Kalzium im Überfluss – mit oder ohne Symptome

Dr. Elke Ruchalla

Autonomes Nebenschilddrüsenadenom am unteren Pol einer Struma multinodosa. Autonomes Nebenschilddrüsenadenom am unteren Pol einer Struma multinodosa. © wikimedia/Thomas Zimmermann

Hoppla, der Kalziumwert ist aber ganz schön hoch! Und das bei einer Patientin, die sich „nur mal durchchecken“ lassen wollte und keinerlei Beschwerden hat. Ob da ein primärer Hyperparathyreoidismus dahintersteckt?

Eine erhöhte Kalziumkonzentration im Blut ohne anderweitig auffällige Laborbefunde in der Routinediagnostik – das lässt zuallererst an einen primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) denken. Bei mindestens acht von zehn Patienten geht der auf ein Nebenschilddrüsenadenom zurück, erklären Dr. ­Katja ­Gollisch und Professor Dr. ­Heide ­Siggelkow von der Universitätsmedizin Göttingen. Für die übrigen Befunde sind meist Hyperplasien des Organs verantwortlich (15–20 %), Karzinome der Nebenschilddrüsen als Ursache sind selten (< 0,5 %).

Ein erhöhter Parathormonspiegel erhärtet in dieser Situation den Verdacht auf einen asymptomatischen pHPT. Das weitere diagnostische Vorgehen beim beschwerdefreien Patienten mit Verdacht auf pHPT entspricht dem Prozedere bei symptomatischen Personen. Empfohlen wird die laborchemische Bestimmung von

  • albuminkorrigiertem Kalzium, 
  • Phosphatspiegel,
  • Kreatininwert,
  • alkalischer Phosphatase und 
  • Vitamin D3 im Serum. 

Zudem sollte im 24-Stunden-Sammelurin die Konzentration an Kalzium und Kreatinin bestimmt werden.

Nachweis eines pHPT erfordert Knochendichtemessung

Für den primären Hyperparathyreoidismus spricht neben den erhöhten Werten von Kalzium und Parathormon bei gleichzeitig ausgeglichenem Vitamin-D3-Spiegel eine zu niedrige oder im unteren Normbereich liegende Phosphat-Serumkonzentration sowie eine hochnormale oder erhöhte Kalziumausscheidung über den Urin.

Bei nachgewiesener Überfunktion der Nebenschilddrüsen muss – auch bei vermeintlich symptomfreien Patienten – stets eine Knochendichtemessung erfolgen. In die Diagnostik einbezogen werden sollte neben Lendenwirbelsäule und Femora auch der dis­tale Radius. Die Bildgebung des Abdomens mit CT, Röntgen oder Sonographie ermöglicht es, Nierensteine oder eine Nephrokalzinose zu entdecken. Eine OP sollte man auch bei Beschwerdefreiheit erwägen.

Kalzium und Parathormon erhöht – und doch kein Hyperparathyreoidismus?

Stützt man sich bei der Interpretation der Laborwerte auf Kalzium und Parathormon, kann man mit der Diagnose Nebenschilddrüsenüberfunktion schnell daneben liegen. Differenzialdiagnostisch infrage kommen dann:
  • Vitamin-D-Mangel
  • Einnahme bestimmter Medikamente (Lithium, Thiaziddiuretika)
  • familiäre hypokalzurische Hyperkalzämie (FHH)
Die FHH unterscheidet sich vom primären Hyperparathyreoidismus laborchemisch lediglich durch die niedrige fraktionierte Kalziumausscheidung im Urin (Quotient von Kalzium- und Kreatinin-Clearance im Urin < 1 %).

Zu den Faktoren, die das weitere Vorgehen beeinflussen, zählen unter anderem das Auftreten von Nierensteinen, die Nierenfunktion sowie eine stetig abnehmende Knochendichte (T-Score unter -2,5) und Wirbelkörperfrakturen. Auch bei Menschen vor dem 50. Lebensjahr und entsprechendem Befund sollte man die Parathyreoidektomie in Betracht ziehen. Entscheidet sich der Patient gegen den Eingriff, stehen mindestens einmal pro Jahr Kontrolluntersuchungen an. Im Lauf von etwa 15 Jahren kommt es bei fast der Hälfte der Betroffenen zu ernsten Problemen wie Frakturen, die zur Operationsindikation führen. Ist eine Parathyreoidektomie angezeigt, gilt der nächste Blick dem Hals per Sonographie, Tc-99m-MIBI*-Szintigraphie oder Schnittbildaufnahmen mit CT und MRT. Diese Untersuchungen sollten von erfahrenen Kollegen an spezialisierten Zentren vorgenommen werden, die auch die Resektion des oder der pathologischen Nebenschilddrüsenadenome und die Identifizierung der gesunden Nebenschilddrüsen durchführen. Postoperativ erhält der Patient in der Regel Kalzium und aktives Vitamin D. Letzteres kann meist innerhalb von zwei bis vier Wochen ausgeschlichen werden. Als dauerhafte Supplementation folgen 1000 mg Kalzium und 1000 IE Vit­amin D pro Tag über ein Jahr hinweg. Die Göttinger Kolleginnen empfehlen, einen Vitamin-D-Mangel schon vor der Operation auszugleichen, was bei Hyperkalzämie formal kontraindiziert und daher mit dem Kranken zu besprechen ist.

Ohne OP muss der Betroffene vieles beachten

Wünscht der Patient keine Operation, empfehlen die Kolleginnen:
  • ausreichende Trinkmengen (täglich mindestens 1,5 l, bei Nierensteinen 2,5–3 l)
  • eine Kalziumaufnahme von 800–1000 mg pro Tag
  • bei Mangel Vitamin-D-Gabe
  • Östrogensubstitution bei Frauen nach der Menopause
  • eventuell Raloxifen
  • Cinacalcet
Möglich ist auch die Gabe von Bisphosphaten wie Alendronat, wobei deren Einsatz sehr gezielt erfolgen muss, wie die Autorinnen schreiben. Bei Patienten mit Osteoporose und pHPT könnte Denosumab hilfreich sein.

* Technetium-99m an Methoxy-Isobutyl-Isonitril

Quelle: Gollisch K, Siggelkow H. Internist 2021; 62: 496-504; DOI: 10.1007/s00108-021-00996-0

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Autonomes Nebenschilddrüsenadenom am unteren Pol einer Struma multinodosa. Autonomes Nebenschilddrüsenadenom am unteren Pol einer Struma multinodosa. © wikimedia/Thomas Zimmermann