Ein Kampfstoff ziert das Wohnzimmer - RKI warnt vor Rizinvergiftung mit tödlichen Folgen

Dr. Michael Brendler / Elisa Sophia Breuer

„Wunderbaum“ klingt viel schöner als „potenziell biologischer Kampfstoff“. „Wunderbaum“ klingt viel schöner als „potenziell biologischer Kampfstoff“. © iStock/emer1940

Bekannt als Abführmittel, besitzt Rizin auch unerwünschte Wirkungen. Insbesondere die Samen enthalten konzentriertes Toxin. Ob oral, parenteral oder inhalativ Aufnahme – bei einer Intoxikation droht binnen weniger Tage der Tod.

Ob als Zierpflanze, Schmuckstück oder medizinisches Öl, Rizin ist leicht erhältlich. Und dass, obwohl es in Deutschland auf der Liste der biologischen Waffen steht und die Vereinten Nationen den Handel und Umgang mit der Reinform im Chemiewaffenübereinkommen beschränkt haben. Das Robert Koch-Institut (RKI) sieht es vor allem aufgrund der allgemeinen Verfügbarkeit als „potenziellen biologischen Kampfstoff“. Grundsätzlich wirken alle Pflanzenteile des Wunderbaums (Ricinus communis) stark immunogen und giftig, jedoch enthalten vor allem die Samen das Toxin.

Samen sehen aus wie harmlose Nüsse

Rizinvergiftungen kommen in Deutschland insgesamt selten vor. Sie können zum Tod führen, denn die Proteine binden in der Zelle an Ribosome, legen dadurch die Proteinbiosynthese lahm und führen zur Apoptose. Das Gift kann oral, parenteral und inhalativ in den Körper gelangen. Der lokale Kontakt über die Haut führt zu teils schweren allergisch-toxischen Reaktionen mit Urtikaria, Schmerzen und Blasen. Systemische Reaktionen sind in diesem Fall bisher nicht bekannt.

Am häufigsten treten orale Vergiftungen auf, vor allem weil Personen die Samen gegessen haben, die optisch Nüssen ähneln. Der oft biphasische Verlauf beginnt mit gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Dehydrierung und/oder abdominellen Schmerzen. Später können Muskelschmerzen bis hin zur Rhabdomyolyse, systemische Multi­organbeteiligung und Kreislaufversagen auftreten. Erfolgt keine Behandlung, besteht die Gefahr, dass Patienten nach 3–5 Tagen sterben.

Charakteristisch für die parenterale Aufnahme ist der i.d.R. foudroyante klinische Verlauf. Gelangte das Gift per Injektion in den Körper, entstehen sofort starke Schmerzen an der Einstichstelle und es kann binnen wenigen Stunden zum Kreislaufversagen kommen. Teilweise leiden die Patienten zusätzlich unter Fieber, Erbrechen bis hin zu Multiorganversagen. Der Tod tritt meist innerhalb von 36–48 Stunden ein.

Inhalieren Betroffene Rizin, löst es nach einer kurzen Latenzphase schwere pulmonale Symptome aus wie Bronchospasmen, Lungen­ödem oder akutes Lungenversagen mit Fibrosierung. Doch auch Urtikaria, schwere allgemeine Entzündungszeichen und Reizungen der Schleimhäute können auftreten. Damit ähneln die Symptome denen nach einer Verätzung.

Dekontaminationsalarm bei Aerosolen!

Hat der Patient das Gift eingeatmet, muss er dekontaminiert werden. Alle Anwesenden tragen währenddessen einen Atemschutz. Kontaminierte Kleidung darf der Betroffene nicht über den Kopf ausziehen. Sie sollte außerdem danach verbrannt oder anderweitig dekontaminiert werden. Derweil reinigt der Patient gründlich Haut und Haare unter fließendem Wasser mit Seife. Von Köperausscheidungen geht keine Gefahr aus.

Aktuell gibt es keine spezifischen Therapiemöglichkeiten, die Behandlung erfolgt symptomatisch, schreibt das RKI. Da Rizin wasserlöslich ist und in der Leber metabolisiert wird, stellen extrakorporale Verfahren zur Giftentfernung (wie eine Hämodialyse) keine Behandlungsoption dar.

Viel trinken, Magenspülung, Kohletabletten

Deshalb empfehlen die Experten, bei oraler Intoxikation sich auf die Flüssigkeitssubstitution zu konzentrieren. Falls weniger als eine Stunde seit der Aufnahme vergangen ist, kann man eine endoskopisch gestützte Entfernung des Toxins erwägen. Danach ist die Gabe von Aktivkohle möglich, jedoch bestehen hierzu keine validen Daten. Von einer Darmspülung oder Laxanzien raten die Autoren ab. Die parenterale bzw. inhalative Intoxikation erfordert intensivmedizinische Betreuung in einem Zentrum der Maximalversorgung.

So weisen Sie eine Intoxikation nach

Am besten lässt sich das Gift innerhalb von 48 Stunden nachweisen, bei oraler Aufnahme optimalerweise durch Stuhlproben. Abhängig von der geschluckten Menge ist das Toxin nicht oder nur kurz im Serum detektierbar. Hat der Patient das Rohextrakt vertilgt, empfiehlt das RKI den Surrogatmarker Rizinin nachzuweisen, der sich bis zu 60 Stunden in Urin und Serum befindet. Das Speziallabor erhält abhängig vom Aufnahmeweg Proben von Stuhl, Urin, Serum, Mageninhalt, Sputum, Pleuraflüssigkeit sowie Reste verdächtiger Pflanzensamen oder eingenommener Lebensmittel. Der Versand erfordert spezielle Sicherheitsmaßnahmen.

Quelle: Aus der Fachliteratur
Quelle: RKI. Epidemiologisches Bulletin 2017: 32: 315-321

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„Wunderbaum“ klingt viel schöner als „potenziell biologischer Kampfstoff“. „Wunderbaum“ klingt viel schöner als „potenziell biologischer Kampfstoff“. © iStock/emer1940