Kalzium außer Kontrolle

Dr. Sonja Kempinski

Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher einen rekombinanten PTH. Aufgrund von Herstellungsproblemen wurde das Präparat vom Markt genommen. Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher einen rekombinanten PTH. Aufgrund von Herstellungsproblemen wurde das Präparat vom Markt genommen. © PH-HY – stock.adobe.com

Die Kalziumhomöostase ist ein fein eingespielter Regelkreis. Funkt etwas dazwischen, drohen Krampfanfälle, Herzrhythmusstörungen oder Koma. Das Parathormon hilft bei der Abklärung. Korrigiert wird je nach Ursache.  

Etwa ein Kilogramm Kalzium befindet sich im Körper eines Erwachsenen. 99 % davon verleihen Zähnen und Knochen Stabilität. Der Rest dient intra- und extrazellulären Prozessen, wobei konstante Serumkonzentrationen erforderlich sind. Doch Abweichungen von der Kalziumhomöostase sind durchaus häufig, schreibt Prof. Dr. Markus Ketteler, Robert Bosch Krankenhaus in Stuttgart.

So lässt sich bei Blutentnahmen im Krankenhaus bei etwa jedem 100. Patienten eine Hyperkalzämie (Gesamtkalzium > 2,65 mmol/l) nachweisen. Klinisch bemerkbar macht sich diese allerdings nur, wenn sie ausgeprägt ist. Dann treten Symptome wie Muskelschwäche, Ängstlichkeit, Depressionen und kognitive Dysfunktionen auf, manchmal kommt es auch zu Delir oder Koma. 

90 % der Hyperkalzämien beruhen auf einem Hyperparathyreoidismus (HPT) oder einer Tumorerkrankung, für die restlichen Fälle kommen verschiedene weitere Auslöser infrage (s. linker Kasten oben). Zur Differenzialdiagnose hilft das Labor weiter. Bei erhöhtem Gesamtkalzium sollte die Hyperkalzämie zunächst durch Bestimmung des ionisierten Kalziums bestätigt werden. Alternative ist die Korrektur anhand des Serumalbumins*. Bleibt der Kalziumwert pathologisch, folgt zur Klärung der Ätiologie die Messung des Parathormons (PTH). 

Notfall hyperkalzämische Krise

Bei einem Serumkalzium über 3,5 mmol/l und assoziierten Symptomen liegt eine hyperkalzämische Krise vor. In diesem Fall muss parallel zur Volumenexpansion Calcitonin s.c. oder i.m. verabreicht werden. Es hemmt die Osteoklasten innerhalb von vier bis sechs Stunden und kann alle sechs bis zwölf Stunden wiederholt verabreicht werden. Zu beachten ist, dass Calcitonin nach etwa zwei Tagen aufgrund einer Rezeptor-Down-Regulation unwirksam wird. Parenterale Bisphosphonate wirken erst nach etwa 24 h, Denosumab braucht mit vier bis zehn Tagen noch länger für einen Effekt. Glukokortikoide sind Mittel der Wahl, wenn die hyperkalzämische Krise durch Vitamin-D-Überdosierung oder granulomatöse Erkrankungen ausgelöst wurde.

Bei hochnormalem oder erhöhtem PTH differenziert die Kalziumkonzentration im 24h-Sammelurin zwischen primärem HPT (Kalzium > 200 mg/d) und familiärer benigner hypokalziurischer Hyperkalzämie (FHH, Kalzium < 100 mg/d). Ist das PTH erniedrigt, sind weitere Laboruntersuchungen angezeigt. 

Zwischen Überdosierung und Erkrankung unterscheiden

Bei Normalbefunden von Vitamin D bzw. dessen Metaboliten und bei gesteigertem PTHrp (Parathormon verwandtes Peptid) muss man auf Tumorsuche gehen. Eine Erhöhung von 25D ist Hinweis auf eine Vitamin-D-Überdosierung. Zu viel 1,25D spricht für eine Erkrankung wie Sarkoidose, Tbc oder Lymphom.

Die Behandlung der Hyperkalzämie hängt von deren Ausmaß ab. Ist sie leicht bis moderat, soll zunächst die Ursache therapiert werden, außerdem sind kalzitrope Medikamente wie Vitamin-D-Derivate abzusetzen. Eine schwere Hyperkalzämie erfordert eine forcierte Diurese mit isotonischer Kochsalzlösung. Ist dies aufgrund von Herzinsuffizienz oder Nierenversagen nicht möglich, sind Hämo- und Peritonealdialyse eine Option.

