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Prof. Dr. Volkmar Müller zu zwei deutschen Studien vom SABCS

Herr Professor Müller, haben Sie ein persönliches Highlight vom SABCS 2024?
Prof. Dr. Volkmar Müller: Ich habe mehrere Highlights, die wahrscheinlich die klinische Praxis verändern werden, darunter zwei wichtige Studien aus Deutschland. Das eine ist die INSEMA-Studie, die gezeigt hat, dass bei ausgewählten Patient:innen mit frühem Mammakarzinom (EBC) auf eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (SLNB) verzichtet werden kann. Die PRO-B-Studie aus Deutschland belegt bei metastasierten Erkrankten, wie wichtig eine kontinuierliche und zeitnahe Betreuung plus ggf. Intervention im Rahmen der palliativen Behandlung ist. Mein drittes Highlight ist die PATINA-Studie zur endokrinbasierten Erhaltungstherapie beim metastasierten HR+/HER2+ Mammakarzinom.
Die INSEMA-Studie zeigt, dass bei Patient:innen mit mehrheitlich HR+/HER2- EBC und klinisch/sonografisch unauffälligen axillären Lymphknoten (cN0) im Rahmen der brusterhaltenden Operation auf eine SLNB verzichtet werden kann. Bei welchen dieser Erkrankten werden Sie zukünftig den Eingriff weglassen?
Prof. Müller: Diese Daten werden den klinischen Alltag verändern. Bei der Umsetzung werden wir uns am Studienkollektiv orientieren. Die Kriterien für den Einschluss in die INSEMA-Studie waren zwar relativ breit. Schlussendlich hatten aber die randomisierten Patient:innen fast alle – über 95 % – einen HR+/HER2- EBC und jeweils über 90 % einen kleinen und gut bis mäßig differenzierten Primärtumor (T ≤ 2 cm; G1/2). Alle Teilnehmenden hatten keine klinisch und/oder in der Bildgebung auffälligen axillären Lymphknoten (cN0) und wurden brusterhaltend operiert. Den Verzicht auf die SLNB sollten wir meines Erachtens denjenigen anbieten, die diese Kriterien erfüllen, also HR+/HER2- EBC, cN0, Tumor ≤ 2 cm, G1/2, ≥ 50 Jahre und brusterhaltende Operation plus Nachbestrahlung.
Welchen Stellenwert haben die Langzeitergebnisse der OlympiA-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Olaparib bei Patient:innen mit HER2- EBC und BRCA1/2-Mutation in der Keimbahn (gBRCA1/2-mt)?
Prof. Müller: Die Ergebnisse bestätigen unsere klinische Praxis. Wichtig ist, dass wir jetzt – nach längerer Nachbeobachtungszeit – auch bei den Patient:innen mit HR+/HER2- Tumoren mit hohem Rezidivrisiko und gBRCA1/2-Mutationsnachweis einen deutlichen Vorteil sehen. Bei der letzten Auswertung war der Unterschied noch nicht so deutlich.
Damit unterstreichen die Daten, wie wichtig es ist, nicht nur beim tripel-negativen Mammakarzinom, sondern auch bei Personen mit positivem HR-Status und hohem Rezidivrisiko auf gBRCA1/2-Mutationen zu testen, so die Studienkriterien erfüllt sind. Beruhigend bleibt, dass sich auch mit längerer Nachbeobachtung keine zusätzlichen Signale mit Blick auf Zweitmalignome als mögliche Nebenwirkung von Olaparib gezeigt haben.
Eine italienische Arbeitsgruppe konnte bei jungen BRCA1/2-Mutationsträger:innen (< 40 Jahre), die an Brustkrebs erkrankt waren, zeigen, dass sowohl die risikoreduzierende Mastektomie als auch die risikoreduzierende Salpingo-Oophorektomie das relative Sterberisiko jeweils hoch signifikant reduzieren. Was raten sie Betroffenen angesichts dessen?
Prof. Müller: Ganz klar profitieren junge Mutationsträger:innen von einer risikoreduzierenden Operation – der risikoreduzierenden Mastektomie (RRM) und/oder der risikoreduzierenden Salpingo-Oophorektomie (RRSO). Wichtig ist, dass es bei der Analyse der RRM nicht in erster Linie um die betroffene Brust geht, sondern um die risikoreduzierende Operation der kontralateralen Brust. Beide Eingriffe haben das Sterberisiko unabhängig voneinander deutlich reduziert. Unklar ist, welche der beiden Operationen den größeren Nutzen bringt. Wir sollten die Patient:innen entsprechend aufklären.
Eine Post-hoc-Analyse der TAILORx-Studie hat bei HR+/HER2- EBC den Stellenwert der Anthrazykline für cN0-Patient:innen untersucht. Unabhängig vom Menopausenstatus zeigte sich bei hohem Recurrence Score (RS) ≥ 31 ein Vorteil im fernmetastasenfreien Überleben für den Einsatz eines Anthrazyklins gegenüber einer anthrazyklinfreien Chemo. Was bedeutet dies für den klinischen Alltag – auch vor dem Hintergrund der Daten zu den CDK4/6-Inhibitoren?
Prof. Müller: In der Auswertung geht es um Hochrisiko-Patient:innen mit einem RS ≥ 31, denen wir auch in Zukunft eine Chemotherapie empfehlen werden. Einen CDK4/6-Inhibitor würden wir zusätzlich im Rahmen der endokrinen Weiterbe-handlung einsetzen. Bei hohem genomischem Risiko geben die Daten den Hinweis, dass eine anthrazyklinbasierte Chemotherapie Vorteile bieten könnte und zwar auch für Betroffene ohne Lymphknotenbefall in der Axilla. Der Vorteil war umso größer, je höher der Recurrence Score jenseits des RS ≥ 31 anstieg.
