Neue Leitlinie: Krebskranke nach Todeswünschen fragen

Dr. Dorothea Ranft

Den todkranken Patienten sollte die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich gemacht werden. Den todkranken Patienten sollte die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich gemacht werden. © iStock/Ridofranz

Um ganze acht Kapitel wurde die S3-Leitlinie zur Palliativmedizin bei Krebs erweitert. Sie greift nun auch den Wunsch zu sterben auf sowie die Versorgung einer tumor­bedingten Fatigue und maligner Wunden.

Therapieziele finden

Jede Therapie fußt auf vernünftigen Zielen, auch die palliative Tumor­therapie. Dabei sollten Beginn, Fortsetzung und Ende der Behandlung gleichermaßen mit dem Patienten beschlossen werden. Im Laufe der Behandlung sind Indikation und Einwilligung des Kranken regelmäßig zu prüfen. Allerdings ist der Arzt kein Befehlsempfänger, heißt es in der Leitlinie, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin aktualisiert und ergänzt worden ist: Bei unrealistischen Zielen kann der Behandler Maßnahmen ablehnen, bei fehlender Indikation soll er sie sogar verweigern. In der Praxis hat es sich als hilfreich erwiesen, Entscheidungen über das Vorgehen am Lebensende schon frühzeitig im Krankheitsverlauf zu treffen und zu dokumentieren.

Fatigue

Mit einem Anteil von 70–90 % zählt die Fatigue zu den häufigsten Symptomen bei Tumorpatienten. Umso wichtiger ist es, regelmäßig nach Schwäche und Müdigkeit zu fragen. Liegt tatsächlich ein Erschöpfungssyndrom vor, folgt als nächster Schritt die Suche nach behandelbaren Ursachen (z.B. Depression, Medikamente).

Von einer Therapie mit Erythropoetin raten die Leitlinienautoren wegen des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses (z.B. beschleunigter Tumorprogress) ausdrücklich ab. Als sinnvoll sehen sie regelmäßiges körperliches Ausdauer- und Krafttraining an, eine kognitive Verhaltenstherapie und eine adäquate Tagesstruktur. Auch ein Versuch mit Methylphenidat oder Modafinil kommt in Betracht, Steroide sollten nur zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Für die letzten Tage und Wochen empfehlen die Autoren, die Indikation zur Fatigue-Behandlung zu überprüfen, um den Patienten nicht unnötig zu belasten.

Schlafstörungen

Ein wichtiger Teil der Anamnese ist auch die Frage nach Schlafstörungen. Liegen entsprechende Symptome vor, gehört die gesamte Medikation auf den Prüfstand. Möglicherweise finden sich auch therapierbare Ursachen (z.B. Schmerzen, Angst, Atemstörungen). Auch eine Verschiebung oder Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus kann den Beschwerden zugrunde liegen. Therapeutisch hilft eventuell schon eine klare Tagesstruktur, eine hohe Lichtzufuhr tagsüber kann den Tag-Nacht-Rhythmus stabilisieren.

Der übliche Zeitraum für eine medikamentöse Kurzzeittherapie von etwa drei bis vier Wochen kann bei Patienten mit nicht-heilbarem Tumor verlängert werden. Für die kurzfristige Pharmakotherapie werden Zoplicon und Zolpidem empfohlen, zur mittelfristigen Behandlung bevorzugt sedierende Antidepressiva. Sedierende Antipsychotika kommen in Betracht, wenn andere Therapien nicht möglich sind. Benzodiazepine sollten zur Insomnie-Behandlung nur genutzt werden, wenn der Patient sie aus anderer Indikation nimmt.

Übelkeit und Erbrechen

Falls ein Krebspatient unabhängig von der Therapie an Übelkeit und Erbrechen leidet, empfiehlt die Leitlinie primär nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Mundpflege nach jedem Erbrechen und kleine Essportionen, ggf. auch eine Ablaufsonde. Spricht eine opioidbedingte Nausea nicht auf eine antiemetische Therapie an, hilft manchmal ein Wechsel des Opioids. Ansonsten werden anti­dopaminerge Substanzen wie Haloperidol und Metoclopramid empfohlen, bei unzureichendem Erfolg breit wirksame Antipsychotika wie Levomepromazin.

Antihistaminika wie Dimenhydrinat kommen vor allem bei vestibulärer oder zerebraler Ursache von Übelkeit und Erbrechen infrage, Dexamethason bei derartigen Beschwerden infolge Hirnmetastasen. 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten können bei Kontraindikationen gegen Metoclopramid und Haloperidol oder ergänzend angewendet werden. Bei (drohender) Exsikkose und Nährstoffmangel ist bei Patienten mit nicht-heilbarem Tumor mitunter eine parenterale Substitution indiziert.

