Tumorschmerz: In der Palliativsituation sind Opioiden keine Grenzen gesetzt

Dr. Elke Ruchalla

Die Wahl des Analgetikums hängt von der Art, der Stärke und der Lokalisation der Schmerzen ab. Die Wahl des Analgetikums hängt von der Art, der Stärke und der Lokalisation der Schmerzen ab. © iStock/sdominick

Im Endstadium einer Krebserkrankung ist es oft weniger der nahende Tod, der Patienten zu schaffen macht, es sind die anhaltenden Schmerzen. Dabei lässt sich durchaus eine suffiziente Analgesie erreichen.

Um die Schmerzen von Patienten mit malignen Erkrankungen effektiv behandeln zu können, sind zunächst die folgenden zwei Punkte relevant:

  1. Die ausführliche Schmerzanamnese und die daran orientierte körperliche Untersuchung,
  2. Ausreichende Informationen über Wirkung und Wirkdauer der geplanten Schmerztherapie.

Für die Schmerzanamnese können Sie auf verschiedene Skalen zurückgreifen, erklärt Dr. Andreas­ Rost, Internist aus Groß-Umstadt. Entweder lassen Sie den Patienten die Stärke seiner Schmerzen auf einer verbalen Skala einschätzen („kein“, „leicht“, „mäßig“, „stark“). Oder Sie greifen zu den detaillierteren numerischen Skalen, die beispielsweise von 0 bis 10 reichen, wobei 10 Punkte für die stärksten denkbaren Schmerzen stehen. Kann der Betroffene selbst keine Auskunft geben, fragen Sie Angehörige oder das Pflegepersonal nach ihrer Einschätzung. Die Erhebung sollte regelmäßig während der Therapie wiederholt werden, sowohl in Ruhe als auch unter Belastung.

Wenn Sie den Patienten über Wirkung und Wirkdauer der einzusetzenden Präparate aufklären, sollten Sie deutlich machen, dass er die Medikamente regelmäßig einnehmen muss, z.B. alle sechs oder acht Stunden, und nicht nur nach Bedarf. Krebsschmerzen sind ein Dauerzustand, erinnert Dr. Rost. Hält sich der Kranke nicht an die Vorgaben, kann es zu qualvollen Exazerbationen der Schmerzen kommen. Der schriftliche Medikationsplan ist regelmäßig zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren.

Durchbruchschmerz lässt sich oftmals voraussehen

Zusätzlich sollten Sie ein Präparat für Durchbruchschmerzen verschreiben und dabei eine nicht-retardierte Formulierung wählen. Schließlich muss die Substanz sofort wirken. Manchmal lässt sich bereits abschätzen, dass es zu solchen Schmerzen kommen wird, etwa wenn eine Mobilisierung oder Pflegemaßnahmen anstehen. Dann kann der Patient das Mittel mit etwas zeitlichem Vorlauf nehmen, z.B. selbstständig als Nasenspray (Fentanyl), Sublingualtablette (Buprenorphin) oder über einen Bolus aus der Schmerzpumpe.

Die Wahl des Analgetikums hängt von der Art, der Stärke und der Lokalisation der Schmerzen ab. Treten diese beispielsweise ausschließlich bei Belastung und im Stammskelett (Wirbelsäule, Hüfte) auf, handelt es sich vermutlich um Knochenschmerzen. Sind Metastasen die Ursache, kann man je nach Allgemeinzustand und Wunsch des Betroffenen auch eine Schmerzbestrahlung andenken.

Im Prinzip gilt das bekannte WHO-Stufenschema, wobei die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Krebshilfe in ihrer Leitlinie auf Stufe 2 verzichten. Für Sie heißt das: Sie beginnen mit Nicht-Opioid-Analgetika (Stufe 1) und fügen ggf. ein stark wirksames Opioid (Stufe 3) hinzu.

Saft oder Tee überdecken unangenehmen Geschmack

Metamizol bzw. Novaminsulfon wirkt nicht nur analgetisch, sondern auch spasmolytisch, was sich vor allem bei Abdominalschmerzen als günstig erweist. Ebenso kann es bei opioidrefraktären Pleuritisschmerzen (Pleurakarzinose) helfen. Geben Sie Betroffenen von Anfang an die Tageshöchstdosis (4 x 1 g), am besten als Tabletten oder Tropfen. Bei Letzteren lässt sich der unangenehme Geschmack durch schwarzen Tee oder Obstsaft überdecken. Die gefürchtete Hypotonie tritt im Allgemeinen nur bei zu schneller Injektion auf, schreibt Dr. Rost. Ist die parenterale Gabe notwendig, rät er zu einer Kurzinfusion mit Volumina von 100–250 ml.

