Über den Umgang mit Medikamenten in der Palliativmedizin

Maria Fett

So multimodal Schmerzen sind, so multimodal kann deren Behandlung aussehen. So multimodal Schmerzen sind, so multimodal kann deren Behandlung aussehen. © iStock/Eugeniusz Dudzinski

Fortschritte in der palliativen Schmerztherapie lassen sich nicht allein mit neuen Substanzen erzielen. In erster Linie gilt es, die bestehenden Möglichkeiten richtig zu nutzen. Dazu gehört auch, Schmerzen nicht als rein körperliches Phänomen zu verstehen.

Viele Ärzte wissen um den Zusammenhang zwischen Körper und Psyche. Trotzdem passiert es im Behandlungsalltag (zu) häufig, dass Schmerzen erst irgendwie objektiv messbar sein müssen, bevor eine Therapie veranlasst wird. „Schmerz ist, wenn der Patient sagt, dass es weh tut“, hält der Wiesbadener Palliativmediziner Dr. Bernd­ Oliver­ Maier­ von der Medizinischen Klinik III am St. Josefs-Hospital dagegen. Es sei unabdingbar, Schmerz als multidimensionales Phänomen zu sehen, an dem psychische Prozesse einen ganz wesentlichen Anteil haben. Wer dies verinnerlicht und den Wünschen seiner Patienten in der Therapie angemessenen Platz einräumt, erhöht die Chance auf effektive Linderung.

Das Standardvorgehen in der Planung einer solchen Behandlung umfasst neben dem regelmäßigen aktiven Screening von Risikopatienten das sorgsame Erfassen und Charakterisieren des Schmerzes. Dies dient vor allem dazu, die zugrunde liegenden Pathomechanismen zu erkennen, die ihrerseits die Therapie­optionen beeinflussen. Dr. Maier riet zu folgenden Leitfragen:

  • Ist der Schmerz akut oder chronisch?
  • Lässt er sich auf die Grunderkrankung, deren Behandlung oder beides zurückführen?
  • Gibt es eine inzidentelle Komponente?
  • