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Kinderwunsch versus B-Zell-Hemmung

Während Schwangerschaft, Entbindung oder Stillzeit weisen MS-Patientinnen keine erhöhte Komplikationsrate auf. Für Frauen mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) ist die Datenlage dagegen weniger eindeutig: Sie scheinen häufiger Fehlgeburten und andere Komplikationen zu erleiden. Zur Krankheitsaktivität während der Schwangerschaft gibt es uneinheitliche Aussagen, aber es werden wie bei MS-Patientinnen ebenfalls postpartum vermehrt Schübe beobachtet, schreiben Dr. Alexandra Galati vom Department of Neurology der University of California in San Francisco und Kollegen.
Vier Antikörper mittlerweile im Einsatz
Der Einsatz von B-Zell-depletierenden Medikamenten nimmt bei beiden Erkrankungen zu: Zu den für die MS-Therapie geeigneten Medikamenten dieser Klasse gehören die Anti-CD-20-Antikörper Ocrelizumab und Ofatumumab; für die Therapie von NMOSD ist der Anti-CD-19-Antikörper Inebilizumab zugelassen. Für beide Krankheitsbilder wird zudem seit Langem Rituximab off label verordnet. Vor Verwendung dieser Therapien rund um eine Schwangerschaft sollte man immer Vor- und Nachteile für den Einzelfall abwägen. Überlegungen und Informationen über die Physiologie von IgG1-Antikörpern – zu denen die Medikamente gehören – können bei der Entscheidungsfindung helfen.
Da B-Zell-depletierende Therapien die Wirksamkeit von Totimpfstoffen abschwächen können und eine Kontraindikation für Lebendimpfstoffe darstellen, sollten alle Immunisierungen – inklusive aller für eine potenzielle spätere Schwangerschaft wichtigen – spätestens sechs Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen werden.
T-Zell-Antwort auf Impfung nicht verringert
Bei manchen Vakzinierungen, darunter die jährliche gegen Influenza sowie die Corona-(Booster-)Impfungen, lässt sich eine Gabe unter Therapie allerdings nicht vermeiden. Für die Coronaimpfung hat sich gezeigt, dass zwar die B-Zell-, aber nicht die T-Zellantwort unter B-Zell-depletierender Therapie verringert war.Um eine möglichst hohe Immunantwort zu erreichen, schlagen Dr. Galati und Kollegen generell vor, Auffrischungen oder jährlich nötige Vakzinen zum Ende eines Infusionsintervalls zu verabreichen und die folgende Infusion, abhängig vom individuellen Risiko der Patientin, ggf. um wenige Wochen zu verschieben.
Sowohl die FDA als auch die EMA empfehlen eine effektive Kontrazeption für sechs bzw. zwölf Monate nach einer vorerst letzten Medikamentendosis. Gleichzeitig zeigen Veröffentlichungen zu Schwangerschaften, insbesondere unter Rituximab, dass die Outcomes gegenüber der Allgemeinbevölkerung vergleichbar gut oder nur geringfügig schlechter waren. Daher sollte eine lange Unterbrechung der Therapie aus Sicht der Autoren insbesondere bei hoher Krankheitsaktivität gut überlegt sein.
Basierend auf der Physiologie von IgG1-Antikörpern stellen sie verschiedene Überlegungen an, die allerdings durch prospektive Studien untermauert werden müssen. Gemäß ihrer Halbwertszeit sind die Antikörpermoleküle der B-Zell-depletierenden Therapien drei Monate nach der Infusion weitestgehend aus dem Körper eliminiert, während ihre Wirkung (zumindest bei den Medikamenten mit sechsmonatigem Infusionsintervall) darüber hinaus anhält. Zudem ist während des ersten Trimenons kein nennenswerter Transfer der Antikörpermoleküle über die Plazenta auf den Embryo zu erwarten – er steigt erst ab dem zweiten Trimenon an.
Erfolgt die Konzeption in den ersten drei Monaten nach der letzten Infusion, sollte daher aus Sicht der Autoren die Exposition des Embryos gegenüber den Antikörpern während der Organogenese minimal sein. Bei einer verzögert eintretenden Konzeption schlagen sie vor, regelmäßig den CD-19-Spiegel zu überpüfen. Außerdem sollte vor jeder neuen Infusion ein Schwangerschaftstest erfolgen. Im Hinblick auf das Neugeborene, deren Mütter eine B-Zell-depletierende Therapie erhalten haben, empfehlen sie die Bestimmung der Lymphozyten und B-Zellen im Nabelschnurblut. Eine mögliche Erniedrigung zirkulierender B-Zellen normalisiert sich typischerweise innerhalb einiger Monate. In diesem Fall können eine Verschiebung der Impfungen des Babys sowie eine Kontrolle seiner Antikörpertiter erwogen werden. Die Kollegen raten dazu, die B-Zell-depletierende Therapie etwa zwei bis vier Wochen nach der Entbindung erneut zu beginnen. Aufgrund ihres hohen Molekulargewichts gehen die therapeutischen Antikörper kaum in die Muttermilch über.
Quelle: Galati A et al. Neurol Clin Pract 2022; DOI: 10.1212/CPJ.0000000000001147
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