Serotoninsyndrom: Auslösende Medikamente sofort absetzen

Dr. Dorothea Ranft

Typisch für das Serotoninsyndrom ist die Trias von autonomer Hyper­reaktivität, qualitativen Bewusstseinsstörungen und neuromuskulären Veränderungen. (Agenturfoto) Typisch für das Serotoninsyndrom ist die Trias von autonomer Hyper­reaktivität, qualitativen Bewusstseinsstörungen und neuromuskulären Veränderungen. (Agenturfoto) © iStock/AntionioGuillem

Gesteigerter Bewegungsdrang mit Tremor und Myoklonien, Herzrasen und starkes Schwitzen: Bei einem Serotoninüberschuss im synaptischen Spalt kommt es zu massiven, toxischen Effekten. Eine solche Neurotransmittervergiftung kann tödlich enden.

Das Serotoninsyndrom ist eine Reaktion auf die Überdosierung von Serotonin-Agonisten. Meist sind gleich mehrere Arzneimittel, die den Serotonin-Transporter hemmen, und Substanzen wie Kokain oder Methadon im Spiel, die für ein Übermaß des Neurotransmitters in den zerebralen Synapsen sorgen. Typisch für das Serotoninsyndrom ist die Trias von autonomer Hyper­reaktivität, qualitativen Bewusstseinsstörungen und neuromuskulären Veränderungen (siehe Kasten). Die klinischen Manifestationen sind allerdings recht variabel, schreiben Dr. ­Alexandra M. ­Groth vom Spital Limmattal im Schweizerischen Schlieren und ihre Mitautoren.

Serotoninsyndrom-Trias

  • autonome Hyperaktivität: Tachykardie, Hypertonie, Hyperthermie, Schwitzen, Mydriasis, Erbrechen, Diarrhö
  • qualitative Bewusstseinsstörungen: Angst, hyperaktives Delir, motorische Unruhe, Desorientiertheit
  • neuromuskuläre Befunde: gesteigerte Muskeleigenreflexe, Myoklonien, Tremor, Muskelrigor (schwere Fälle)

Metabolische Azidose und Rhabdomyolyse

Leicht erkrankte Patienten sind üblicherweise afebril, zeigen aber Tachykardie, Muskelzittern und Schwitzen. Es fallen gesteigerte Muskel­eigenreflexe und Myoklonien auf, vor allem an den Beinen. In schweren Fällen kommt es zudem zum hyperaktiven Delir und einem ausgeprägten Muskelrigor, häufig auch zu hohem Fieber. Die Betroffenen sind hyperton und tachykard. Unbehandelt können sie in einen potenziell tödlichen Schock fallen. Charakteristische Laborbefunde sind metabolische Azidose und Rhabdomyolyse mit erhöhter Kreatinkinase und Myoglobin­urie. Außerdem kann es zur disseminierten intravasalen Gerinnung kommen. Für die Diagnose des Serotoninsyndroms sollte mindestens einer der folgenden Befunde vorhanden sein:
  • Tremor und Hyperreflexie
  • spontane Myoklonien
  • Muskelrigor, Körpertemperatur > 38,2 °C und okulärer Klonus oder auslösbare Myoklonien
  • okulärer Klonus und Agitation oder Hyperhidrose
  • auslösbare Myoklonien und Agitation oder Hyperhidrose
Wichtig ist eine sorgfältige Medikamentenanamnese, die auch rezeptfreie Wirkstoffe und illegale Substanzen einschließt. Nach einer Überdosierung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern entwickeln etwa 15 % der Patienten ein Serotoninsyndrom. Dies wird jedoch oft übersehen, sei es wegen atypischer Symptomatik oder weil es am Bewusstsein für die Erkrankung mangelt.

Anticholinergika-Vergiftung als Differenzialdiagnose

Zahlreiche Wirkstoffe können diesen lebensbedrohlichen Zustand verursachen. Am häufigsten betei­ligt sind Monoaminooxidase­hemmer einschließlich der Antibiotika Isoniazid und Linezolid sowie trizyklische Antidepressiva, selektive ­Serotonin- und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Auch bestimmte Opioide finden sich als Ursache, darunter speziell Tramadol, Pethidin und Methadon. Selbst das Antitussivum Dextromethorphan und sogar ein Phytopharmakon wie Johanniskraut sind als potenzielle Auslöser bekannt, schreiben die Autoren, ebenso Amphetamine, Kokain, ­Ecstasy und LSD. Differenzialdiagnostisch sollte man vor allem an Vergiftungen durch Anticholinergika, maligne Hyperthermie bei Inhalationsanästhesie und das maligne neuroleptische Syndrom, das durch Dopaminrezeptor-Blocker ausgelöst wird, denken. Letzteres entwickelt sich jedoch über Tage hinweg und damit deutlich langsamer. Es bildet sich auch nicht so schnell zurück wie das Serotoninsyndrom. Außerdem sind die Muskel­eigenreflexe abgeschwächt statt gesteigert, und der Muskelrigor ist stärker ausgeprägt. Therapeutisch hat das Absetzen aller Medikamente, die als Auslöser in Betracht kommen, höchste Priorität, betonen die Schweizer Kollegen. Sie empfehlen die engmaschige Überwachung des Patienten inklusive EKG und Flüssigkeitssubstitution sowie eine Sedierung mit Benzodiazepinen zur Behandlung von Agitation und Myoklonien. In schweren Fällen kann die Gabe eines Serotonin-Antagonisten wie Cyproheptadin sinnvoll sein. Auch Olanzapin, ein atypisches Neuroleptikum mit antagonistischer Aktivität am 5-Hydroxytryptamin2A-Rezeptor, wurde bereits vereinzelt erfolgreich eingesetzt.

Quelle: Groth AM et al. Swiss Med Forum 2020; 20: 463-465; DOI: 10.4414/smf.2020.08419

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Typisch für das Serotoninsyndrom ist die Trias von autonomer Hyper­reaktivität, qualitativen Bewusstseinsstörungen und neuromuskulären Veränderungen. (Agenturfoto) Typisch für das Serotoninsyndrom ist die Trias von autonomer Hyper­reaktivität, qualitativen Bewusstseinsstörungen und neuromuskulären Veränderungen. (Agenturfoto) © iStock/AntionioGuillem