA Dermatol 2021; 157:566-572; DOI: 10.1001/jamadermatol.2021.0469
3. Schmid F, Hoeger PH. J Am Acad Dermatol 2021; S0190-9622(21)02744-4; DOI: 10.1016/j.jaad.2021.10.054

Kongressbericht: 15. Dermatologie-Update-Seminar

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Vor allem an sichtbaren Stellen besser nicht versprechen, dass alles ohne Residuen abheilt. Vor allem an sichtbaren Stellen besser nicht versprechen, dass alles ohne Residuen abheilt. © Anna Silverthorn – stock.adobe.com