
S3-Leitlinie zur Supportivtherapie wird überarbeitet

Der Startschuss für die Arbeitsgruppen soll zwar offiziell erst im Sommer fallen, aber die ersten Schritte für das Update der S3-Leitlinie zur Supportivtherapie sind bereits gemacht. Das verriet Dr. Franziska Jahn, Ärztin am Universitätsklinikum Halle/Saale und Leitliniensekretärin, bei einem Blick ins Arbeitsnähkästchen der Koordinatoren.1 Zwei Jahre haben sie für die Überarbeitung vorgesehen. Aber „wir wissen alle, das dauert gern ein bisschen länger“, sagte die Referentin.
In der Zeit haben die Beteiligten viel vor, denn das Werk soll nicht nur aktualisiert, sondern auch um vier Punkte ergänzt werden. Zukünftig mit dabei: autoimmune Erkrankungen als unerwünschte Ereignisse, Kardio- sowie zentrale Neurotoxizität und radiogene Nebenwirkungen am Urogenitaltrakt. Letzteres hielt auf Wunsch der Radioonkologen Einzug. Die anderen drei Aspekte entsprechen den Themen, die Leitlinien-Anwender in einer Umfrage als besonders wichtig angegeben hatten und die für ein breites Fachpublikum relevant sein dürften.
Vor allem die Nebenwirkungen der neuen Immuntherapien waren für fast alle Befragten das Topthema schlechthin. Knapp 71 % von ihnen sahen es als sehr wichtig, weitere gut 26 % als wichtig an. Für das Koordinationsteam das Signal: Der Aspekt muss auf jeden Fall in der Leitlinie berücksichtigt werden. Dem trägt auch die Gewichtung bei der Bearbeitung Rechnung – 83 der 133 Schlüsselfragen, die für die Empfehlungen zu beantworten sind, entfallen allein auf diesen Bereich.
Medikamentöse Prävention der CIPN wie gehabt nicht möglich
Einfluss auf die Neufassung werden auch die internationalen Leitlinien haben, an denen viele der nationalen Leitlinienautoren ebenfalls beteiligt waren. „Innerhalb der ESMO gibt es mittlerweile sehr, sehr viele Leitlinien zur Supportivtherapie“, beschrieb Professor Dr. Karin Jordan vom Universitätsklinikum Heidelberg die Lage. Wie die Mitkoordinatorin der hiesigen S3-Leitlinie erklärte, seien seit dem letzten Jahr zahlreiche Empfehlungen publiziert worden. Nicht alles ist neu – in einigen Punkten sind Erfolg versprechende Therapien immer noch Mangelware.
So gebe es weiterhin keine Möglichkeit, die chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie (CIPN) medikamentös zu verhindern, bedauerte Prof. Jordan. Für die Bewegungstherapie habe man dagegen eine Klasse-II-C-Empfehlung ausgesprochen. „Das bedeutet: Ja, das kann helfen“. Da sei es sehr erfreulich, dass es bald auch eine Leitlinie zur Bewegungstherapie geben werde, in der alles noch viel besser aufgearbeitet würde.
Ob eine Kryotherapie mittels Frozen Socks oder Handschuhen etwas bringt – dazu ist die Datenlage uneinheitlich. „Hier müssen wir weitere Studien abwarten“, lautete die Einschätzung von Prof. Jordan. Als effektive Strategie bleibe nur, die Dosis der Chemotherapie und die Zeitpläne anzupassen.
Bei der Behandlung einer CIPN ist Duloxetin nach wie vor das einzige Medikament mit I-B-Empfehlung. „Das soll also gemacht werden.“ Die Kollegin empfiehlt, wenn man etwas zurückhaltender dosieren möchte, einmal täglich 30 mg, nach 14 Tagen dann 60 mg. „Das muss man ein bisschen aus der Praxis ableiten“, lautete ihr Ratschlag. Ansonsten gelte gemäß ESMO-Leitlinie die schnelle Aufdosierung.
