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Keine Ganzhirnbestrahlung bei neu diagnostizierten Hirnmetastasen?
Die Ergebnisse der randomisierten Phase-III-Studie Alliance zeigen, dass metastasierte Tumorpatienten mit ein bis drei kleineren Hirnmetastasen prognostisch nicht davon profitieren, wenn sie zusätzlich zur stereotaktischen Bestrahlung eine Ganzhirnbestrahlung erhalten.
Die verbesserte lokale Tumorkontrolle durch eine Ganzhirnbestrahlung schlägt sich bei Patienten mit neu diagnostizierten Hirnmetastasen nicht in einem Überlebensvorteil nieder. Gleichzeitig kommt es zu einer deutlich schnelleren Abnahme kognitiver Funktionen, was die Lebensqualität der Patienten zusätzlich verschlechtert, so das Ergebnis der beim ASCO-Kongress präsentierten Studie.
“Für Patienten mit neu diagnostizierten ein bis drei Hirnmetastasen, die einer stereotaktischen Bestrahlung (SRS: stereotactic radiosurgery) zugänglich sind, empfehlen wir die SRS als alleinige Maßnahme ohne zusätzliche Ganzhirnbestrahlung (WBRT: whole brain radiotherapy)“, resümierte Professor Dr. Paul Brown, MD Anderson Cancer Center, Houston, USA, der die Ergebnisse vorstellte (Abstract LBA4).
Die Patienten sollten nach der SRS engmaschig kontrolliert werden. Die aktuellen Ergebnisse der Alliance-Studie sprechen laut Prof. Brown gegen die zusätzliche WBRT. Sie zeigen unter zusätzlicher WBRT eine zum Teil deutliche Abnahme der kognitiven Fähigkeiten, wodurch sich die Patienten nach eigenen Angaben deutlich stärker in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlten als durch die schlechtere Tumorkontrolle, die bei alleiniger SRS inkauf genommen werden muss.
Ist die alleinige stereotaktische Bestrahlung ausreichend?
Rationale der adjuvanten WBRT ist, dass unter alleiniger SRS das Risiko für neue Hirnmetastasen ebenso wie das Rezidivrisiko vergleichsweise hoch sind und sich durch die nachfolgende WBRT die lokale Tumorkontrolle verbessern lässt, betonte Prof. Brown. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der zusätzlichen WBRT stand daher immer wieder zur Diskussion.
Für die Studie waren 213 Patienten aus 34 Institutionen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen – mehrheitlich Lungenkarzinom (65 %) – und ein bis drei neu diagnostizierten kleineren (unter drei cm) Hirnmetastasen randomisiert und mit SRS ± WBRT behandelt worden. Eine adjuvante Chemotherapie war nicht erlaubt. Primärer Studienendpunkt war die kognitive Verschlechterung im Therapieverlauf. Die kognitiven Fähigkeiten der Patienten wurden alle drei Monate mit standardisierten und validierten Testmethoden evaluiert. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 7,2 Monate.
Bessere lokale Kontrolle, aber schlechtere Kognition mit Ganzhirnbestrahlung
Bereits nach drei Monaten zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Studienarmen hinsichtlich der kognitiven Funktionen. Kognitive Einschränkungen im Vergleich zum Ausgangsbefund zeigten 63,5 % der SRS-Patienten und 91,7 % der Patienten mit zusätzlicher WBRT (p = 0,0007).
Nach sechs Monaten blieb der signifikante Unterschied bestehen: Zu diesem Zeitpunkt zeigten fast alle Patienten mit zusätzlicher WBRT eine kognitive Verschlechterung (97,9 %) im Vergleich zu 77,8 % der SRS-Patienten (p = 0,032). Die kognitiven Einschränkungen belasteten die Patienten deutlich: Sie gaben im Rahmen einer Lebensqualitätsanalyse eine signifikant schlechtere Lebensqualität an als die SRS-Patienten.
Wie erwartet zeigte sich unter zusätzlicher WBRT eine bessere lokale Kontrolle der Hirnmetastasierung. So waren nach drei Monaten erst 6,3 % der WBRT-Patienten progredient, aber bereits 24,7 % der SRS-Patienten. Nach sechs Monaten bestätigte sich dieser Unterschied mit 11,6 versus 35,4 % progredienter Patienten. Die bessere lokale Kontrolle schlug sich nicht in einem medianen Überlebensvorteil nieder. Im Gegenteil: Die Patienten überlebten median sogar etwas kürzer mit 7,4 versus 10,4 Monate unter alleiniger SRS (HR 1,02, p = 0,92).
Die Anzahl der sogenannten Langzeitüberlebenden – jene Patienten, die mindestens ein Jahr überlebten – war in beiden Studienarmen vergleichsweise klein mit 15 (SRS) bzw. 19 Patienten (SRS/WBRT). Auch bei den Langzeitüberlebenden blieben die stärkeren kognitiven Einschränkungen unter WBRT erhalten.
Offensichtlich, so Prof. Brown, beeinträchtigt die schlechtere Kognition die Lebensqualität der Patienten stärker als die progredienten Hirnmetastasen. Er sieht daher für Tumorpatienten mit wenigen neu diagnostizierten kleineren Hirnmetastasen, die einer SRS zugänglich sind, die alleinige SRS als Therapie der Wahl. Die Patienten sollten engmaschig kontrolliert werden.
Therapiealternativen sind dringend notwendig
Professor Dr. Andrew Lassman, Neuro-Onkologe an der Universität Columbia, New York, USA, der die Ergebnisse als unabhängiger Experte kommentierte, wies darauf hin, dass das Ergebnis im Widerspruch zu früheren Studien steht. Eine mögliche Erklärung sei, dass der Prozentsatz der rezidivierten Hirnmetastasen nach alleiniger SRS in der Alliance-Studie niedriger war als in den früheren Studien.
Zudem war in den frühen Studien die kognitive Verschlechterung kein primärer Studienendpunkt und die Fallzahl der Patienten deutlich kleiner. Letztlich, so Prof. Lassman, sind sowohl die WBRT als auch rezidivierende Hirnmetastasen „schlecht für das Gehirn“, weshalb mittelfristig neue Therapieoptionen notwendig seien.
Quelle: 51th Annual Meeting of the American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2015, Chicago
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