Biowaffe aus dem Gartenfachgeschäft

Stephanie Käufl

Die harmlos aussehenden Samen des Wunderbaums haben es ganz schön in sich. Die harmlos aussehenden Samen des Wunderbaums haben es ganz schön in sich. © M. Schuppich – stock.adobe.com

Mit Rizinussamen wollte eine 17-Jährige ihrem Leben ein Ende bereiten. Zum Glück konnte man sie durch aggressive intensivmedizinische Therapie retten – trotz einer potenziell tödlichen Dosis.

So harmlos Rizinusöl ist – die Samenschalen des in Gärten und Parks weitverbreiteten Wunderbaums Ricinus communis haben es in sich. Sie enthalten das hochgiftige Rizin, für das es kein Gegengift gibt. Es führt nach Aufnahme in Körperzellen zum Abbruch der Proteinsynthese und letztlich zum Zelltod. Eine Intoxikation damit kann auf drei Wegen erfolgen: oral, parenteral und inhalativ. Weil durch Letzteren größere Personengruppen vergiftet werden können, gilt Rizin als potenzieller Bio-Kampfstoff und unterliegt dem Kriegswaffenkontrollgesetz.

Gift ist in der Schale der Samen enthalten

Menschen mit suizidaler Absicht können es allerdings leicht selbst herstellen: Rizinussamen, in deren Schale das Gift enthalten ist, gibt es in jedem Gartenfachgeschäft. Und Infos über ihre tödliche Wirkung lassen sich mit einem Klick im Internet auftreiben. So war es auch bei der depressiven Jugendlichen, die sich mit 40 Rizinussamen das Leben nehmen wollte. Das einige Stunden später einsetzende starke Erbrechen ließ ihre Eltern hellhörig werden und nach dem Zugeständnis der jungen Frau den Rettungsdienst rufen.

So giftig sind Rizinussamen

Die tödliche orale Dosis von Rizin wird mit 1–20 mg/kgKG angegeben. Der Rizingehalt der Samen schwankt jedoch. Wichtiger ist offenbar, wie gut diese zerkaut werden. So erklärt sich, dass es schon letale Verläufe nach dem Verzehr zweier Samen gab, die Aufnahme von 60 oder gar 200 Rizinussamen in anderen Fällen dagegen überlebt wurde. Parenterale Rizin-Vergiftungen verlaufen dagegen in der Regel tödlich.

Als die 17-Jährige mit diesem das Krankenhaus erreichte, war sie tachykard (bis 130 Schläge pro Minute) und fiebrig (Temperatur bis 39 °C), berichten Cornelia Vogel von den Alb Fils Kliniken, Göppingen, und Kollegen. Zudem musste sie sich weiterhin übergeben. Die weitere Untersuchung ergab eine katecholaminpflichtige Hypotonie und ein Long-QT-Syndrom. Als Zeichen einer Rhabdomyo­lyse waren im Labor LDH, CK und CRP erhöht, die akute Leberschädigung führte zum Anstieg der ASAT und Abfall des Quick-Wertes. Klinisch entwickelte die Patientin ein Delir mit visuellen und akustischen Halluzinationen. Die Diagnose Rizinvergiftung wurde durch den Nachweis von Rizin im Stuhl und Ricinin in Serum und Urin gesichert. Weil bei der sofortigen Notfallgastroskopie, bei der sich eine lokale Gastritis zeigte, keine Samen mehr geborgen werden konnten, verabreichten die Kollegen medizinische Kohle und Glaubersalz. Unter Intubation und Beatmung über vier Tage wurde die Frau mit physikalischer Kühlung und einer aggressiven Infusionsbehandlung aus initial 2 Litern kristalloider Lösung und anschließend 5 l/d mit bedarfsgerechtem Elektrolytausgleich rehydriert. Eine Dialyse eignete sich aufgrund des hochmolekularen Toxins nicht, betonen die Autoren. Der Blutungsgefahr begegneten sie mit Vitamin K und Frischplasma. Nach sieben Tagen konnte die Patientin in die Psychiatrie entlassen werden. Die junge Frau hatte Glück und hat die massive Dehydratation und das beginnende Multiorganversagen überlebt, schreiben die Autoren. Ihr Fall bringt aber auch praktische Erkenntnisse. Die Untersuchung der Proben zeigt, dass nach oraler Rizinvergiftung offenbar Fäzes am besten für die Diagnostik geeignet ist.

Ricinin im Serum und Urin dient als Surrogatparameter

Rizin wurde im Stuhl von Tag 1 bis Tag 6 nachgewiesen, wogegen es in Serum und Magenspülwasser unterhalb der Nachweisgrenze war. Im Serum wird Rizin durch Glykoproteine schnell entfernt und beim Magenspülwasser schießen der saure pH und die hohe proteolytische Aktivität quer, so die Wissenschaftler. Als Surrogatparameter kann zudem das in den Samen ebenfalls enthaltene, etwas weniger giftige Alkaloid Ricinin in Serum und Urin verwendet werden.

Quelle: Vogel C et al. internistische praxis 2021; 64: 478-483


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Die harmlos aussehenden Samen des Wunderbaums haben es ganz schön in sich. Die harmlos aussehenden Samen des Wunderbaums haben es ganz schön in sich. © M. Schuppich – stock.adobe.com