Kubitaltunnelsyndrom: Hypästhesien aus unzuverlässiger Elle

Maria Weiß

Progrediente Be­schwerden erfordern eine Entlastung des N. ulnaris. Progrediente Be­schwerden erfordern eine Entlastung des N. ulnaris. © iStock/Ssviluppo

Erst „seit heute Morgen“ bestehen Hypästhesien an ulnarer Handkante, Klein- und halbem Ringfinger. Doch obwohl die Symptome des Kubitaltunnelsyndroms häufig akut beginnen, liegt eine chronische Druckschädigung des N. ulnaris zugrunde. Einer konservativen Therapie sollten Sie deshalb bis zu drei Monate Zeit geben.

Oft synonym verwendet, trifft der Begriff des Sulcus-ulnaris-Syndroms anatomisch nicht ganz zu, denn durch ihn wird der Ort der Kompression nur unzureichend angegeben und deren Lokalisation auf den knöchernen Sulcus begrenzt. In der neuen Leitlinie dreht sich deshalb alles um die treffendere Bezeichnung „Kubitaltunnelsyndrom“. Hierbei unterscheidet sich die idiopathische oder primäre Form von der sekundären Variante.

Ulnarisluxation bei 16 % der Bevölkerung

Beim primären Kubitaltunnelsyndrom finden sich keine knöchernen Veränderungen oder Raumforderungen – möglicherweise aber prädisponierende anatomische Normvarianten. Dazu zählt z.B. eine Ulnarisluxation, die 16 % der Bevölkerung aufweisen. Die sekundäre Form begegnet Ärzten oft als „Ulnarisspätparese“ nach alter Ellenbogengelenksverletzung. Auch im Rahmen der rheumatoiden Arthritis und anderer Knochenerkrankungen kann der N. ulnaris zu Schaden kommen. Sonderformen umfassen Lagerungsschäden bei Narkosen (insbesondere bei kardiochirurgischen Eingriffen) oder bei langer Bettlägerigkeit.

Die Erkrankung gilt als das zweithäufigste Kompressionssyndrom eines peripheren Nervs, gleich hinter dem Karpaltunnelsyndrom. Repetitive Arbeitsbelastung und Übergewicht erhöhen die Inzidenz. Anders als beim Karpaltunnel trifft es vermehrt die linke Seite, in bis zu 39 % der Fälle klagen die Patienten über beidseitige Beschwerden.

Mit den Symptomen geht es meist akut „über Nacht“ los. Betroffene klagen über ein Taubheitsgefühl der ulnaren Handkante, des Kleinfingers und des halben Ringfingers. Oft lösen zusätzliche Triggerfaktoren wie das Schlafen auf dem angewinkelten Arm, langes Telefonieren oder Autofahren mit dem linken Arm auf dem Fensterrahmen die Beschwerden aus. Bei Fortschreiten bemerken Patienten zumeist eine Kraftlosigkeit bzw. Ungeschicklichkeit der Hand, beispielsweise beim Schlüsselumdrehen oder Schreiben. Zu Atrophien der Mm. interossei und des M. adductor pollicis mit einer Krallenstellung der Finger 4 und 5 kommt es erst im Spätstadium. Hinzutreten kann eine Parese der langen Finger- und Handgelenksbeuger.

Auch wenn eine klinische Untersuchung (s. Tabelle) für die Diagnose oft ausreicht, empfehlen die Leitlinienautoren eine präoperative elektroneurographische Untersuchung (sensible und motorische Neurographie des N. ulnaris) zur Bestätigung bzw. zur differenzialdiagnostischen Einordnung. Neurosonographie oder MRT ermöglichen den direkten Nachweis morphologischer Veränderungen und deren Lokalisation. Bei Verdacht auf knöcherne Veränderungen erscheint eine Röntgenaufnahme des Ellbogengelenks sinnvoll.

Hingucken und anfassen
Inspektion
Palpation
Motoriktests
  • Atrophie der Mm. interossei (insbes. M. interosseus dorsalis I und Hypothenar)
  • Abspreizhaltung des Kleinfingers
  • Krallenstellung Finger 4 und 5
  • evtl. Auffälligkeiten des Ellbogengelenks
  • Ertasten der Ulnarisrinne bei gestrecktem und gebeugtem Ellbogen im Seitenvergleich zur Erfassung anatomischer Besonderheiten sowie von (Sub-)Luxation und/oder Dislokation des N. ulnaris, umschriebener Verdickung (Pseudoneurombildung) und abnormer Druckempfindlichkeit
  • Ausschluss einer Druckdolenz im Bereich des medialen Epikondylus als Zeichen einer Epikondylopathie
  • Sensibilitätsprüfung (Schmerz und Berührung) im Bereich von ulnarer Handkante bzw. Rücken, Klein- und Ringfinger
  • Froment-Zeichen: beim Halten eines Blatt Papiers zwischen Daumen und Zeigefinger kompensatorisch Beugung des Daumenendglieds (bereits im Frühstadium positiv)
  • in fortgeschrittenen Fällen unvollständige Adduktion des Kleinfingers, Schwäche der Fingerspreizer und tiefen Beuger von Ring- und Kleinfinger sowie Unvermögen, die Finger zu überkreuzen
  • Kraftprüfung des Grobgriffs und des Daumen-Zeigefinger-Spitzgriffs
  • Prüfung der Beweglichkeit im Ellbogengelenk zum klinischen Nachweis bzw. Ausschluss einer Arthrose

Atypische Beschwerden sollten zur Abklärung folgender Differenzialdiagnosen führen:
  • akute exogene Druckschädigung nach längerem Aufstützen des Ellenbogens auf harter Unterlage
  • C8-Syndrom (Sensibilitätsstörungen des gesamten 4. Fingers und Teilen des medialen Unterarms)
  • distale Läsion
  • Armplexusparese
  • hereditäre Neuropathie
  • spinale Muskelatrophie oder ALS
Akut aufgetretene oder rezidivierende Reizsymptome und intermittierende Hypästhesien, die weniger als zwei Wochen andauern, erlauben eine abwartende Strategie. Die Experten bezeichnen eine Verlaufsbeobachtung über bis zu drei Monate unter fortlaufender neurologischer und elektrophysiologischer Kontrolle als akzeptabel. Während dieser Zeit sollten die Patienten zur Verhaltensänderung angeleitet werden. Z.B. senkt bereits der Verzicht auf längeres Aufstützen des Ellenbogens die repetitive exogene Druck- und Zugeinwirkung. Besonders bei leichten und mäßig starken Beschwerden bessern sich die Befunde in bis zu 89,5 % der Fälle dann ohne weitere Maßnahmen. Bestehen die Symptome – ohne permanente Defizite – bereits länger als zwei Wochen, steht eine konservative Therapie in Form einer nächtlichen Ruhigstellung mit einer Ellenbogengelenkschiene an. Die Schiene sollte den Ellenbogen in 30°–35° Flexion und den Unterarm in 10°–20° Pronation fixieren. Über die Dauer der Behandlung gibt es keinen Konsens. Bei progredienten Beschwerden, sensomotorischen Ausfallerscheinungen oder Muskelatrophien soll allerdings immer eine operative Entlastung des N. ulnaris erfolgen.

Quelle: S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Kubitaltunnelsyndroms (KUTS)“, AWMF-Register Nr. 005/009, www.awmf.org

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