Substitution statt Entzug – wie Sie Opioidabhängigen helfen können

Dr. Dorothea Ranft

Betroffene brauchen eine einfach zugängliche Behandlung mit möglichst wenig Nebenwirkungen. Betroffene brauchen eine einfach zugängliche Behandlung mit möglichst wenig Nebenwirkungen. © iStock/DNY59

Eine Substitutionstherapie für opioidabhängige Patienten können Sie ebenso erfolgreich durchführen wie spezialisierte Zentren. Die Behandlung verbessert langfristig Gesundheit und soziale Integration und ist wesentlich sicherer als ein Entzug.

Ein repressives Vorgehen hilft bei Opioidabhängigkeit nicht weiter, erklären Dr. Patrick­ Köck und Dr. Johannes­ Strasser­ von der Psychiatrie der Universitätsklinik Basel. Betroffene brauchen eine einfach zugängliche Behandlung mit möglichst wenig Nebenwirkungen. Als Methode der Wahl gilt heute ein substitutionsge- stütztes Vorgehen, die Opioidagonisten-Therapie (OAT). Für diese ist als bisher einziges Verfahren ein günstiger Langzeiteffekt auf die Abhängigkeit nachgewie- sen. Der „totalen“ Entzugsbehandlung hingegen fehlt diese Evidenz und sie hat ein gravierendes Sicherheitsproblem: Falls es zu einem Rückfall kommt, ist die Gefahr einer tödlichen Überdosierung aufgrund der verlorenen Opioidtoleranz besonders hoch.

Sechs Kriterien für Opioidabhängigkeit (ICD-10)

Von den folgenden Punkten müssen drei über ein Jahr erfüllt sein:
  • starker Wunsch bis Zwang zu konsumieren
  • verminderte Kontrollfähigkeit des Substanzkonsums
  • nachgewiesene Toleranzentwicklung
  • körperliches Entzugssyndrom
  • zunehmende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums
  • anhaltender Opioidkonsum trotz schädlicher Folgen

Die Opioidagonisten-Therapie ist medizinisch indiziert, sobald eine Abhängigkeit diagnostiziert wurde (s. Kasten). Weitere Kriterien sind aus evidenzbasierter Sicht nicht erforderlich, versichern die Autoren.

Levomethadon hat weniger Nebenwirkungen als Methadon

Vor Therapiebeginn sollte ein Entzugssyndrom und ein aktueller Opio­idkonsum (Urintest) nachgewiesen werden. Die für die OAT zugelassenen Medikamente zeigen alle eine ähnliche Wirksamkeit. Bei der Auswahl sollten neben medizinischen Kriterien auch die Präferenzen des Patienten berücksichtigt werden.
  • Methadon wird vor allem über Cytochrom P450 abgebaut und ist deshalb besonders anfällig für Interaktionen. Außerdem kann es die QTc-Zeit verlängern. Bei Hinweisen auf eine Über- oder Unterdosierung ist zu beachten, dass es genetisch bedingt sogenannte Slow- und Fast-Metabolisierer gibt.
  • Levomethadon ist das überwiegend für die Wirkung verantwortliche R-Enantiomer des Methadons. Es wird halb so hoch dosiert wie Methadon und hat wegen des fehlenden S-Enantiomers ein geringeres Interaktions- und Nebenwirkungspotenzial. Sein größter Vorteil ist das niedrigere kardiale Risiko. Ein Wechsel von Methadon kann Entzugssymptome, Craving und Compliance verbessern.
  • Retardiertes Morphin, auch Slow Release Oral Morphin (SROM) genannt, ist ein vollständiger Agonist am µ-Rezeptor (MOR). Die Akkumulationsgefahr ist eher gering – außer bei Niereninsuffizienz. Eine QTc-Verlängerung wird nicht beobachtet und die Patienten fühlen sich meist besser als unter Methadon.
  • Buprenorphin wird wegen des hohen First-Pass-Effekts sublingual oder in Depotform subkutan verabreicht. Sein Einsatz kommt z.B. bei einer QTc-Verlängerung unter Methadon in Betracht, die Ein- bzw. Umstellung erfordert jedoch spezielle Fachkenntnisse.
  • Diacetylmorphin (Heroin) darf nur in speziellen Zentren eingesetzt werden (injizierbare Hydrochloridlösung bzw. Tabletten). Die kurze Halbwertszeit erfordert eine mehrfache tägliche Applikation bzw. die zusätzliche Gabe länger wirksamer Opioide. Nur so lassen sich Entzugssymptome vermeiden. Diacetylmorphin wird bei unzureichend wirksamer Vortherapie empfohlen, erkennbar z.B. am Konsum von „Straßenheroin“ trotz adäquater OAT.
  • Codein und Dihydrocodein sind zwar in Deutschland zur substitutionsgestützten Therapie zuge­lassen. Aufgrund ihrer eher kurzen Wirkdauer werden beide Substanzen aber von den Schweizer Drogenexperten als eher ungeeignet eingestuft.
Bei der OAT zu beachten sind substanzklassenspezifische Nebenwirkungen. Intoxikation und lebensbedrohliche Atemdepression lassen sich im Allgemeinen durch vorsichtiges Aufdosieren vermeiden. Falls nicht, steht mit Naloxon ein rasch wirksames Antidot zur Verfügung. QTc-Veränderungen und Arrhythmien treten vor allem unter Methadon bzw. bei kardialen Vorerkrankungen und multipler Begleitmedikation auf.

Die passende Dosierung

  • Methadon: Erstdosis max. 30 mg, Steigerung um max. 10 mg/Tag bis zur optimalen Dosis
  • Levomethadon: Halb so hoch dosieren wie Methadon (2 mg entsprechen 1 mg Methadon)
  • Slow Release Oral Morphin (SROM): 200 mg am ersten Tag, bei Entzugserscheinungen etwaige Erhöhung um 120 mg am selben Tag. Danach Aufdosierung um 100–120 mg/Tag bis zur optimalen Dosis.

Opioidagonisten auch für Schwangere und Stillende

Als weitere unerwünschte Effekte sind Obstipation, chronische Übelkeit und vermehrtes Schwitzen zu nennen. Über den Einfluss auf die Hypophysen-Gonaden-Achse können sich auch die Sexualhormonspiegel verringern (Libidomangel). Weitere mögliche Folgen sind Osteo­porose, Hyperprolaktinämie und Anhedonie. Auch während der Schwangerschaft gilt eine OAT heute als Standard, wobei die beste Evidenz für Methadon und Buprenorphin vorliegt. Das neonatale Abstinenzsyndrom lässt sich relativ gut behandeln. Auch Stillen ist unter der Substitution in der Regel möglich.

Quelle: Köck P, Strasser J. Ther Umsch 2020; 77: 29-36; DOI: 10.1024/0040-5930/a001148

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