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Plötzlicher Dopaminüberschuss

Amantadin ist ein N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoragonist mit sekundärer dopaminerger Wirkung. Er stammt ursprünglich aus der Influenza- und der Parkinsontherapie, wird aber mittlerweile auch zur Behandlung von Fatigue bei Multipler Sklerose eingesetzt. Da er hauptsächlich renal ausgeschieden wird, kann eine eingeschränkte Nierenfunktion unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Das belegt eine Kasuistik, die Dr. Jessica Barbara vom Mater Dei Hospital in Msida und Dr. Adrian Pace vom Gozo General Hospital in Victoria veröffentlicht haben.
Eine 47-jährige Patientin mit sekundär progredienter Multipler Sklerose und Hypothyreose suchte die Notaufnahme auf. Neben einer Harninkontinenz plagten sie visuelle Halluzinationen, hauptsächlich sah sie Flecken und Muster an den Wänden. Auf der Expanded Disability Status Scale erreichte sie einen Wert von 6,0 (Gehen bis zu 100 m mit einseitiger Hilfe). Ihre Medikation bestand aus Amantadin (2 x 100 mg/d) und Levothyroxin (100 μg/d). Seit dem Absetzen von Interferon beta 1a vor vielen Jahren hatte sie keine krankheitsmodifizierende Behandlung ihrer MS mehr erhalten.
Akute Nierenschädigung und Harnwegsinfektion
Die Entzündungsmarker lagen im Normbereich, in der kranialen Computertomografie konnte eine akute Pathologie ausgeschlossen werden. Blutuntersuchungen zeigten eine akute Nierenschädigung an. Der Serumharnstoff lag bei 1,62 mmol/l, das Kreatinin bei 233 μmol/l. Die eGFR erreichte 21 ml/min/1,73 m2). Es fanden sich Hinweise auf eine Harnwegsinfektion (erhöhte Leukozytenzahl im Urin, Nitrit positiv). In der CT imponierte eine vergrößerte Harnblase mit beidseitiger obstruktiver Uropathie. Die Patientin wurde stationär aufgenommen, katheterisiert und erhielt intravenös Amoxicillin/Clavulansäure sowie Flüssigkeit.
Im Krankenhaus wurden ihre Halluzinationen lebhafter. Sie sah „Insekten und kleine Tiere, die auf dem Bett und im Essen herumliefen“. Bekannte und Pflegepersonal schienen lustige Kostüme zu tragen. Außerdem bildete sie sich ein, über Nacht auf ein anderes Stockwerk verlegt worden zu sein. Diese Halluzinationen ähnelten denen eines Delirs, schreiben die Kollegen. Allerdings war die Patientin konstant wach, ansprechbar und orientiert. Eine innere Unruhe entstand bei ihr offenbar dadurch, dass die Halluzinationen sie ängstigten – obwohl sie sich jederzeit darüber im Klaren war, dass es sich dabei nicht um die Realität handelte.
Zunächst Behandlung mit Risperidon und Diazepam
Nach einem psychiatrischen Konsil leitete man eine Behandlung mit Risperidon und Diazepam ein. Amantadin wurde am vierten Tag nach der Einweisung abgesetzt, da der Verdacht bestand, dass die Nierenfunktionsstörung zu einer Akkumulation toxischer Konzentrationen geführt haben könnte. Denn eine verstärkte dopaminerge Wirkung im Gehirn kann Trugwahrnehmungen begünstigen; dieser Effekt wird auch für die Schizophrenie diskutiert.
Im Laufe der nächsten Tage flauten die Halluzinationen ab und verschwanden schließlich ganz. Die antipsychotische Medikation wurde über die nächsten Wochen ausgeschlichen; die akute Nierenschädigung bildete sich wieder zurück.
Eine eingeschränkte Nierenfunktion ist vor allem bei älteren Patienten häufig, so die Autoren – etwa infolge von Dehydratation, Hypotonie oder bestimmten Medikamenten. In all diesen Fällen ist eine Akkumulation von Amantadin möglich.
Quelle: Barbara JM, Pace A. Pract Neurol 2023; DOI: 10.1136/pn-2023-003723
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