Ursachen für Hyperkalzämie

  • primärer Hyperparathyreoidismus
  • Tumorerkrankungen (z.B. Knochenmetastasen, Plasmozytom)
  • genetische Ursachen
  • Medikamente (Thiazide, Lithium, Teriparatid)
  • schwere Hypervitaminose A
  • protrahierte Immobilisation

Je nach Fall verabreicht man begleitend kalzitrope Medikamente wie z.B. Calcitonin, das die Osteoklasten hemmt und die Kalziumausscheidung fördert. Tumorassoziierte Hyperkalzämien sprechen langfristig gut auf Antiresorptiva wie Bisphosphonate und Denosumab an. Bei granulomatösen Erkrankungen werden meist Glukokortikoide eingesetzt. Sie hemmen die endogene Vitamin-D-Aktivierung und die Kalziumaufnahme im Darm.

Wurde ein primärer HPT oder ein Nebenschilddrüsenkarzinom diagnostiziert, kann das Kalzium längerfristig mit dem Kalziummimetikum Cinacalcet gesenkt werden. Dies gilt vor allem bei moderater Hyperkalzämie und asymptomatischen Verläufen. Ansonsten besteht die kausale Therapie aus einer chirurgischen Parathyreoidektomie.

Hypokalzämien (Serumkalzium < 2,2 mmol/l) sind häufiger als Hyperkalzämien. Sie entstehen meist durch einen PTH-Mangel, dem zu 75 % eine Parathyreoidektomie zugrunde liegt. Zweithäufigste Ursache ist ein Vitamin-D-Mangel. Seltener kommt es durch genetische, autoimmune oder septische Faktoren dazu (s. rechter Kasten oben). Leichte Hypokalzämien sind in der Regel asymptomatisch. Sinkt der Kalziumwert aber deutlich ab, kommt es zu Missempfindungen in den Fingerspitzen und perioral, tetanische Krampfanfälle sind möglich. Bei Verdacht helfen Trousseau- und Chvostek-Zeichen weiter. Immer soll ein EKG geschrieben werden, da bei Hypokalzämien Herzrhythmusstörungen drohen (QT-Verlängerung).

Ursachen für Hypokalzämie

  • Hypoparathyreoidismus
  • Vitamin-D-Mangel
  • Niereninsuffizienz
  • autoimmune polyglanduläre Syndrome
  • genetische Ursachen (Parathyreoideahypoplasie, autosomal-dominante Hypokalzämie)
  • PTH-Resistenz bei Hypomagnesiämie und Pseudohypoparathyreoidismus
  • Tumorlyse-Syndrom, akute Pankreatitis, osteoblastische Metastasen, Sepsis
  • Medikamente wie Bisphosphonate, Kalzimimetika, Komplexbildner und Phenytoin

Diagnostisch wegweisend ist wieder das PTH. Erniedrigte Werte sind Zeichen eines primären oder sekundären Hypoparathyreoidismus, ein hochnormales oder erhöhtes PTH spricht für Vitamin-D-Mangel, eingeschränkte Nierenfunktion und Pseudohypoparathyreoidismus. 

Therapiert wird mittels Kalziumsubstitution. Liegt der Kalziumwert > 1,75 mmol/l, erfolgt dies durch orale Kalziumgabe und Korrektur des Vitamin-D-Status. Bei Kalziumwerten unter 1,75 mmol/l und begleitenden Symptomen wird parenteral substituiert. Zunächst über 20 Minuten mit 1–2 g Kalziumgluconat, gefolgt von einer Dauerinfusion mit ca. 1 mg Kalzium/kg/h. Nach Erreichen von 1,9 mmol/l kann auf orales Kalzium umgesetzt werden. Kalziumsenkende Medikationen sollten prinzipiell gestoppt werden. Bei Bisphosphonaten oder Denosumab ist jedoch kein schneller Effekt zu erwarten.

Aktive Vitamin-D-Analoga für chronisch Nierenkranke

Die Korrektur des Vitamin-D-Status erfolgt je nach Ursache: Ein Vitamin-D-Mangel wird in der Regel mit Vitamin D3 behandelt, die Dosierung erfolgt je nachdem, wie schnell die Korrektur erfolgen soll. Bei chronischer Nierenerkrankung sind die aktiven Vitamin-D-Analoga Calcitriol, 1a-Calcidiol und Paricalcitol eine Option.

Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher einen rekombinanten PTH. Aufgrund von Herstellungsproblemen wurde das Präparat vom Markt genommen. Nachfolgepräparate werden derzeit klinisch geprüft.

* korrigiertes Kalzium = gemessenes Kalzium [mmol/l] – 0,25 x Albumin [g/l] + 1

Quelle: Ketteler M. Dtsch Med Wochenschr 2024; 
149: 79-85 

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Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher einen rekombinanten PTH. Aufgrund von Herstellungsproblemen wurde das Präparat vom Markt genommen. Für Patienten mit primärem Hypoparathyreoidismus gab es früher einen rekombinanten PTH. Aufgrund von Herstellungsproblemen wurde das Präparat vom Markt genommen. © PH-HY – stock.adobe.com