Neue Nomenklatur beruht auf Krankheitsmechanismen

Dr. Andrea Wülker

Die Experten unterscheiden neun Formen allergischer Erkrankungen. Die Experten unterscheiden neun Formen allergischer Erkrankungen. © ViDi Studio - stock.adobe.com

In den letzten Jahren gab es viele neue Erkenntnisse über die pathologischen Abläufe, die den verschiedenen Allergietypen zugrunde liegen. Darauf hat die Europäische Akademie für Allergie und klinische Immunologie reagiert und die Klassifizierung allergischer Erkrankungen und Überempfindlichkeitsreaktionen kürzlich überarbeitet.

Neue diagnostische Möglichkeiten auf molekularer und genetischer Ebene haben dazu geführt, dass allergische Erkrankungen zunehmend anhand von Biomarkern und immunologischen Signalwegen und weniger aufgrund von Symptomen und Organfehlfunktionen charakterisiert werden. Die Europäische Akademie für Allergie und klinische Immunologie (EAACI) schlägt deshalb eine neue Nomenklatur vor, die auf den Krankheitsmechanismen basiert. Dies erleichtert ein gezieltes und personalisiertes Krankheitsmanagement, schreibt der Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA) in einer Pressemitteilung zum EAACI-Positionspapier. „Wir gehen davon aus, dass die neue Klassifikation den Behandlungsansatz allergischer Erkrankungen grundlegend verändern wird“, heißt es weiter in der AeDA-Meldung. Wie sieht die neue EAACI-Einteilung genau aus? Die Experten unterscheiden neun Formen allergischer Erkrankungen (s. Tabelle).

Neue Nomenklatur allergischer Erkrankungen nach EAACI 2023

Allergie

durch Inflammation/Immunsystem gesteuert – antikörpervermittelt

durch Inflammation/Immunsystem gesteuert  – zellvermittelt

gewebegesteuerte Mechanismen

direkte Antwort auf chemische Substanzen

Typ I
(Sofort-Typ)

Typ II
(zytotoxischer Typ)

Typ III
(Immunkomplex-Typ)

Typ IVa
(T1)

Typ IVb
(T2)

Typ IVc
(T3)

Typ V
(epithelial)

Typ VI
(metabolisch)

Typ VII

z.B. allerg. Rhinitis, Asthma, atop. Dermatitis

z.B. medikamenten-induzierte Zytopenie

z.B. medikamenten-induzierte Vaskulitis, Serumkrankheit

z.B. allerg. Kontaktdermatitis, allerg. Rhinitis, Zöliakie

z.B. Asthma, allerg. Rhinitis, atop. Dermatitis (Typ-2-Endotypen)

z.B. neutrophiles Asthma

z.B. Asthma, eosinophile Ösophagitis    

z.B. Asthma plus Adipositas, histamingesteuerte Störungen

z.B. AERD

 

Typ I – Allergie vom Sofort-Typ

IgE-abhängige Typ-I-Reaktionen treten bei Patienten mit allergischer Rhinitis bzw. Rhinokonjunktivitis, Asthma, atopischer Dermatitis, akuter Urtikaria/Angiödem, Lebensmittel-, Insektengift- und Medikamentenallergie auf. Eine wichtige Rolle spielen bei diesem Allergietyp bestimmte Interleukine (IL; IL-4, ­IL-5, IL-9, IL-13) sowie verschiedene Mediatoren, die aus Mastzellen und Basophilen freigesetzt werden.

Typ II – antikörpervermittelte zelluläre Zytotoxizitätsreaktion

Dabei handelt es sich oft um medikamenteninduzierte Reaktionen, von denen man annimmt, dass sie allergische Zytopenien verursachen. Doch werden Typ-II-Reaktionen auch bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen beobachtet. Bei der Typ-II-Reaktion schädigen IgG und IgM Zellen über verschiedene Mechanismen, z.B. über die Aktivierung des Komplementsystems oder über die Aktivierung von Eosinophilen.

