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Opioidinduzierte Androgendefizite nicht übersehen!

Bei der opioidinduzierten Androgen-Defizienz (OPIAD) kommt es durch die Medikation zu einem erniedrigten Testosteronspiegel, der von unterschiedlichen Beschwerden begleitet sein kann. Studienergebnisse besagen, dass etwa 63 % der Männer mit einer Opioid-Dauergabe davon betroffen sind, so PD Dr. Stefan Wirz von der Universitätsklinik Bonn. Bei Frauen geht man von einer niedrigeren Prävalenz aus, allerdings ist die Datenlage dazu spärlich.
Die OPIAD entsteht über verschiedene Mechanismen. Zum Beispiel beeinflussen Opioide die Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse. Im Hypothalamus hemmen sie über µ-Rezeptoren die pulsatile Freisetzung von GnRH, was zu einer Reduktion von LH, FSH, Testosteron und Östrogen führt. Auch indirekt senken die Substanzen das GnRH, und zwar durch Stimulation der Prolaktinsekretion (zu einer Hyperprolaktinämie kommt es bei bis zu 40 % der Patienten).
Daneben können Opioide über zentrale Rezeptoren die Sekretion von Corticotropin-Releasing-Hormone (CRH) und Vasopressin senken. Die durch CRH-Mangel bewirkte ACTH-Reduktion führt bei etwa 15 % bis 24 % der Opioidbehandelten beiderlei Geschlechts zu einem Hypokortisolismus.
Das OPIAD-Risiko scheint bei lang wirksamen Retardformulierungen oder größeren Mengen anzusteigen. Als Schwellendosis werden 100 bis 200 mg/d genannt. Doch auch geringere Mengen sollen einen Hypogonadismus auslösen können, und zwar v.a., wenn diese länger als 30 Tage eingenommen werden. Jedoch sind die Publikationen insgesamt widersprüchlich.
Unterschiedlicher Effekt durch Rezeptoraffinität?
Ebenfalls diskutiert wird die Frage, ob die unterschiedliche Affinität der Opioide zu den Rezeptortypen die antiandrogenen Wirkungen beeinflusst. So soll Tapentadol durch die geringere Affinität für den µ-Rezeptor auch eine geringere antiandrogene Wirkung haben. Auch Buprenorphin als Partialagonist scheint den Testosteronspiegel weniger zu reduzieren als z.B. Methadon. Insgesamt ist Dr. Wirz zufolge keine evidenzbasierte Aussage hinsichtlich einer Präferenz bestimmter Opioide möglich. Die OPIAD scheint von der Applikationsform allerdings unabhängig zu sein. Sie tritt sowohl bei oraler als auch bei dermaler oder intrathekaler Gabe auf.
Beschwerden, die der niedrige Androgenspiegel verursacht, werden häufig der Grunderkrankung oder den Schmerzen zugeordnet. Für die Diagnose muss man deshalb vor allem „daran denken“. Neben der klinischen Untersuchung können Fragebogen auf die richtige Spur führen. Wichtig ist, andere androgensupprimierende Erkrankungen oder Zustände auszuschließen:
- Nebennierenrindeninsuffizienz
- Drogen- oder Alkoholabusus
- Depression, Angststörung
- Hypothyreose
- Malnutrition
- andere Medikamente, z. B. Antidepressiva
Bei begründetem Verdacht stehen Blutuntersuchungen an, wobei aufgrund der Komplexität einer Androgeninsuffizienz ein Urologe oder Endokrinologe mit ins Boot geholt werden sollte. Ein Gesamttestosteron < 8 nmol/l gilt als erniedrigt, Werte zwischen 8 und 12 nmol/l sind regelmäßig zu kontrollieren. Mithilfe weiterer Parameter wie LH und FSH lässt sich der Hypogonadismus einkreisen und das therapeutische Prozedere planen.
Beschwerden bei Androgeninsuffizienz
- Stimmungsschwankungen, Depressionen, Angst, kognitive Störungen
- Libidoverlust, erektile Dysfunktion, Hodenverkleinerung
- Gynäkomastie
- Amenorrhö, Infertilität, Galaktorrhö
- Hitzewallungen, Schlafstörungen, Anorexie, orthostatische Hypotonie
- Hyperalgesie
- Osteoporose, Reduktion der Muskelmasse
- Anämie
- Gewichtszunahme, Glukoseintoleranz, Dyslipidämie.
Androgenersatztherapie auch bei Männern off label
Ein evidenzbasiertes Vorgehen gibt es für die OPIAD nicht. Ob bei Männern eine Androgenersatztherapie einzuleiten ist, hängt von den Testosteronwerten, den Beschwerden und dem Vorliegen von Kontraindikationen ab (z.B. Verdacht auf Prostatakarzinom, Kinderwunsch, Prostatahyperplasie). Offiziell zur Behandlung zugelassen ist der Hormonersatz allerdings nicht. Nicht vergessen: Vor und während der Testosteronsubstitution müssen die PSA-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden. Insgesamt rät Dr. Wirz dringend dazu, Urologen, Andrologen oder Endokrinolgen miteinzubeziehen. Für Frauen ist die Ersatztherapie in keiner Indikation zugelassen. Ob weibliche Patienten bei einer OPIAD von Androgenen profitieren ist unklar – Leitlinien zur Androgentherapie bei Frauen existieren nicht. Eine andere Therapieoption ist die Reduktion der Opioidtagesdosis. Dies dürfte allerdings häufig schwer zu bewerkstelligen sein. Als Alternative kann der Wechsel auf ein Opioid mit einer Bindung an andere Rezeptorsubtypen helfen. Daneben ist zudem der Einsatz weiterer Therapieverfahren wie z.B. die Gabe von Antidepressiva zu erwägen, schreibt Dr. Wirz.Quelle: Wirz S. Schmerzmedizin 2021; 37: 26-34; DOI: 10.1007/s00940-021-3226-y
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