Unklar bleibt, wie groß dieser Vorteil ausfällt, wenn im Rahmen der endokrinen Weiterbehandlung zusätzlich ein CDK4/6-Inhibitor eingesetzt wird. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass die Daten auf einer Post-hoc-Analyse beruhen und nicht ganz in Einklang mit anderen Studienergebnissen, unter anderem der Westdeutschen Studiengruppe WSG, stehen. Dennoch sollten wir sie im Hinterkopf haben, wenn wir Patient:innen mit hohem genomischen Risiko beraten.
In der metastasierten Situation ist die PATINA-Studie eines Ihrer Highlights. Beim tripel-positiven mBC hat die um den CDK4/6-Inhibitor Palbociclib erweiterte Erhaltung mit Trastuzumab/Pertuzumab plus endokriner Therapie das progressionsfreie Überleben statistisch signifikant auf median gut 44 Monate verlängert. Alle Patient:innen wurden erst nach erfolgreicher Induktionschemotherapie randomisiert. Wie relevant sind diese Ergebnisse?
Prof. Müller: Die Resultate der PATINA-Studie zeigen beim tripel-positiven mBC einen erheblichen PFS-Vorteil zugunsten der endokrinbasierten und HER2-gerichteten Erhaltungstherapie. Da die Patient:innen erst nach erfolgreicher Induktionstherapie randomisiert wurden, ist die Zeit ohne Progression eigentlich sogar noch länger als die knapp 45 Monate, welche die Studie ausweist. Dieses Ergebnis begeistert auch wegen des sehr günstigen Nebenwirkungsprofils. Da die Kombination nicht zugelassen ist, sollte man ggf. einen Kostenübernahmeantrag stellen.
Fehlt der Studie ein chemotherapiefreier Arm und ist es denkbar, zukünftig beim tripel-positiven mBC in bestimmten Situationen auf eine Chemotherapie zu verzichten?
Prof. Müller: Ein chemotherapiefreier Arm wäre wünschenswert gewesen. Möglicherweise kann beim tripel-positiven mBC auf eine Chemotherapie verzichtet werden. Die deutsche DETECT-V-Studie deutet beispielsweise darauf hin. Sie hat untersucht, ob eine initiale Chemotherapie noch notwendig ist, indem sie eine endokrine Therapie ± CDK4/6-Inhibitor versus Chemotherapie verglich, jeweils plus duale HER2-gerichtete Therapie. Das mediane PFS war in beiden Studienarmen vergleichbar. Der explorative Vergleich mit/ohne CDK4/6-Inhibitor ergab eine deutliche Verbesserung zugunsten der endokrinbasierten Therapie mit Ribociclib. Endokrine Therapieansätze sollten beim HR+/HER2+ mBC weiter untersucht werden, unter anderem mit der Perspektive, ggf. auf eine Chemotherapie zu verzichten.
Die PADMA-Studie bestätigt, dass die endokrinbasierte First-Line-Behandlung mit einem CDK4/6-Inhibitor auch bei Hochrisiko-Patient:innen mit HR+/HER2- mBC der Chemotherapie überlegen ist. Welchen Stellenwert hat die Erstlinienchemo noch beim HR+/HER2- mBC?
Prof. Müller: Die Daten bestätigen die endokrinbasierte Therapie als First-Line-Standard. Es gibt kaum noch Konstellationen beim HR+/HER2- mBC, in denen in der Erstlinie eine Chemotherapie indiziert ist. Das sind primär Einzelfallentscheidungen, zum Beispiel bei Patient:innen mit Leberversagen und deutlich – um den Faktor 2–3 der oberen Norm – erhöhtem Bilirubin-Wert oder solchen mit ausgeprägter Luftnot. Grundsätzlich sollte first line nur noch dann über eine Chemotherapie nachgedacht werden, wenn ein wirklich sehr schnelles Ansprechen wichtig ist. Gerade in der Erstliniensituation, in der viele Erkrankte noch chemotherapienaiv sind, zeigt die klinische Erfahrung, dass einige extrem schnell auf Zytostatika ansprechen.
In der PRO-B-Studie wurde jede Woche über eine App das Befinden metastasierter Brustkrebserkrankter abgefragt. Bei Bedarf wurden Betroffene innerhalb von 48 Stunden kontaktiert. Die Patient:innen hatten eine bessere Lebensqualität und überlebten signifikant länger. Was bedeutet dies für den klinischen Alltag?
Prof. Müller: Die Ergebnisse zeigen, wie viel wir mit einer optimierten Betreuung unserer Patient:innen auch in der palliativen Situation erreichen können. In der Studie wurden die Rückmeldungen der Patient:innen über die App gesammelt und vorgefiltert. Das Alarmsystem wurde aktiviert, wenn sich die dokumentierte Lebensqualität deutlich verschlechterte. Die zeitnahe Rückmeldung bei den Teilnehmenden hatte die Fatigue-Symptomatik nach sechs Monaten als primären Endpunkt deutlich verbessert und das relative Sterberisiko nach zwölf Monaten um 29 % (HR 0,71) reduziert gegenüber dem Kontrollarm. Die Gesamtüberlebenszeit nach zwölf Monaten war ein prospektiv geplanter sekundärer Endpunkt.
Die rasche Rückmeldung durch die Behandelnden ist ein sehr zeitintensives Vorgehen, das wir bei den derzeitigen Personalstrukturen im Gesundheitswesen meines Erachtens nicht abbilden können. Wir müssen in Deutschland mehr Geld in verbesserte Versorgungs- und Betreuungsstrukturen investieren. Die Studie zeigt, dass dies gut investiertes Geld ist.
Interview: Birgit-Kristin Pohlmann
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