Typ-III – immunkomplexvermittelte Reaktion

Hierzu zählen die akute Phase der extrinsischen allergischen Alveolitis, die medikamenteninduzierte Vaskulitis, die Serumkrankheit und die Arthus-Reaktion. Ausgelöst werden Typ-III-Reaktionen durch die Bindung von IgM- und IgG-Antikörpern an lösliche Anti­gene, die als Allergene fungieren. Diese Antigen-Anti­körper-Komplexe lagern sich in verschiedenen Geweben ab und führen dort zur Inflammation. Das triggert wiederum eine Aktivierung des Komplementsystems und in der Folge lokal entzündliche Reaktionen und Gewebeschäden.

Typ-IV – zellvermittelte Reaktion

Gedächtnis-T-Lymphozyten, die mit ILC (innate lymphoid cells), natürlichen Killerzellen, Neutrophilen, Eosinophilen und Makrophagen interagieren, sind die Treiber der Typ-IV-Reaktion (früher: Allergie vom Spättyp). Typ IVa (T1-Immunantwort): Ein Beispiel ist das allergische Kontaktekzem, an dessen Entstehung Th1- und Tc1-Zellen beteiligt sind. Typ IVb (T2-Immunantwort): Beispiele sind atopische Dermatitis, chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen und Asthma (T2-Endotypen). Für die Typ-IVb-Reaktion spielen Th2-Zellen, ILC2, natürliche Killerzellen, Eosinophile und bestimmte Makro­phagen eine wichtige Rolle. Typ IVc (T3-Immunantwort): Beispiel hierfür ist das neutrophile Asthma. Wichtiges Merkmal bei der Typ-IVc-Allergie ist die Infiltration des Gewebes mit Neutrophilen, die durch IL-17 und andere Interleukine angelockt werden.

Typ V – Defekt der Epithelbarriere

In den letzten Jahren gab es neue Erkenntnisse zu entzündlichen Erkrankungen der Haut und Schleimhäute wie z.B. atopische Dermatitis, Asthma, allergische Rhinitis, eosinophile Ösophagitis oder Zöliakie. Diesen Krankheitsbildern können unterschiedliche Pathomechanismen zugrunde liegen. Manchmal handelt es sich nicht um eine primäre Immunfehlregulation, sondern um eine Störung der Haut- oder Schleimhautbarriere, die dann das Immunsystem aktivieren und eine chronische Inflammation nach sich ziehen kann. 

Typ VI – metabolisch induzierte Immundysregulation

Diese kann beispielsweise bei adipösen Personen mit Asthma vorliegen. Ein hoher BMI ist mit erhöhten zirkulierenden Entzündungsmediatoren assoziiert. Bei diesen Patienten kommt es jedoch nicht nur zu einer vermehrten Freisetzung von inflammatorischen Substanzen und einer (aller­gischen) Atemwegsentzündung, sondern auch zu ungünstigen Veränderungen des Mikrobioms in Darm, Nase, Mundhöhle und Lunge.

Typ VII – direkte zelluläre und inflammatorische Reaktion auf chemische Substanzen

Typ-VII-Reaktionen treten u.a. bei Patienten mit allergischer Rhinitis/Rhinokonjunktivitis, Asthma, akuter Urtikaria oder Medikamentenallergie auf. Ein Beispiel für eine Typ-VII-Reaktion ist AERD* (aspirin-exacerbated respiratory disease). Bei AERD kommt es zu einer übermäßigen Produktion von entzündungsfördernden Cysteinyl-Leukotrienen, die eine Bronchokonstriktion, erhöhte Gefäßpermeabilität und Mukusbildung verursachen.

Allergie-Definition der EAACI

Eine Allergie ist laut EAACI-Definition eine abnorme oder übertriebene Reaktion auf einen exogenen Stimulus. Sie umfasst verschiedene Typen von Hypersensitivitätsreaktionen, an denen Antikörper, immunzellvermittelte, gewebsgesteuerte und metabolische Mechanismen beteiligt sind. Dies führt zur Entwicklung von respiratorischen, gastrointestinalen, Augen-, Haut- und weiteren Symptomen und schließt auch die Anaphylaxie ein.

* AERD = aspirin-exacerbated respiratory diseases; T1/T2/T3 = Typ-1/Typ-2/Typ-3-Immunantwort

Quelle: Jutel M et al. Allergy 2023; 78: 2851-2874; DOI: 10.1111/all.15889

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