Kann eine krankheitsmodifizierende Therapie mobilisieren?

Friederike Klein

Eine Herausforderung wird im Alltag aber der Strom von Menschen sein, die Angst vor einer Demenz haben und glauben, erste Symptome an sich festzustellen. Eine Herausforderung wird im Alltag aber der Strom von Menschen sein, die Angst vor einer Demenz haben und glauben, erste Symptome an sich festzustellen. © Orawan – stock.adobe.com

Die Entwicklung einer Alzheimerdemenz lässt sich offenbar doch bremsen. Im Frühstadium der Erkrankung gegeben, kann der Amyloid-Antikörper Lecanemab den Progress verlangsamen. Experten diskutierten über die Konsequenzen einer möglichen Zulassung des Wirkstoffs.

Es ist nicht übertrieben zu sagen: Wir haben einen Durchbruch“, meinte Prof. Dr. ­Oliver ­Peters von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Wir stehen an der Schwelle zu einer krankheitsmodifizierenden Therapie.“ Damit bezog er sich auf ­Lecanemab, einen Antikörper gegen Amyloid-beta-Protofibrillen. In einer aktuellen Phase-3-Studie konnte mit dem Wirkstoff, der alle 14 Tage intravenös verabreicht wurde, eine Verzögerung der Alzheimerkrankheit erreicht werden. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Alzheimersymptome in sechs Domänen. Nach 18 Monaten zeigte sich eine um 27 % geringere Verschlechterung der Symptome als unter Placebo, berichtete Prof. Peters. Auch sekundäre Endpunkte waren der Kontrollbedingung signifikant überlegen.

Was kann der Amyloid-Antikörper?

An der doppelblinden, placebokontrollierten Multicenter-Studie ­Clarity AD nahmen 1.795 Personen im Alter von 50 bis 90 Jahren teil, die an einer mini­malen kognitiven Beeinträchtigung oder einer frühen Demenz aufgrund der Alzheimerkrankheit litten. Bei allen war eine Amyloid­pathologie in der PET oder im Liquor nachweisbar; etwa zwei Drittel der Teilnehmer trugen das Risikogen ApoE ε4.

Die Patienten erhielten 18 Monate lang alle zwei Wochen i.v. entweder 10 mg/kgKG Lecanemab oder ein Placebo. Kognition und Funktion wurden für den primären Endpunkt mit dem Instrument Clinical Dementia Rating (Sum of Boxes, CDR-SB) erhoben. Der Wert kann zwischen 0 und 18 liegen, wobei höhere Werte eine größere Beeinträchtigung abbilden.

Der mittlere CDR-SB-Wert lag zu Beginn in beiden Gruppen bei rund 3,2. Die Verschlechterung nach 18 Monaten betrug in der Lecanemab-Gruppe 1,21 Punkte, unter Placebo 1,66 Punkte. Diese Differenz überschritt er den vorab definierten relevanten Mindest­unterschied von 0,37 Punkten. Auch auf weiteren Demenzskalen ­ergab sich ein signifikanter Effekt. In einer Substudie zeigte sich zudem in der Verumgruppe eine deutliche Reduktion der Amyloid-Last in der PET-CT, während diese in der 
Placebogruppe leicht zunahm.

Mehr Nebenwirkungen bei moderater Effektivität

Schwere unerwünschte Ereignisse traten bei 14,0 % der mit Lecanemab Behandelten und bei 11,3 % der Teilnehmer in der Kontroll­grupe auf. Am häufigsten waren Infusionsreaktionen sowie amyloid­bedingte Bildgebungs­anomalien mit Ödem oder Erguss (ARIA-E), Vorhofflimmern, Synkopen und Angina pectoris. Wegen Nebenwirkungen brachen in der Lecanemabgruppe 6,9 % die Behandlung ab, in der Placebogruppe waren es dagegen 2,9 %.

Die moderate Effektivität des Antikörpers geht demnach mit einigen Nebenwirkungen einher. Langzeitstudien über Zeiträume von vier bis fünf Jahren laufen bereits, um Wirksamkeit und Sicherheit von Lecanemab bei beginnender Alzheimer­erkrankung besser beurteilen zu können.

Quelle: van Dyck CH et al. N Engl J Med 2023; 388: 9-21;  DOI: 10.1056/NEJMoa2212948

Einzelne Symptome, aber noch keine voll ausgeprägte Demenz, dazu der Nachweis einer Amyloidpathologie – dieses Profil der Studien­population erfüllt im klinischen Alltag keine große Gruppe, meinte Prof. Dr. ­Frank ­Jessen von der Universitätsklinik Köln. Von den aktuell 450.000 Alzheimerbetroffenen in Deutschland kämen zwei Drittel allein wegen ihres Alters, der fortgeschrittenen Erkrankung und Komorbiditäten für eine solche Therapie nicht infrage. Prof. Dr. ­Lutz ­Frölich vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim schätzte die Zahl derjenigen, die aktuell hierzulande von  Lecanemab profitieren könnten, nur auf 20.000–40.000 Personen.

Eine Herausforderung wird im Alltag aber der Strom von Menschen sein, die Angst vor einer Demenz haben und glauben, erste Symptome an sich festzustellen. Die Nachricht von einer Therapie, die das Fortschreiten der Alzheimerkrankheit bremst, dürfte einen Ansturm auf die Gedächtnissprechstunden und die Praxen von Hausärzten, Neurologen und Psychiatern auslösen, glaubt Dr. ­Christa ­Roth-­Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater (BVDP) aus Andernach.

Ratsuchende von klinisch Erkrankten trennen

Die Sorge gilt nicht jenen, die nach aktueller Studienlage für den Antikörper infrage kommen. Aber, wie Prof. Jessen es formulierte: „Wir dürfen die Ratsuchenden in prodromalen, präklinischen Stadien nicht mit Betroffenen vermengen, die frühe Zeichen einer Alzheimererkrankung zeigen“. Die Gedächtnisambulanzen könnten die geeigneten Patienten für eine Antikörperbehandlung identifizieren, meinte er. Die weiteren Versorgungsstrukturen würden sich dann nach einem etwaigen Markteintritt von Lecanemab rasch bilden.

Es bleibt abzuwarten, ob der Wirkstoff auch langfristig die Entwicklung von Demenzsymptomen verlangsamt, so die Experten. Eine Heilung der Krankheit erwartet keiner von ihnen. Doch auch eine längere Selbstständigkeit und eine höhere Lebensqualität der Betroffenen sowie eine Entlastung der Angehörigen sprechen für die mutmaßlich teure Antikörpertherapie – davon  ist Prof. Jessen überzeugt.

Kongressbericht: DGPPN* Kongress 2022

*Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.

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