Maligne intestinale Obstruktion

Operative Maßnahmen können die Symptome der malignen intestinalen Obstruktion beseitigen oder deutlich lindern, aber auch schwerwiegende Komplikationen wie enterokutane Fisteln oder eine Anastomoseninsuffizienz auslösen. Außerdem können sie Patienten mit wenig verbleibender Lebenszeit lange im Krankenhaus halten. Bei isolierter Obstruktion des Kolons oder Rektums bzw. am Magenausgang kommt alternativ zum operativen Eingriff eine endoskopische Stentanlage zur Symptomlinderung in Betracht.

Zur antiemetischen Behandlung werden bei der inkompletten malignen intestinalen Obstruktion Prokinetika wie Metoclopramid empfohlen. Bei Patienten mit vollständigem Verschluss sind diese Wirkstoffe hingegen tabu. Stattdessen sollten dann Antipsychotika (z.B. Haloperidol, Levomepromazin) oder Antihistaminika gegeben werden, ggf. kombiniert mit 5-HT3-Antagonisten. Anticholinergika wie Butylscopolamin dienen der gastrointestinalen Sekretreduktion. Mit der Gabe von Kortikoiden über fünf bis zehn Tage kann man eine Passageöffnung versuchen. Unter den pflegerischen Maßnahmen steht die Linderung der Mundtrockenheit an erster Stelle (Lippen befeuchten, gefrorene Fruchtstückchen oder Kaugummi). Bei Meteorismus können feucht-warme Bauchwickel angeboten werden.

Maligne Wunden

Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Versorgung maligner Wunden ist die Geruchsreduktion. Deshalb sollten die Wunden bei jedem Verbandwechsel sorgfältig und schonend gereinigt werden. Zur Keimminderung eignet sich Metronidazol, das bei Geruchsbildung auch oral oder intravenös gegeben werden kann. Empfohlen werden exsudataufnehmende, keimbindende Verbandmaterialien. Auch Wundauflagen mit Aktivkohle eignen sich zur Geruchsminderung.

Die Risiken einer chirurgischen Abtragung des nekrotischen Gewebes müssen mit dem Patienten sorgfältig abgewogen werden. Gegen Wundschmerzen hilft eine lokale Therapie mit einem Lokalanästhetikum oder Analgetikum, etwa einem Morphin-Gel (s. Kasten). Falls mit schweren Blutungen zu rechnen ist, raten die Autoren, schon frühzeitig einen schriftlichen Notfallplan zu erstellen.

Morphin-Gel gegen Wundschmerz

  • Morphinhydrochlorid-Trihydrat (0,1 g)
  • Ethylendiamintetraessigsäure-Natriumsalz (0,1 g)
  • Hydroxyethylcellulose 400 (4,5 g)
  • Polyhexanid-Konzentrat 20 % (m/V) (0,2 ml)
  • gereinigtes Wasser (Ph. Eur.) (ad 100 g)
Morphin-Gel 0,1 % (nach Herbig 2011) konserviert mit Polyhexanid und modifiziert nach einem Rezepturhinweis im neuen Rezepturformularium (NRF); zur Behandlung schmerzender, infizierter, oberflächiger Wunden.

Angst

Patienten mit nicht-heilbarer Krebserkrankung sollte man regelmäßig nach Ängsten fragen samt Intensität und Inhalt. Wenn eine nicht-medikamentöse Therapie unmöglich oder unwirksam ist, werden Anxiolytika empfohlen. In der Akutsituation eignen sich kurzwirksame Benzodiazepine, bei mangelndem Effekt oder Unverträglichkeit sollte die Indikation für Antidepressiva oder Antipsychotika geprüft werden. Unkontrollierte, potenzielle Angst­auslöser wie Schmerz, Atemnot und Übelkeit sind ebenfalls zu behandeln. Auch die Angehörigen profitieren erfahrungsgemäß von Maßnahmen zur Prophylaxe und Reduktion von Ängsten.

Todeswünsche

Wer unheilbar Krebskranke betreut, sollte sich nach Todeswünschen erkundigen. Befürchtungen, man könnte damit suizidale Gedanken wecken oder steigern, sind nach der Erfahrung der Leitlinienautoren unbegründet. Wichtig zu wissen ist, was der Patient über Beginn, Fortsetzung und Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen denkt. Außerdem sollten unkontrollierte Symptome des Tumorleidens wie Schmerzen, Atemnot und Übelkeit, aber auch Angst und Depression so gut wie möglich behandelt werden. Bei perakuter Suizidalität ist in seltenen Fällen auch eine Klinikeinweisung zu erwägen. Notfalls kann auch eine palliative Sedierung angeboten werden.

Quelle: Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, AWMF-Registernummer 128/001-OL, www.awmf.org

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Den todkranken Patienten sollte die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich gemacht werden. Den todkranken Patienten sollte die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich gemacht werden. © iStock/Ridofranz