Neue Regeln für die Opioidtherapie beim Nichttumorschmerz

Dr. Dorothea Ranft

Nach der neuen Leitlinie sollten nur Patienten mit einer relevanten somatischen Schmerzkomponente opioidhaltige Analgetika erhalten. Nach der neuen Leitlinie sollten nur Patienten mit einer relevanten somatischen Schmerzkomponente opioidhaltige Analgetika erhalten. © iStock/deliormanli

Eine Opioidkrise wie in den USA gibt es bei uns zwar nicht. Dennoch nehmen die Autoren der aktualisierten Leitlinie die dortige Situation zum Anlass, die Opioidtherapie beim Nichttumorschmerz zu überprüfen. Die Anwendung wird präzisiert, neue Indikationen kommen hinzu.

Dass opioidhaltige Analgetika in Deutschland verantwortungsvoll eingesetzt werden, belegt schon die Statistik: Die Zahl der Langzeitverordnungen bleibt seit 2012 stabil. Die Prävalenz eines schädlichen Gebrauchs bzw. einer Abhängigkeit liegt zwischen 0,8 und 1,8 %. Allerdings sehen die Autoren der aktualisierten Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS) Anzeichen für eine Fehlversorgung. Sie betonen deshalb, dass nur Patienten mit einer relevanten somatischen Schmerzkomponente opioidhaltige Analgetika erhalten sollten. Bei psychischen oder somatoformen Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz sind sie kontraindiziert.

Haben nicht-medikamentöse Maßnahmen versagt?

Besondere Bedeutung hat dieser Grundsatz für den chronischen Rückenschmerz: Eine Opioid­behandlung befürwortet die Leitlinie nur, wenn körperliche Veränderungen einen wesentlichen Anteil an Schmerzentstehung und -aufrechterhaltung haben (z.B. entzündliche Beschwerden, inoperable Spinal­kanalstenose).

Außerdem gilt die Bedingung, dass nicht-medikamentöse Maßnahmen nur unzureichend gewirkt haben. Trifft beides zu, sollte die kurzfristige Einnahme opioidhaltiger Analgetika (4–12 Wochen) als mögliche Option empfohlen werden. Gleiches gilt für die mittelfris­tige Therapie (13–26 Wochen) – vorausgesetzt­, der Patient spricht gut an. Auch ein langfristiger Einsatz (> 26 Wochen) kann im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts sinnvoll sein.

Wichtig ebenso wie bei anderen Indikationen für diese Substanzen: über potenzielle Nebenwirkungen, v.a. bei Langzeitanwendung, aufklären. Dazu gehört ein erhöhtes Sturzrisiko ebenso wie eine erektile oder endokrine Dysfunktion sowie schlafbezogene Atemstörungen (Vorsicht bei Schlafapnoe). Von einer Kombination mit Tranquilizern raten die Leitlinienautoren ausdrücklich ab.

Modifizierte Empfehlungen gibt es zum chronischen Arthrose-Schmerz: Opioide soll man – wie bei der Lumbago – nur verordnen, wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen versagen und andere Pharmaka kontraindiziert oder wirkungslos sind. Als weitere Vorbedingung gilt, dass keine Möglichkeit für einen Gelenk­ersatz besteht oder der Patient ihn ablehnt. Bei dieser Konstellation kommt auch eine langfristige Therapie in Betracht.

Als weiteres Einsatzfeld nennen die Experten die schmerzhafte diabetische Polyneuropathie: Der Nutzen der Analgetika ließ sich zwar bisher nur für den kurzfristigen Einsatz gut belegen, doch die Behandlung kann bei gutem Ansprechen durchaus länger laufen. Polyneuropathien anderer Genese eignen sich ebenfalls für Opioide, bei Patienten mit alkoholbedingten Schäden und aktueller Substanzabhängigkeit verzichtet man aber besser darauf. Weitere Indikationen: die Postzosterneuralgie und der Phantomschmerz.

