Palliative Sedierung bleibt trotz Empfehlungen ein ethisches Dilemma

Manuela Arand

Schmerzlinderung oder Sterbehilfe? Die Frage, ob eine Sedierung ethisch zulässig ist, bleibt. Schmerzlinderung oder Sterbehilfe? Die Frage, ob eine Sedierung ethisch zulässig ist, bleibt. © fotolia/peckyhyong

Bei terminal Kranken kann es passieren, dass nur eine palliative Sedierung das Leiden lindert. Was ethisch vertretbar ist, steht in jedem Einzelfall neu zur Debatte.

Sedierung in der Palliativsituation ist und bleibt ein „Aufregerthema“, konstatierte Professor Dr. Bernd Alt-Epping, Palliativzentrum der Universitätsmedizin Göttingen. Die European Association for Palliative Care (EAPC) hat versucht, es mit einer Zehnpunkte-Konsensusempfehlung zu entschärfen. Palliative Sedierung wird demnach verstanden als der „überwachte Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage, um die Symptomlast in anderweitig therapierefraktären Situationen in einer für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter ethisch akzeptablen Weise zu reduzieren“. Andere beschreiben hingegen die palliative Sedierung als „aggressive Intervention“ im Sinne einer Alternative zur aktiven Sterbehilfe.

Das Dilemma bleibt. Es beginnt bereits bei dem Punkt, wann und für wen die palliative Sedierung infrage kommt. Oft heißt es: nur bei unerträglichem Leid. Aber wer beurteilt, was unerträglich ist? Was tun, wenn der Patient oder die Angehörigen die Situation unerträglich finden, das medizinische Team das aber nicht nachvollziehen kann?

Sterben wollen, aber über die Station laufen

Prof. Alt-Epping schilderte beispielhaft einen Patienten mit metastasiertem Pankreaskarzinom und Ileus, dessen Übelkeit und Erbrechen mit keinem Antiemetikum zu beseitigen waren, der eine Nasensonde als quälend empfand und vehement forderte, man solle ihn schlafen lassen, „bis ich sterbe“. Zugleich war er mobil und lief durch die Station, machte also nicht unbedingt den Eindruck eines Sterbenden. „Das Kriterium unerträgliches Leid hat es allein schon in sich“, so der Palliativmediziner.

Schwammig wird es auch dort, wo es nicht um Schmerzen, Übelkeit und Atemnot, sondern um psychische Symptome und existenzielles Leid geht. Hierbei ist die Diskussion noch schwieriger, weil sich Refraktärität oft kaum einschätzen lässt und das Befinden dynamischen Schwankungen unterliegt. Die EAPC formuliert Vorschläge, wie sich das auflösen lässt: Danach kommt eine palliative Sedierung nur infrage, wenn eine fortgeschrittene (somatische) Begleiterkrankung vorliegt, die Situation wiederholt von psych­iatrisch erfahrenen Ärzten abgeschätzt und in einer multiprofessionellen Fallkonferenz erörtert wurde. Auch dann sollte die Sedierung zunächst intermittierend erfolgen. „Daraus spricht ein Unbehagen der Autoren, die Tür für die Sedierung psychisch Kranker zu öffnen“, meinte Prof. Alt-Epping.

Intuitiv neigt man dazu zuzustimmen, dass eine palliative Sedierung der letzten Lebensphase kurz vor dem Sterben vorbehalten bleiben sollte. Aber auch das lässt wieder Fragen aufkommen: Was tun mit Menschen, die irreparable Hirnschäden erlitten haben, aber nicht unmittelbar vom Tod bedroht sind? Kann es legitim sein, schwerstkranke Neugeborene, Kinder oder demente Patienten palliativ zu sedieren bzw. ihnen diese Maßnahme vorzuenthalten?

Eigene „rote Linie“ des ethisch Zulässigen formulieren

Hinzu kommt, dass das Spektrum der sedierenden Maßnahmen fließend ist. Es reicht von intermittierender Sedierung als „Auszeit“ vom Leiden über kontinuierliche Sedierung mit lebenserhaltenden Maßnahmen und Überwachung der Vitalfunktionen bis hin zur tiefen, dauerhaften Sedierung (s. Kasten).

Sterbehilfe oder Sedierung?

DCSD steht für „deep continuous sedation until death“, also tiefe kontinuierliche Sedierung, bis der Tod eintritt. Gemeint ist, dass ein Patient so tief und mit eskalierenden Medikamentendosen betäubt wird, dass er – in der Regel noch am selben Tag – stirbt. Die Grenze zur Sterbehilfe ist hier natürlich fließend, die Strategie laut Prof. Alt-Epping hoch umstritten.

 Hier positioniert sich die EAPC ganz klar. Lebensverkürzung sei kein zulässiges Therapieziel, ein kontinuierliches Monitoring Pflicht. „Die Medikamentendosierung sollte schrittweise so gesteigert oder reduziert werden, dass die Symptomlast effektiv gelindert, die Bewusstseinslage möglichst wenig beeinträchtigt wird und Nebenwirkungen vermieden werden“, heißt es in dem Zehnpunktepapier. Prof. Alt-Epping: „Die palliative Sedierung fordert uns heraus, die eigene ‚rote Linie‘ des ethisch Zulässigen zu formulieren.“

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