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„Man hat eine Blackbox-Therapie“
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Um Herzinfarkten, Schlaganfällen und Revaskularisierungen vorzubeugen, sollte bei KHK eine niedrig dosierte Colchicintherapie erwogen werden. So steht es in der 2024 aktualisierten ESC*-Leitlinie zum chronischen Koronarsyndrom. In der Vorversion gab es noch eine Kann-Empfehlung (Klasse IIb statt IIa, Evidenzlevel A). Unter Ärztinnen und Ärzten herrscht Unsicherheit darüber, wie man mit dieser Aufwertung umgehen soll. Das spiegelt sich auch in den Versorgungsdaten wider: Nur 0,0001 % der KHK-Betroffenen in Deutschland erhalten Colchicin. „De facto wird es in dieser Indikation nicht eingesetzt“, konstatierte Prof. Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig. Der Kollege gestand, aufgrund der heterogenen Studienlage ebenfalls unentschlossen zu sein.
Die für das Leitlinienupdate mitverantwortliche COLCOT-Studie zeigte unter Colchicin eine relative Reduktion des primären Endpunkts um 23 %. Dieser setzte sich zusammen aus kardiovaskulärem Tod, Herzstillstand, Myokardinfarkt, Schlaganfall und dringlicher Klinikaufnahme mit koronarer Revaskularisierung. Teilgenommen hatten mehr als 4.700 Personen nach akutem Herzinfarkt. Jede bzw. jeder Fünfte beendete die Studienmedikation vorzeitig und der Endpunktstatus war in 2,5 % der Fälle nicht bekannt, betonte Prof. Laufs.
Der CRP-Spiegel wurde nicht beeinflusst
Eine detaillierte Analyse ergab zudem, dass hauptsächlich die Zahl an dringlichen Revaskularisierungen zurückging. Die Infarktrate, bei der man laut dem Experten eine Reduktion unter vaskuloprotektiver Medikation erwarten würde, sank hingegen nicht signifikant. Ein weiteres Manko der Behandlung: Die Colchicineinnahme beeinflusste den CRP-Spiegel nicht. „Man hat also eine Blackbox-Therapie“, sagte Prof. Laufs. Es gebe keine Möglichkeit, das Ansprechen mit CRP oder einem anderen gut messbaren Zytokin zu monitoren. Somit lässt sich nicht beurteilen, welchen Personen die Behandlung besonders nützt.
Dem Effekt von Colchicin nach akutem Myokardinfarkt und perkutaner Intervention widmete sich die CLEAR-Studie, deren Ergebnisse kürzlich veröffentlicht wurden. Primärer Endpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, erneutem Herzinfarkt, Schlaganfall und ungeplanter Revaskularisierung. Ein Vorteil der vaskulären Prävention fand sich nicht. Über ein medianes Follow-up von drei Jahren gab es „nicht die geringste Abweichung der Kurven bei dieser großen, gut gemachten Studie zwischen Colchicin und Placebo“, so der Kollege.
Eine Subgruppenanalyse der LoDoCo2-Studie deutet wiederum darauf hin, dass vor allem Personen mit einem akuten Koronarsyndrom in der Vorgeschichte von der antientzündlichen Therapie profitieren. LoDoCo2 schloss über 5.500 Patientinnen und Patienten mit chronischem Koronarsyndrom ein, die u. a. eine adäquate lipidsenkende und plättchenhemmende Medikation einnahmen. Insgesamt minderte Colchicin die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und ischämiebedingte Revaskularisierung gegenüber Placebo um 31 %. Jedoch trat ein nicht-kardiovaskulärer Tod unter dem Alkaloid häufiger ein als unter Placebo (0,7 % vs. 0,5 %).
Gastrointestinale Symptome als häufige Nebenwirkung
Die Daten von LoDoCo2 flossen ebenso wie die von COLCOT und weiteren Studien in eine Metaanalyse zur Colchicintherapie ein. Diese Untersuchung aus dem Jahr 2021 umfasste 12.869 Personen mit KHK. Unterm Strich bewegten sich die relativen Risikoreduktionen bei Endpunkten wie MACCE**, Myokardinfarkt oder Revaskularisierung „in die richtige Richtung“, erklärte Prof. Laufs. An Nebenwirkungen dominierten gastrointestinale Beschwerden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen IIaA-Empfehlung sei es nicht falsch, Colchicin bei einzelnen Personen mit KHK einzusetzen, fasste der Kollege zusammen. Im sicheren Umgang hilft eine Übersichtsarbeit aus dem letzten Jahr.1 Ihr zufolge sollte man auf das Präparat verzichten, wenn die eGFR unter 45ml/min liegt. Bei schwerer Nieren- oder Leberfunktionsstörung sowie bei Zytopenie ist es kontraindiziert. Eine Pause wird im Fall einer gleichzeitigen Behandlung mit Clarithromycin, Ketokonazol, Fluconazol, Cyclosporin oder Ritonavir empfohlen. „Ansonsten muss man natürlich sagen, es ist eine sehr preiswerte, generisch verfügbare und von den Kollegen in der Rheumatologie seit Jahren durchgeführte Therapie“, ergänzte Prof. Laufs.
*European Society of Cardiology
**major adverse cardiac and cerebrovascular events
Quelle: Nidorf SM et al. Eur Heart J 2024; 45: 1596-1601; doi: 10.1093/eurheartj/ehae208
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