Gegen anhaltende Schmerzen nach Rückenmarksverletzung eignen sich die Wirkstoffe aufgrund der mangelnden Evidenz nicht als primäre Option, haben jedoch in begründeten Fällen ihren Platz, bei gutem Effekt auch längerfris­tig. Zurückhaltend äußern sich die Schmerzspezialisten aufgrund inkonsistenter Studienergebnisse zu schmerzhaften Radikulopathien. Ein individueller Therapieversuch kann aber lohnen. Überzeugt er, kommt eine Verlängerung über 26 Wochen infrage.

Erstmals präsentiert die aktuelle Leitlinie evidenzbasierte Empfehlungen zum Restless-Legs-Syndrom (RLS). Opioide sollten empfohlen werden, wenn Patienten auf Levodopa bzw. Dopaminagonisten unzureichend ansprechen. Gute Res­ponder profitieren eventuell sogar mittel- und langfristig. Zugelassen für die Second-Line-Therapie des schweren und sehr schweren RLS ist bisher nur Oxycodon/Naloxon.

Eine zusätzliche neue Indikation scheint die Schmerzbehandlung bei Parkinson zu sein. Zwar raten die Autoren davon ab, Opioide generell primär einzusetzen, es spricht aber nichts gegen den Therapieversuch. Neu ist auch die konsensbasierte Empfehlung als Therapieversuch für die traumatische Trigeminusneuropathie und den chronischen Unterbauchschmerz der Frau (mit und ohne Endometriose).

Um das Risiko einer Abhängigkeit besser einschätzen zu können, regt die Leitlinie dazu an, Opioidkandidaten schon vor Therapiebeginn nach aktuellen oder früheren psychischen Störungen zu fragen. Vorsichtshalber erhalten Patienten mit Nichttumorschmerz besser keine ultrakurz wirksamen Opioide.

Kleines Lexikon zum Substanzgebrauch

  • Missbrauch: übermäßiger, nicht bestimmungsgemäßer Konsum
  • schädlicher Gebrauch: Konsummuster, das physische oder psychische Gesundheitsschäden nach sich zieht, ohne Abhängigkeit
  • Abhängigkeit: starker Konsumdrang, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung, körperliche Entzugssymptome, Vernachlässigung anderer Interessen und Substanzkonsum trotz schädlicher Folgen
  • Entzugssyndrom: psychovegetative Symptome beim Absetzen oder bei der Reduktion des Konsums
  • Toleranz: Nachlassen der Wirkung nach längerem Konsum
  • körperliche Abhängigkeit: Auftreten eines Entzugssyndroms
  • psychische Abhängigkeit: vor allem bei absichtlicher Drogeneinnahme, weniger unter Medikamenten

Entzugssymptome belegen noch keine Abhängigkeit

Außerdem stellt die Leitlinie klar, dass das alleinige Vorliegen einer Toleranzentwicklung mit Entzugssymptomen bei opioidbehandelten Patienten weder einen schädlichen Gebrauch noch eine Abhängigkeit belegt. Als spezifischer Hinweis auf eine „Suchtentwicklung“ gilt z.B. ein anhaltender Widerstand gegen eine Therapieänderung trotz Wirkungslosigkeit und/oder psychotroper Symptome (z.B. Euphorie, Müdigkeit). Falls eine Abhängigkeit vorliegt, ist eine Dosisreduktion bzw. ein Entzug indiziert – bei Bedarf auch stationär. Die Langzeitanwendung von Opioiden sollte immer schrittweise beendet werden, eventuell mit psychotherapeutischer bzw. medikamentöser Unterstützung (z.B. trizyklische Antidepressiva). In Einzelfällen kann man die Opiateinnahme unter suchtmedizinischer Begleitung bzw. mit Substitutionsbehandlung fortführen.

* Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen

Quelle: Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (LONTS)“, AWMF-Register-Nr. 145/003

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