Riesenzell-Arteriitis beginnt oft atypisch

Dr. Carola Gessner, Foto: thinkstock

Von Fieber und Gewichtsverlust berichtete der 72-Jährige. Zudem schmerze die Kopfhaut links: Typisch für die atypische Riesenzell-Arteriitis.

Wenn der vordergründige Temporal-Kopfschmerz als klassisches Zeichen fehlt und stattdessen andere Symptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Kau- und Sehstörungen oder Polymyalgien dominieren, wird die Riesenzell-Arteriitis leicht übersehen.


Aber genau diese Konstellation ist häufig: In Fallserien präsentierte nur die Hälfte der Betroffenen (52 %) den klassischen Schläfenschmerz, 24 % gaben überhaupt keine Kopfschmerzen an, berichten der Rheumatologe Nada Hassan vom Universitätskrankenhaus Westcliff-on-Sea und seine Kollegen im „British Medical Journal“.

Schläfenkopfschmerz bei Riesenzell-Arteriitis kann fehlen

In einer neuen Serie von 65 Patienten mit Riesenzell-Arteriitis zeigte sich, dass 44 von ihnen visuelle Störungen, Visusverlust oder gar einen Schlaganfall erlitten hatten – und zwar im Mittel 35 Tage vor dem Einsetzen typischer Symptome und der korrekten Diagnose.


Die akute Erblindung betrifft bis zu 20 % aller Patienten mit Riesenzell-Arteriitis, warnen die Kollegen. Genau deshalb lautet ihr Appell an die Hausärzte, wachsam zu sein, auch wenn die Erkrankung sich nicht klassisch – mit neu aufgetretenem Schläfenkopfschmerz, Myalgien und Sturzsenkung bei einem Patienten um die 70 Jahre – präsentiert.


Einer Metaanalyse zufolge können folgende Faktoren ein positives Biopsie-Ergebnis mit mittlerer Wahrscheinlichkeit vorhersagen:

• Claudicatio-Schmerz beim Kauen (34 % der Fälle),     

• Doppelbilder (8 %) und
• jegliche Abnormalität bei der Temporalarterienpalpation (verdickt, schmerzhaft oder auch fehlend, in 65 % der Fälle).

Als weitere Marker mit etwas geringerer Vorhersagekraft nennen die Kollegen Temporalkopfschmerzen, Empfindlichkeit bzw. Schmerzen an der Kopfhaut, eine Blutsenkungsgeschwindigkeit über 100 mm/h und Anämie.

 

Schlafender Gigant im Bauch

Wohl eine Sinusitis, dachten die Ärzte zunächst, als die 71-Jährige Kopfweh und Schmerzen über der Kieferhöhle beklagte. Doch dann entwickelte die ältere Dame Durchfall, Bauchschmerzen, Nachtschweiß und Fieber und verlor 4,5 kg Gewicht. Ein Jahr zuvor hatte man wegen Schulter- und Knieschmerzen schon einmal an eine Polymyalgie gedacht. Jetzt fiel im Labor eine massive Entzündungsreaktion (BSG 140 mm/h, CRP 200 mg/l) auf. Krebs? Infektion? Kollagenose? CT und MRT spürten einen entzündli­chen Gefäßprozess in der Aorta auf, und die Temporalarterien-Biopsie bestätigte schließlich die Riesenzell-Arteriitis.

Alanna Morris et al., N Engl J Med 2011; 365: 72–77

Sehstörung über 50: Verdacht auf Riesenzell-Arteriitis schöpfen

In der Praxis sollte man den Verdacht auf eine Riesenzell-Arteriitis bei jedem Patienten über 50 Jahre mit Kopfschmerzen (oder nur „scalp tenderness“), Sehstörungen (auch vorübergehend) oder unerklärlichen Gesichtsschmerzen schöpfen.


Die Palpation der Schläfenarterie fällt oft abnormal aus, sie war auch bei dem eingangs erwähnten 72-Jährigen nicht zu tasten, und über 80 % der Betroffenen haben eine BKS > 50 mm/h. In derartigen Fällen sollte dringend eine Arterienbiopsie erfolgen, um die Diagnose zu bestätigen – und zwar spätestens zwei Wochen nach dem Beginn der Steroidtherapie.

Keine Zeit verlieren bei der Therapie der Arteriitis temporalis

Letztere startet sofort, bereits beim dringenden Verdacht, um das Augenlicht nicht zu gefährden. Man gibt 40 mg Prednisolon täglich, sollten bereits ischämische Symptome vorhanden sein (Kiefer-Claudicatio), sogar 60 mg/Tag. Hat der Patient schon Visus-Störungen, muss er umgehend zur intravenösen Therapie in die Klinik.


Das Kortikoid wird alle zwei Wochen in 10-mg-Schritten reduziert, sobald die Symptome verschwunden sind. Ab einer Tagesdosis von 20 mg verkleinern sich die Ausschleich-Schritte auf 2,5 mg. Den meisten Patienten gelingt es innerhalb von zwei Jahren, das Steroid komplett abzusetzen.

Duplexsonographie als erste Wahl


Auch außerhalb des Kopfbereichs kann die Riesenzellarteriitis Gefäße befallen. In der Literatur wird der extrakranielle Befall mit 15–30 % angegeben, wie Privatdozent Dr. Thorsten Bley von der Klinik und Poliklinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei den 18. Norddeutschen Gefäßtagen berichtete.
Moderne Diagnostische Verfahren (MRT, FDG-PET) zeigen jedoch eine noch höhere Inzidenz mit Beteiligung der Aorta in bis zu 70 %. Als typische Zeichen im kontrastmittelgestützten MRT bzw. der MR-Angiographie nannte der Kollege unter anderem die Wandverdickung, murale Kontrastmittelaufnahme und Signalanhebung in den T2-gewichteten Sequenzen.
Ein weiterer Beweis: Diese Zeichen verschwinden unter einer ausreichend dosierten, erfolgreichen Kortison-Therapie. Mit hochauflösender MRT lassen sich sogar die kleinen Temporalarterien darstellen, so der Radiologe. FDG-PET eignet sich sehr gut für die Ausbreitungsdiagnostik, belastet aber den Patienten mit Strahlen. Die schnelle, kostengünstige, farbkodierte Duplexsonographie betrachtet Dr. Bley als Verfahren der ersten Wahl. Es kommt ohne Strahlen und Kontrastmittel aus und erlaubt es zudem, auch extrakranielle Gefäße (A. axillaris, Aorta abdominalis) zu beurteilen.


Nada Hassan et al., BMJ 2011; 342: 1206–1207

 

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