Per Not-OP zur Diagnose

Michael Brendler

Eine Polyarteriitis nodosa kann auch andere Organe beeinträchtigen, beispielsweise die Nieren. Eine Polyarteriitis nodosa kann auch andere Organe beeinträchtigen, beispielsweise die Nieren. © JosLuis - stock.adobe.com

Eigentlich sprachen bei einem 67-Jährigen alle Zeichen für eine infektiöse Epididymitis. Doch trotz Antibiotikagabe verschlechterte sich der Zustand des Mannes. Erst eine Notoperation brachte Linderung – und den wahren Auslöser ans Licht.

Mit skrotalen Schmerzen, die seit zehn Tagen immer schlimmer wurden, kam der 67-Jährige in die Ambulanz. Er wies beidseits eine druckdolente Hodenschwellung auf und hatte hohe Entzündungswerte. Im Ultraschall erkannte man eine Hyperperfusion­ der Epididymal­gefäße und eine Flüssigkeits­an­sammlung im Nebenhoden. Da das Alter des Patienten eine Hodentor­sion unwahrscheinlich machte, gingen die Kollegen von einer infektiösen Epididymitis aus und schickten ihn mit einem Ciprofloxacin-Rezept nach Hause.

Allerdings stand der Mann drei Tage später wieder vor der Tür: Schmerzen und Allgemeinzustand hatten sich eher verschlechtert als verbessert. Daran änderte auch die stationäre Aufnahme und eine intravenöse Gabe von Amoxicillin/Clavulansäure nichts. In einer solchen Situation sollte man eigentlich seltenere bakterielle Epididymitis­ursachen oder Hodentumoren ausschließen, schreiben ­Meglena ­Dokova von der Abteilung Innere Medizin des Kantonsspitals Glarus und Kollegen. Aber die Zeit drängte. 

Bei jüngeren Patienten biopsieren statt resezieren

Statt infektiologischem Konsil und Tumorsuche war angesichts der  konservativ nicht beherrschbaren Epididymitis die notfallmäßige Entfernung der Nebenhoden erforderlich, betont das Autorenteam. Bei jüngeren Patien­ten wäre allerdings zum Erhalt der Fertilität eine Biopsie vorzuziehen gewesen. 

Durch die Operation ver­schwan­den nicht nur die Schmerzen. Es fand sich auch die Erklärung für den schlechten Zustand des Kranken. Der Pathologe erkannte im resezierten Nebenhoden nicht-granulomatöse Infiltrate der kleinen und mittelgroßen Arterienwände mit Nekrosen und intraluminalen Thromben, wie sie für eine nekrotisierende Vaskulitis typisch sind. 

Indizien für IgA-Vaskulitis und Granulomatose fehlen

Aufgrund der blanden Mikrobiologie, fehlender Anzeichen für eine Neo­plasie und unauffälligen Thorax- und Abdomen-CT-Aufnahmen ergaben sich drei Differenzialdia­gnosen. Für eine Granulomatose mit Polyangiitis fehlten jedoch die klinischen Hinweise auf eine Nasen-, Lungen- oder Nierenbeteiligung sowie die entsprechenden Antikörper. Gegen die IgA-Vaskulitis sprach, dass weder intravasale IgA-Immunkomplexe noch Gelenk- oder Abdominal­beschwerden vorlagen. Die Kollegen entschieden sich deshalb für die dritte Möglichkeit und stellten die Verdachtsdiagnose Polyarteriitis nodosa (PAN). Unter Prednison (initial 60 mg/d) und Metho­trexat als Erhaltungstherapie stellte sich klinisch und laborchemisch eine Remission ein. 

Mit einer Inzidenz von bis zu ­1,6 : 1 Mio. Einwohnern kommt die PAN eher selten vor. Bei Männern ist eine Beteiligung des Hodens in irgendeiner­ Form fast immer gegeben, die PAN-Epididymitis findet sich in circa 16 % der Fälle. Daher wird die testikuläre Manifestation, obwohl selten, als pathognomonisch für die PAN angesehen. Der Patient passte auch deshalb gut ins Schema, weil die Krankheit häufiger bei Männern und besonders oft in der vierten bis sechsten Lebens­dekade auftritt. 

Unspezifische Symptome wie ­Abgeschlagenheit, Fieber, Gewichtsverlust sowie Myalgien und Arthralgien sind bei der PAN häufig. In etwa 60 % der Fälle sind mit der Erkrankung ­Mononeuritiden, in 40 % abdominelle Schmerzen verbunden. Als besonders problematisch gelten A­neurysmata in den Arterien mittleren Kalibers als Folge der Vaskulitis. Sie können Infarkte, Embolien und Blutungen begünstigen. 

Differenzialdiagnostik muss breit angelegt sein

Für die PAN gibt es keinen diagnostischen Algorithmus. Um andere entzündliche Erkrankungen auszuschließen, bedarf es einer breiten klinischen, laborchemischen, radiologischen und histologischen Abklärung, schreiben Meglena ­Dokova und ihre Kollegen. Die Angiografie des Abdomens ist obligat, da sie die Diagnose der klassischen generalisierten Form ermöglicht.

Five-Factor-Score

Die prognostischen Faktoren der PAN sind gut erforscht und werden im modifizierten Five-Factor-Score zusammengefasst. Je einen Punkt gibt es für

  • Alter > 65 Jahre
  • kardiale Symptome
  • gastrointestinalen Befall
  • Niereninsuffizienz

Eine HNO-Beteiligung gilt als protektiv und schlägt mit -1 zu Buche. Die Fünf-Jahres-Mortalität beträgt bei null Punkten 9 %, bei einem Punkt 21 % und bei zwei und mehr Punkten 40 %.

Quelle: Guillevin L et al. Medicine (Baltimore) 2011; 90: 19–27; DOI: 10.1097/MD.0b013e318205a4c6

Das Behandlungskonzept bei der Polyarteriitis nodosa basiert auf Immunsuppressiva: Steroide zum Erstmanagement und Cyclophosphamid, Azathioprin oder Methotrexat zum Remissionserhalt. Ob sie dem vorgestellten Patienten dauerhaft geholfen haben, berichten die Autoren abschließend nicht. Im Five-Factor-Score (s. Kasten) erreichte der Mann nur einen Punkt, weshalb die Autoren bei ihm von einer guten Prognose ausgehen.

Quelle: Dokova M et al. Swiss Med Forum 2023; 23: 1410-1412; DOI: 10.4414/smf.2023.1137076985

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Eine Polyarteriitis nodosa kann auch andere Organe beeinträchtigen, beispielsweise die Nieren. Eine Polyarteriitis nodosa kann auch andere Organe beeinträchtigen, beispielsweise die Nieren. © JosLuis - stock.adobe.com