
Per Not-OP zur Diagnose

Mit skrotalen Schmerzen, die seit zehn Tagen immer schlimmer wurden, kam der 67-Jährige in die Ambulanz. Er wies beidseits eine druckdolente Hodenschwellung auf und hatte hohe Entzündungswerte. Im Ultraschall erkannte man eine Hyperperfusion der Epididymalgefäße und eine Flüssigkeitsansammlung im Nebenhoden. Da das Alter des Patienten eine Hodentorsion unwahrscheinlich machte, gingen die Kollegen von einer infektiösen Epididymitis aus und schickten ihn mit einem Ciprofloxacin-Rezept nach Hause.
Allerdings stand der Mann drei Tage später wieder vor der Tür: Schmerzen und Allgemeinzustand hatten sich eher verschlechtert als verbessert. Daran änderte auch die stationäre Aufnahme und eine intravenöse Gabe von Amoxicillin/Clavulansäure nichts. In einer solchen Situation sollte man eigentlich seltenere bakterielle Epididymitisursachen oder Hodentumoren ausschließen, schreiben Meglena Dokova von der Abteilung Innere Medizin des Kantonsspitals Glarus und Kollegen. Aber die Zeit drängte.
Bei jüngeren Patienten biopsieren statt resezieren
Statt infektiologischem Konsil und Tumorsuche war angesichts der konservativ nicht beherrschbaren Epididymitis die notfallmäßige Entfernung der Nebenhoden erforderlich, betont das Autorenteam. Bei jüngeren Patienten wäre allerdings zum Erhalt der Fertilität eine Biopsie vorzuziehen gewesen.
Durch die Operation verschwanden nicht nur die Schmerzen. Es fand sich auch die Erklärung für den schlechten Zustand des Kranken. Der Pathologe erkannte im resezierten Nebenhoden nicht-granulomatöse Infiltrate der kleinen und mittelgroßen Arterienwände mit Nekrosen und intraluminalen Thromben, wie sie für eine nekrotisierende Vaskulitis typisch sind.
Indizien für IgA-Vaskulitis und Granulomatose fehlen
Aufgrund der blanden Mikrobiologie, fehlender Anzeichen für eine Neoplasie und unauffälligen Thorax- und Abdomen-CT-Aufnahmen ergaben sich drei Differenzialdiagnosen. Für eine Granulomatose mit Polyangiitis fehlten jedoch die klinischen Hinweise auf eine Nasen-, Lungen- oder Nierenbeteiligung sowie die entsprechenden Antikörper. Gegen die IgA-Vaskulitis sprach, dass weder intravasale IgA-Immunkomplexe noch Gelenk- oder Abdominalbeschwerden vorlagen. Die Kollegen entschieden sich deshalb für die dritte Möglichkeit und stellten die Verdachtsdiagnose Polyarteriitis nodosa (PAN). Unter Prednison (initial 60 mg/d) und Methotrexat als Erhaltungstherapie stellte sich klinisch und laborchemisch eine Remission ein.
Mit einer Inzidenz von bis zu 1,6 : 1 Mio. Einwohnern kommt die PAN eher selten vor. Bei Männern ist eine Beteiligung des Hodens in irgendeiner Form fast immer gegeben, die PAN-Epididymitis findet sich in circa 16 % der Fälle. Daher wird die testikuläre Manifestation, obwohl selten, als pathognomonisch für die PAN angesehen. Der Patient passte auch deshalb gut ins Schema, weil die Krankheit häufiger bei Männern und besonders oft in der vierten bis sechsten Lebensdekade auftritt.
Unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit, Fieber, Gewichtsverlust sowie Myalgien und Arthralgien sind bei der PAN häufig. In etwa 60 % der Fälle sind mit der Erkrankung Mononeuritiden, in 40 % abdominelle Schmerzen verbunden. Als besonders problematisch gelten Aneurysmata in den Arterien mittleren Kalibers als Folge der Vaskulitis. Sie können Infarkte, Embolien und Blutungen begünstigen.
Differenzialdiagnostik muss breit angelegt sein
Für die PAN gibt es keinen diagnostischen Algorithmus. Um andere entzündliche Erkrankungen auszuschließen, bedarf es einer breiten klinischen, laborchemischen, radiologischen und histologischen Abklärung, schreiben Meglena Dokova und ihre Kollegen. Die Angiografie des Abdomens ist obligat, da sie die Diagnose der klassischen generalisierten Form ermöglicht.
Five-Factor-Score
Die prognostischen Faktoren der PAN sind gut erforscht und werden im modifizierten Five-Factor-Score zusammengefasst. Je einen Punkt gibt es für
- Alter > 65 Jahre
- kardiale Symptome
- gastrointestinalen Befall
- Niereninsuffizienz
Eine HNO-Beteiligung gilt als protektiv und schlägt mit -1 zu Buche. Die Fünf-Jahres-Mortalität beträgt bei null Punkten 9 %, bei einem Punkt 21 % und bei zwei und mehr Punkten 40 %.
Quelle: Guillevin L et al. Medicine (Baltimore) 2011; 90: 19–27; DOI: 10.1097/MD.0b013e318205a4c6
Das Behandlungskonzept bei der Polyarteriitis nodosa basiert auf Immunsuppressiva: Steroide zum Erstmanagement und Cyclophosphamid, Azathioprin oder Methotrexat zum Remissionserhalt. Ob sie dem vorgestellten Patienten dauerhaft geholfen haben, berichten die Autoren abschließend nicht. Im Five-Factor-Score (s. Kasten) erreichte der Mann nur einen Punkt, weshalb die Autoren bei ihm von einer guten Prognose ausgehen.
Quelle: Dokova M et al. Swiss Med Forum 2023; 23: 1410-1412; DOI: 10.4414/smf.2023.1137076985
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