Rekombinantes Parathormon für alle?

DGIM 2023 Dr. Angelika Bischoff

Gegenüber der Standardtherapie weist die Supplementierung von künstlichem  Parathormon einige Vorzüge auf. Gegenüber der Standardtherapie weist die Supplementierung von künstlichem Parathormon einige Vorzüge auf. © Dr_Microbe – stock.adobe.com

Der Hypoparathyreoidismus ist die einzige Mangelsituation, in der man nicht routinemäßig das fehlende Hormon ersetzt. Dennoch spricht in bestimmten Konstellationen einiges dafür, künstlichem Parathormon gegenüber Kalzium und Vitamin D den Vorzug zu geben.

Ein Hypoparathyreoidismus ist in 70–80 % der Fälle auf eine iatrogen-operative Zerstörung der Nebenschilddrüsen zurückzuführen. Der Mangel an Parathormon (PTH) führt akut zu Hypokalzämie, Hyperphosphat­ämie und einem niedrigen Spiegel an aktivem Vitamin D. Daraus können klinische Symptome entstehen wie Kribbelpar­ästhesien, Muskelkrämpfe und Tetanien. Diese Symptome lassen sich durch Kalziumzufuhr schnell beheben. Schwerwiegender sind die Langzeitkomplikationen des Hypoparathyreoidismus. Sie können sämtliche Organsysteme betreffen einschließlich ZNS, Herz-Kreislauf-System und Niere. Der Hypoparathyreoidismus ist deshalb mehr als ein Kalziumproblem, betonte Dr. ­Carmina ­Fuß, Universitätsklinikum Würzburg.

Die Therapie zielt darauf ab, das Kalzium im niedrig-normalen Bereich zu halten und Symptome der Hypokalzämie zu vermeiden. Standardmäßig geschieht dies durch die Gabe von aktivem Vitamin D und Kalzium. Diese sehr kostengünstige Therapie erfüllt die Therapieziele meist ausreichend, schützt aber nicht gut genug vor Langzeitkomplikationen wie z.B. Niereninsuffizienz.

Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, wie bei allen anderen Hormonmangelzuständen das fehlende Hormon einfach zu supplementieren, meinte Dr. Fuß. Rekombinantes Parathormon (rhPTH) ist seit 2017 in Deutschland als Präparat zur subkutanen Injektion verfügbar. In der Zulassungsstudie haben etwa 60 % der Patienten damit eine mehr als 50%ige Reduktion der Zufuhr von oralem Kalzium und Vitamin D bei gleichbleibendem Kalziumspiegel erreicht. Unter rhPTH-Gabe blieben die Patienten auch über fünf Jahre biochemisch stabil, wie die Verlängerung der Studie zeigt. 

Die rhPTH-Therapie hat auch im Hinblick auf Langzeitkomplikationen Vorteile gegenüber der Standardtherapie. In einer retrospektiven Kohortenstudie blieb die Nierenfunktion unter rhPTH im Verlauf von fünf Jahren stabil, in der Kontrollgruppe nahm sie dagegen um 8 ml/min ab. Andere Studien bestätigen die Beobachtung, dass sich unter rhPTH signifikant seltener eine Niereninsuffizienz entwickelt. Patienten, die rhPTH erhalten, haben außerdem ein um 75 % geringeres Risiko für kardiovaskuläre Morbidität als Patienten unter Standardtherapie. 

Nach Ansicht von Dr. Fuß wäre deshalb rhPTH für alle Patienten mit Hypoparathyreoidismus die ideale Therapie. Nach geltenden Bestimmungen kann das rekombinante Hormon aber nur dann eingesetzt werden, wenn die Standardtherapie den Kalziumspiegel nicht adäquat kontrolliert oder wenn dazu eine Dosis von > 2,5 g Kalzium oder > 1,5 µg Calcitriol erforderlich wäre. Außerdem ist das Hormon zuge­lassen bei nicht-kontrollierbarer Hyperkalziurie. Verordnet werden darf es auch, wenn Nierensteine oder eine Nephrokalzinose auftreten, eine ausgeprägte Hyperphosphatämie besteht, Malabsorption vorliegt oder die Lebensqualität reduziert ist.

Nach Ansicht von Dr. ­Cornelia ­Jaursch-Hancke, Deutsche Klinik für Diagnostik in Wiesbaden, sind diese Einschränkungen jedoch durchaus gerechtfertigt. Schon die Zulassungsstudien hätten gezeigt, dass die Gabe von rhPTH nicht so einfach ist, wie man es von der Hormonsubstitution bei anderen Erkrankungen kennt. Zweifel seien angebracht, ob das rekombinant hergestellte Hormon im Organismus exakt genauso wirkt wie das natürliche Parathormon. 

Dieses hat in vivo eine Halbwertszeit von fünf Minuten, seine Sekretion folgt dem physiologischen Regelmechanismus abhängig von der Kalziumkonzentration innerhalb eines sehr engen Korridors. Die Halbwertszeit von rhPTH ist mit etwa drei Stunden deutlich länger und das Dosierungsschema mit ein- bis zweimal täglich entspricht nicht dem physiologischen Rhythmus. 

Die Produktinformation weist auf weitere Probleme hin. Als Nebenwirkung kann sowohl ein zu hoher als auch ein zu niedriger Kalziumspiegel auftreten. Wie kann ein Hormon, das zur Behandlung von Hypokalzämie eingesetzt wird, selbst zu Hypokalzämie führen? Auch gastrointestinale Symptome, Fatigue, Hypertonie und andere Symptome, die mit der Hypokalzämie assoziiert sind, werden als Nebenwirkungen genannt. 

Eine erhöhte Inzidenz von Knochentumoren, die bei Ratten unter Langzeittherapie mit rhPTH festgestellt wurde, führte zur Aufnahme folgender Kontraindikationen: Patienten, die eine Radiotherapie des Skeletts erhalten (haben), Malignome oder Metastasen im Knochen aufweisen oder ein erhöhtes Risiko dafür tragen, sollten nicht mit rhPTH behandelt werden. 

Auch die Ergebnisse der Zulassungsstudie findet Dr. Jaursch-Hancke nur mäßig überzeugend. Denn viele Teilnehmer, die den primären Endpunkt erreichten, mussten weiterhin Kalzium und Vitamin D einnehmen. Frei von Vitamin D waren am Ende gut 40 % der Patienten, sie mussten aber weiterhin Kalzium einnehmen. Hinsichtlich Nebenwirkungen wie Hypokalzämie, Muskelkrämpfe, Parästhesien, Kopfschmerzen oder Übelkeit gab es keine Unterschiede zwischen rhPTH und Placebo. 

Insgesamt kam Dr. Jaursch-Hancke zu dem Schluss, dass subkutan verabreichtes rhPTH eine unphysiologische Therapie am falschen Ort, in falscher Dosierung zum falschen Zeitpunkt und mit nicht-überzeugender Wirksamkeit ist. Auch die Europäische Leitlinie spricht sich dagegen aus, rhPTH routinemäßig als Substitutionstherapie bei Hypoparathyreoidismus einzusetzen. 

Quelle: Kongressbericht 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Gegenüber der Standardtherapie weist die Supplementierung von künstlichem  Parathormon einige Vorzüge auf. Gegenüber der Standardtherapie weist die Supplementierung von künstlichem Parathormon einige Vorzüge auf. © Dr_Microbe – stock.adobe.com