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Kardiovaskuläre Medizin: Neue RNA-basierte Strategien

Um RNA auszuschalten, die für schädliche Proteine kodiert, nutzt man heute vor allem zwei Prinzipien: Antisense-Oligonukleotide (ASO), die Komplexe mit spezifischen RNAsen bilden und so die Degradation der messenger-RNA einleiten, und kurze interferierende RNA-Doppelstränge (siRNA). Sie unterbinden gezielt die Synthese eines Proteins mithilfe des RNA-induced Silencing Complex (RISC).1
Für die Entdeckung der siRNA gab es bereits 2006 den Nobelpreis, berichtete Professor Dr. Stefanie Dimmeler, Universitätsklinikum Frankfurt/Main. Doch es hat Jahre gedauert, daraus eine funktionierende Therapie zu entwickeln. Die Potenz der Therapeutika war anfangs limitiert, weil RNA durch ubiquitäre RNAsen schnell abgebaut wird. Es war auch zunächst nicht möglich, selektiv bestimmte Organe oder Zellen anzusteuern. Sicherheitsprobleme wie die sequenzspezifische Immunstimulation und Komplementaktivierung mussten ebenso ausgeschlossen werden wie das Risiko von Off-target-Effekten.
Inzwischen ist es gelungen, RNA zu stabilisieren und so zu modifizieren, dass sie in bestimmte Zellen und Organe aufgenommen wird. Ein wichtiger Modifikator ist N-Acetylgalactosamin (GalNac). Damit gekoppelte siRNA oder Antisense-Oligonukleotide gelangen per rezeptorvermittelter Endozytose gezielt in Leberzellen.
2018 wurde mit der siRNA Patisiran das erste RNA-Interferenz (RNAi)-Medikament zugelassen, indiziert zur Behandlung der Polyneuropathie bei hereditärer Transthyretin-Amyloidose. Für kardiologische Indikationen befinden sich diverse RNAi-Therapeutika in der Entwicklung, unter anderem für Fettstoffwechselstörungen, berichtete Prof. Dimmeler.
Anhaltender LDL-Abfall durch zwei Injektionen pro Jahr
Schon weit fortgeschritten ist die Forschung zu Inclisiran, einer siRNA, welche die mRNA für PCSK9 stilllegt, sodass mehr LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche exprimiert werden und das LDL aus dem Blut fischen. In den Phase-3-Studien ORION-10 und -11 senkten zwei Injektionen pro Jahr den LDL-Spiegel anhaltend um die Hälfte. Dabei erwies sich der Wirkstoff als sehr gut verträglich, einzig Reaktionen an der Injektionsstelle traten häufiger auf als unter Placebo.
Das ist deshalb wichtig, weil siRNA und ASO sequenzspezifisch Immunaktivierungen auslösen können, was sich in der Präklinik nicht abschätzen lässt. Diese unerwünschte Reaktion tritt nur im Menschen auf, wie Prof. Dimmeler erklärte. Inclisiran hat soeben die europäische Zulassungsempfehlung zur Behandlung erwachsener Patienten mit trotz Statintherapie nicht erreichtem LDL-Zielwert erhalten, dürfte also bald zur Verfügung stehen.3 Die kardiovaskuläre Endpunktstudie ORION-4 ist unterwegs.
ASO-basierte Therapie senkt erhöhtes Lp(a)
Spannend an dieser Therapie: Es gibt nahezu keine Non-Responder, anders als bei konventionellen Pharmaka oder Placebos. Fast jeder Studienteilnehmer reagierte mit einem mehr oder minder ausgeprägten LDL-Abfall. Für die Adhärenz wäre eine solche Therapie natürlich gut: Statt jeden Tag eine Statintablette zu nehmen oder alle zwei bis vier Wochen einen PCSK9-Antikörper zu spritzen, reichen zwei Injektionen im Jahr. „Das kann eigentlich nur noch getoppt werden durch eine Impfung oder eine Gentherapie“, meinte die Biologin und Biochemikerin.
Eine ASO-basierte Therapie ist in der Lage, erhöhtes Lp(a) zu senken – etwas, an dem herkömmliche Medikamente weitgehend gescheitert sind. Das GalNac-gekoppelte IONIS-APO(a)Rx reduzierte den Spiegel dosisabhängig um bis zu 92 %.4 Die GalNac-Strategie kann laut Prof. Dimmeler auch für andere in der Leber exprimierte Gene genutzt werden, für andere Zellen oder Organe z.B. Endothelzellen oder Kardiomyozyten müssen geeignete Adaptormoleküle noch entwickelt werden.
Noch im experimentellen Stadium befinden sich Strategien, nicht-kodierende mikroRNA (miRNA) zu antagonisieren. miRNA können am RISC wie endogene Antisense-Moleküle wirken, beeinflussen aber im Gegensatz zu siRNA nicht nur ein Gen, sondern ganze Netzwerke, erklärte Prof. Dimmeler. Sie auszuschalten, bietet also den Vorteil, dass sich ganze Stoffwechselwege mit einem Streich modulieren lassen. Der Nachteil ist, dass auch mehr Kollateraleffekte entstehen, die im Vorfeld kaum abschätzbar sind.
Es gibt Tausende miRNA, viele davon assoziiert mit Krankheiten. miR-92a zum Beispiel, mit der Prof. Dimmelers Team arbeitet, hat eine ungünstige Wirkung auf Endothelzellen und hemmt das Gefäßwachstum. In Tiermodellen konnten die Frankfurter Forscher zeigen, dass die Inhibition viele erwünschte Effekte bei Herzinfarkt, anderen Ischämien, Wundheilung und Gefäßschutz entfalten dürfte.
Im Tierversuch kann man Myokard regenerieren, aber ...
Inzwischen haben sie AntagomiR-92a erstmals am Menschen erprobt: 49 junge gesunde Männer erhielten den Inhibitor in unterschiedlicher Dosierung i. v.5 Eine einzige Applikation reduzierte miR-92a sehr effektiv für rund zwei Wochen. Die klinischen Effekte am Menschen bleiben zu prüfen.
Vielleicht lassen sich Anti-miR auch dazu nutzen, die Regeneration von Herzmuskelgewebe nach dem Infarkt in Gang zu setzen, hofft Prof. Dimmeler. Im Tierversuch waren entsprechende Versuche sehr erfolgreich – zu erfolgreich, denn der Herzmuskel erholte sich zwar vollständig, dann aber entstanden Tumoren, an denen die Tiere schließlich starben. Das wird die nächste Herausforderung, eine Therapie zu entwickeln, deren Effekt genauso lange anhält, wie er gebraucht wird.
Quellen:
1. Landmesser U et al. Eur Heart J 2020; DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa229
2. Ray KK et al. N Engl J Med 2020; 382: 1507-1519; DOI: 10.1056/NEJMoa1912387
3. Pressemitteilung Novartis vom 29.10.2020
4. Viney NJ et al. Lancet 2016; 388: 2239-2253; DOI: 10.1016/S0140-6736(16)31009-1
5. Abplanalp WT et al. Nucl Acid Therapeutics 2020; DOI: 10.1089/nat.2020.0871
Kongressbericht: 86. Jahrestagung und Herztage 2020 der DGK*
* Online-Veranstaltung
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