Sport, Vitamin D und Kalzium bei T-Score über -2,0
Großen internationalen Konsens gab es bei der Kardiotoxizität. Hier sei neben dem Herzecho mittlerweile auch das Bestimmen der kardialen Marker wie BNP etc. mit aufgenommen worden. „Wenn die Ejektionsfraktion etwas eingeschränkt ist, sollte man eine kardioprotektive Therapie nicht nur erwägen, sondern dem Patienten auch geben“, fasste Prof. Jordan die Präventivstrategie zusammen. Dafür stünden ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker und Carvedilol zur Verfügung. Letzteres sei der Betablocker, der die besten Studienergebnisse gezeigt habe.
Als Highlight in Bezug auf die Knochengesundheit stellte die Onkologin das Vorgehen unter endokriner Therapie vor. Hier raten die Autoren der ESMO-Leitlinie bei einem T-Score über -2,0 immer zu Sport, Kalzium und Vitamin D. Liegen zwei oder mehr Risikofaktoren vor, kommen Bisphosphonate oder Denosumab hinzu.
GnRH-Analogon im Falle von Kinderwunsch und Chemo
Gerade hinsichtlich der Knochengesundheit müsse man die Patienten kontinuierlich darauf hinweisen, dass die zusätzliche Therapie von großer Bedeutung sei, erklärte Prof. Jordan. Offenbar brechen viele die endokrine Behandlung vorzeitig ab, nach zwei bis drei Jahren würde nur noch 50 % sie fortsetzen.
Ein wichtiges Thema für junge Tumorpatienten ist die Fertilitätsprotektion. Benötigen Frauen mit Kinderwunsch eine Chemotherapie, sollen diese gemäß ESMO-Guideline ein GnRH-Analogon erhalten. Das unterscheide sich von einigen anderen Leitlinien, bemerkte die Expertin. Wenn die Zeit reiche, könne man auch Eizellen oder ovarielles Gewebe zuvor einfrieren. Bei Leukämie versah sie diese Option jedoch mit einem großen Aber: Die Krebszellen könnten mit übertragen werden!
Neue Daten gebe es aktuell auch zum therapierefraktären Pruritus. Hier könnte der IgE-Blocker Omalizumab wirkungsvoll sein. Allerdings handele er sich dabei um einen Off-Label-Use, und es sei sehr teuer. Daher gelte: Antrag an die Kasse stellen.
Prof. Jordan freute sich ingesamt, dass die Supportivtherapie in den ESMO-Leitlinien so gut präsentiert sei, und hoffte, „dass wir das alles in die Praxis implementiert bekommen.“ Ein Knackpunkt, wie sich auch in der anschließenden Diskussion zeigte. Denn die Leitlinienadhärenz der Ärzte könnte noch besser sein, wie auch Professor Dr. Hartmut Link, Onkologe aus Kaiserslautern, betonte.2
Er bezifferte anhand von eigenen epidemiologischen Studien zum Beispiel den Anteil der Krebspatienten mit leitliniengerechter Neutropenie-Prophylaxe bei Lungentumoren auf 45–50 % bis maximal 84 % bei Mammakarzinomen. „Da ist noch Luft nach oben“. Auch erhielten zum Knochenschutz nicht alle den richtigen Wirkstoff. „Beim Lungenkarzinom wird auch gerne mal Ibandronat genommen, was da gar nicht zugelassen ist“, beschrieb Prof. Link ein Ergebnis aus seinen eigenen Studien. Insofern bleibt neben der Aktualisierung der Leitlinie auch deren Umsetzung ein relevantes Arbeitsfeld.
1. Jahn F, Jordan K. Leitlinien-Update national und international; AGSMO Jahreskongress 2021 (virtuell)
2. Link H. Podiumsdiskussion – Konsequenzen für die onkologische Praxis. A.a.O.
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).