Nebenwirkungen vorbeugen

  • Übelkeit (sistiert oft bei längerer Einnahme): vor den Mahlzeiten niedrig dosiertes Haloperidol 3 x 5 Tropfen, alternativ Metoclopramid bis 3 x 10 mg
  • Obstipation: Macrogol mit reichlich Flüssigkeit, alternativ Bisacodyl, Lactulose (cave: Blähungen), bei mehrtägiger Obstipation Klysmen, Einläufe. Ultima Ratio: Naltrexon, das peripher die Opioidwirkung antagonisiert.
Aus Sicht von Dr. Rost ist es besser, mehrere Einzelwirkstoffe zu kombinieren als eine Substanz bis zur Höchstdosis auszureizen. Und Vorsicht: Denken Sie an die Möglichkeit, dass die Darmpassage mechanisch verlegt ist, vor allem bei Primärtumoren bzw. Metastasen im Bauchraum.
  • ZNS: Benommenheit/Sedierung sind oft eher erwünscht, bei Halluzination oder Delir: Opioid absetzen/wechseln
  • Myoklonien (häufig unter Morphin): auf Hydromorphon oder Fentanyl umsetzen

Sollte Ihnen bei den Blutbildkontrollen eine Leukopenie auffallen, müssen die Substanzen sofort abgesetzt werden. Diclofenac und Ibuprofen gelten bei Knochen- und Entzündungsschmerzen als Mittel der Wahl, sind bei Magen- oder Duodenalulzera in der Anamnese aber kontraindiziert. Paracetamol wirkt etwas schwächer analgetisch als Novaminsulfon und vor allem fiebersenkend. Es verbietet sich bei fortgeschrittenem Leberschaden. Auf Dauer werden diese Substanzen jedoch nicht ausreichen, so der Autor. Dann braucht es (zusätzlich) ein Opioid. Hierzulande setzen Ärzte zumeist auf Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl oder Levomethadon. Beginnen Sie mit der geringsten wirksamen Dosis, wobei in der Palliativsituation nach oben keine Grenzen gesetzt sind. Bei Buprenorphin gilt zu bedenken, dass die analgetische Wirkung des partiellen Opioidagonisten ins Gegenteil umschlagen kann. Die Wahl des optimalen Wirkstoffs hängt auch von der Gesamtlage ab. Bei Leber- und/oder Niereninsuffizienz eignen sich etwa Hydromorphon oder Fentanyl besser als Morphin. Müssen Sie die Substanz wegen Nebenwirkungen oder Wirkverlust wechseln, gilt es, die äquipotenten Dosierungen zu beachten. Ein hilfreicher Artikel dazu findet sich unter dem rechts aufgeführten Link zur Opioidrotation.

Beispiele für Koanalgetika bei Tumorschmerzen und ihre Indikationen
Substanz(klasse)
Indikation
Dosis
Kommentar
Antikonvulsivastarke neuropathische Schmerzen

Gabapentin: Beginn mit 300 mg/d bis max. 3600 mg/d

 

Pregabalin: Beginn mit 25–75 mg abends, max. 600 mg/d auf mehrere Gaben verteilt

Müdigkeit möglich, daher erste Dosis am besten zur Nacht geben; nach längerer Einnahme nicht abrupt absetzen ➞ Entzugskrämpfe!
Antidepressiva

Mirtazapin bei begleitender Schlafstörung, Appetitmangel

 

Citalopram bei Antriebsschwäche

 

Amitriptylin bei nächtlichen brennenden Ruheschmerzen

7,5–15 mg zur Nacht

 

10 mg am Morgen

 

25–50 mg (max. 75 mg)

Vorsicht mit Amitriptylin bei Herz- und Lebererkrankungen, Harnretention
BenzodiazepineSchlafstörungenLorazepam: 0,5–2 mg
Butylscopolaminviszerale spastische Schmerzenparenteral oder als Kurzinfusion geben
Bisphosphonate, DenosumabKnochenschmerzenje nach Präparat optimalerweise parenterale Gabe alle 3–4 Wochen

ggf. Kalzium und Vitamin D substituieren

 

vorher Kieferosteonekrose ausschließen lassen

DexamethasonLeberkapselspannungsschmerzEinmalgabe am Morgen cave: psychische Nebenwirkungen (Schlafstörungen, Albträume) können Wirkung konterkarieren

Koanalgetika in bestimmten Situationen sinnvoll

Buprenorphin- oder Fentanyl-Matrixpflaster haben ihren Stellenwert bei stabilen Schmerzen, Schluckproblemen und mangelhafter Resorption. Auch lässt sich mit ihnen die Zahl der täglich einzunehmenden Tabletten reduzieren, so Dr. Rost. Nicht vergessen werden dürfen auch die sogenannten Koanalgetika (s. Tabelle). Diese lindern zwar nicht per se die Schmerzen, können aber in bestimmten Situationen effektiv helfen.

Quelle: Rost A. Arzneiverordnung in der Praxis August 2020

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Die Wahl des Analgetikums hängt von der Art, der Stärke und der Lokalisation der Schmerzen ab. Die Wahl des Analgetikums hängt von der Art, der Stärke und der Lokalisation der Schmerzen ab. © iStock/sdominick