Notfall Stromschlag: Was tun, wenn‘s knallt?

Dr. Dorothea Ranft

Wenn die Sicherung doch nicht draußen ist, jagen 230 Volt durch den Körper. Die können für eine Asystolie schon ausreichen. Wenn die Sicherung doch nicht draußen ist, jagen 230 Volt durch den Körper. Die können für eine Asystolie schon ausreichen. © fotolia/VRD

Elektrounfälle sind nicht zu unterschätzen: Selbst Haushaltsstrom kann einen Herz-Kreislauf-Stillstand auslösen. Aber eine Re­animation ist oft erfolgreich – auch wenn sie etwas länger dauert. Außerdem lässt sich anhand des EKG entscheiden, welche Stromopfer im Krankenhaus bleiben müssen und wer nach Hause darf.

Die Häufigkeit von Stromschlägen wird meist unterschätzt, weil keiner sie meldet, schreiben französische Forscher um Dr. Victor Waldmann vom Cardiologie Départment am Hôpital Européen Georges Pompidou in Paris. Allein in den USA rechnet man mit 4800 Stromverletzungen im Jahr, darunter 400 tödlichen. Die meisten Unfälle ereignen sich am Arbeitsplatz, Blitzschlag-Verletzungen sind mit rund hundert Todesfällen im Jahr deutlich seltener.

Membranen durchlöchert, Gewebe verbrannt

Auch jugendlicher Leichtsinn wie das Erklimmen von Strommasten spielt eine Rolle. Kindern werden nach wie vor meist ungesicherte Steckdosen oder Kabel zum Verhängnis.

Stromschläge können die verschiedensten Schäden auslösen: Direkter Elektrokontakt führt zur Depolarisation und zur Elektroporation der betroffenen Zellen, d.h., die elektrischen Eigenschaften werden verändert und die Zellmembran „gelöchert“. Mindestens ebenso schädlich wirken die indirekten Effekte: Durch die Umwandlung der elek­trischen Energie in Hitze kommt es häufig zu schweren Verbrennungen. Stürzt der Betroffene, verschlimmert das Trauma die Folgen zusätzlich. Lebensgefahr entsteht durch ausgedehnte Verbrennungen oder Organschäden.

Das Ausmaß der zu erwartenden Schäden lässt sich anhand der Stromspannung abschätzen, wobei man zwischen Hoch- und Niedervolt-Unfällen unterscheidet. Hochspannungsleitungen führen bis zu 400 000 V, Oberleitungen der Eisenbahn ca. 25 000 V und Freileitungen 1500 V. Niedervolt-Unfälle ereignen sich z.B. in der U-Bahn (750 V) oder im Haushalt (230 V).

Trockene Haut kann auch ihr Gutes haben

Die Kontaktdauer und der Widerstand des Gewebes beeinflussen ebenfalls das Ausmaß. Feuchtigkeit reduziert den Hautwiderstand erheblich – mit schwerwiegenden Folgen. Statt oberflächlicher Hautläsionen, wie sie bei entsprechender Spannung und trockener Haut zu erwarten wären, kommt es zu einem lebensgefährlichen Stromschlag mit ausgedehnten inneren Verletzungen. Im Körper nutzt der Strom den Weg des geringsten Widerstands, er breitet sich also entlang von Nerven und Blutgefäßen aus.Hautverbrennungen sieht man vor allem an den Ein- und Austrittsstellen, wobei sich letztere meist dort befinden, wo der Patient Bodenkontakt hatte.

24h-EKG nach Unfall mit Hochspannung

Unter den Organschäden sind vor allem die kardialen Läsionen gefürchtet. Schon wegen seiner Lage ist das Herz besonders exponiert, egal ob der Strom horizontal (von Hand zu Hand) oder vertikal (von Kopf oder Hand bis Fuß) durch den Körper fließt, immer durchdringt er das Herz. Als Folge drohen lebensgefährliche Arrhythmien, die sich gelegentlich erst verspätet manifestieren.

Organschäden im Überblick

  • Herz: Arrhythmie, Bradykardie, Herzmuskelschaden
  • Atemwege: Paralyse der Atemmuskulatur (z.B. Zwerchfell) oder tetanische Kontraktionen, fehlende Atemkontrolle im Gehirn
  • Haut: Ausgedehnte Verbrennungen mit Flüssigkeitsverlust
  • ZNS: Bewusstlosigkeit, Amnesie, Rückenmarksverletzung, Paralyse, Hypästhesie in den Extremitäten, posttraumatische Belastungsstörung, Depression, chronische neuropathische Schmerzen
  • Blutgefäße: Thrombose
  • Niere: Insuffizienz durch tubuläre Präzipitation von Myoglobin infolge von Muskelschäden
  • Muskuloskelettales System: Rhabdomyolyse, Frakturen, Luxationen, Kompartmentsyndrom

Selbst haushaltsüblicher Wechselstrom kann eine Asystolie auslösen, betonen die Autoren. Mitunter sind unspezifische EKG-Veränderungen der einzige Hinweis auf einen Herzmuskelschaden, denn Thoraxschmerzen fehlen teilweise. Vor allem bei Hochvolt-Unfällen kommt es gelegentlich zu Myokardinfarkten durch arterielle Okklusion. Die wichtigste Erstmaßnahme heißt „Strom abschalten“, um weitere Unfälle zu verhindern. Die Notfalltherapie orientiert sich an den Symptomen des Patienten. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand sollte man auf jeden Fall eine Reanimation versuchen und ggf. auch eine längere Dauer einplanen. Unmittelbar einsetzende Wiederbelebungsmaßnahmen können bei Stromverletzungen ein langfristiges Überleben ermöglichen. Selbst nach verlängerter Reanimation wurden komplette Remissionen beobachtet. Ansonsten richten sich die lebensrettenden Maßnahmen nach den üblichen Empfehlungen. Eine intravenöse Flüssigkeitsgabe ist auch bei normalen Blutdruckwerten sinnvoll, um ein Nierenversagen zu verhindern. Dr. Waldmann und Kollegen empfehlen grundsätzlich eine Klinikaufnahme. Das weitere Vorgehen richtet sich ganz wesentlich nach der Herzfunktion:
  • Die einfachste Gruppe sind Patienten mit Niedervolt-Unfällen ohne Bewusstseinsverlust oder Herzstillstand. Bei ihnen sind ernste Rhythmusstörungen unwahrscheinlich, wenn das EKG im Krankenhaus normal ausfällt. Sie können ohne Monitoring nach Hause entlassen werden.
  • Bei Hochvolt-Unfällen ist wegen der Gefahr von Spät-Arrhythmien ein EKG-Monitoring über 24 Stunden nach der stationären Einweisung bzw. Beendigung der Arrhythmie sinnvoll.
Für Kinder gilt aufgrund der ähnlichen Prognose das gleiche Vorgehen.

Waldmann V et al. BMJ 2017; online first

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Wenn die Sicherung doch nicht draußen ist, jagen 230 Volt durch den Körper. Die können für eine Asystolie schon ausreichen. Wenn die Sicherung doch nicht draußen ist, jagen 230 Volt durch den Körper. Die können für eine Asystolie schon ausreichen. © fotolia/VRD