Kind vergiftet? So verhindern Sie im Fall einer Intoxikation das Schlimmste

Michael Brendler

Milde Pflege mit Erstickungsgefahr: Bei verschlucktem Shampoo ist v.a. die Schaumbildung gefährlich.
Milde Pflege mit Erstickungsgefahr: Bei verschlucktem Shampoo ist v.a. die Schaumbildung gefährlich. © fotolia/shishiga

Zügig und zielgerecht handeln – das ist die wichtigste Grundregel der akuten Entgiftung im Kindesalter. Damit man im Notfall richtig reagiert, geben Kollegen Empfehlungen auf Basis eines Drei-Säulen-Modells.

Vergiftung? Erbrechen induzieren! Bis in die 1990er-Jahre galt dies als eine der wichtigsten Handlungsoptionen für Intoxikationen, vor allem mithilfe des Emetikums Ipecacuanhasirup. Eine kritische Überprüfung tradierter Indikationen habe jedoch in den letzten Jahren zu einem Paradigmenwechsel geführt, berichten Professor Dr. Andreas Schaper vom Giftinformationszentrum-Nord der Universitätsmedizin Göttingen und seine Kollegen.

Nach Aufarbeitung wissenschaftlicher Daten entpuppte sich der Sirup als potenzieller Verursacher von Aspirationspneumonien. Erst kürzlich überprüften die europäischen und nordamerikanischen Fachgesellschaften ihre entsprechenden Statements. Seitdem wird auch für andere Verfahren der primären Gift­elimination zu einem vorsichtigeren Einsatz geraten, etwa der Magenspülung und Kohleapplikation. „Da die Evidenz für die Anwendung dieser Verfahren gering ist“, schreiben die Experten, „dürfen diese nicht unreflektiert angewandt werden.“ Aktuelle Empfehlungen stellen sie anhand dreier wichtiger Grundpfeiler vor.

Primäre Giftentfernung

Eine Indikation zur Magenspülung besteht nur bei potenziell lebensgefährlichen Noxen und das innerhalb der ersten Stunde. Im Kleinkindalter muss sie die Ausnahme bleiben. Entscheiden sich Kollegen trotzdem dafür, sollte unbedingt zu isotonischen Kochsalzlösungen als Spülflüssigkeit gegriffen werden. „Leitungswasser könnte zu lebensbedrohlichen Störungen des Wasser-Elektrolyt-Haushalts führen“, warnen die Autoren. Nach Verschlucken von eventuell ZNS-wirksamen Substraten darf sie zudem nur unter Intubationsschutz durchgeführt werden. In jedem Fall kontraindiziert ist die Spülung nach Ingestion ätzender Substanzen bzw. langkettiger Kohlenwasserstoffverbindungen wie Lampenöl oder Benzin.

Eine Rarität stellt die Gastroskopie dar. Lediglich unter sehr großen Mengen von Carbamazepin oder Quetiapin ist sie klinisch relevant, da diese im Organ verkleben oder Klumpen bilden. Medizinische Kohle ist laut Prof. Schaper und Kollegen in mit Wasser aufgeschlämmter Form innerhalb der ersten Stunde nach Intoxikation angebracht. Allerdings auch nur dann, wenn diese die Gifte tatsächlich binden, wie zum Beispiel sympathomimetische Nasentropfen.

Auch im Bauch gilt: Shampoo gut ausspülen!

Tensidhaltige Handspülmittel, Shampoos und ähnliche Produkte sind die häufigsten Verursacher einer Vergiftung im Kleinkindalter. Wichtigste Symptome sind die schleimhautreizende Wirkung und Schaumbildung. Stark ausgeprägt kann Letztere sogar mit einem Aspirationsrisiko einhergehen. Dasselbe gilt bei tensidbedingtem Erbrechen. Aber auch andere gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall sind möglich. Wichtigste Gegenmaßnahme ist die Gabe von Flüssigkeiten – Achtung: ohne Kohlensäure! – und eines Entschäumers (Dimeticon). Hat eine Aspiration nicht stattgefunden, braucht es in der Regel keine weiteren therapeutischen Schritte.

Sekundäre Giftentfernung

Bei den Medikamenten Carbamazepin, Theophyllin, Dapson, Phenobarbital und Chinin kann man Aktivkohle auch später und sogar repetetiv verabreichen, funktionell stellt dies eine Art gastrointestinale Hämoperfusion dar. Damit zählt sie zu den Maßnahmen der sekundären Gifteliminierung. Ein weiteres Verfahren ist die Urinalkalisierung, über die sich beispielsweise die Ausscheidung nach einer schweren Salicylatvergiftung steigern lässt. Auch eine Hämodialyse fällt in diese Kategorie. Kollegen können sie zum Beispiel bei lebensbedrohlicher Ethanolintoxikation oder schwerer Methanolvergiftung erwägen. Eine Ultima-Ratio-Stellung nimmt dagegen die Hämoperfusion ein, etwa nach einer Überdosis Carbamazepin.

Tertiäre Giftentfernung

Gegen Amatoxin, den Knollenblätterpilzwirkstoff, Digitalis oder Benzodiazepine ist der Arzt auf solche Maßnahmen glücklicherweise nicht angewiesen. Hier kommt wie bei vielen anderen Medikamenten und Chemikalien die dritte Säule der klinischen Toxikologie ins Spiel: die Gabe von Antidoten. Dabei sei zu beachten, warnen die Experten, dass diese wegen des Komplikationsrisikos nur unter intensivmedizinischen Bedingungen in einem Krankenhaus erfolgen sollte – was übrigens auch für alle Verfahren der sekundären Giftentfernung gilt. Eine letzte allgemein bindende Regel sehen die Autoren noch: Der Anruf bei einer deutschen Giftinformationszentrale. Dieser sollte in jedem Intoxikationsfall erfolgen. Die Stellen verfügten zum einen über große Erfahrungen in Diagnostik und Therapie und könnten zum anderen bei der Identifikation seltener Noxen oder Produkte helfen.

Quelle: Schaper A et al. internistische praxis 2017; 58: 636-646

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Milde Pflege mit Erstickungsgefahr: Bei verschlucktem Shampoo ist v.a. die Schaumbildung gefährlich.
Milde Pflege mit Erstickungsgefahr: Bei verschlucktem Shampoo ist v.a. die Schaumbildung gefährlich. © fotolia/shishiga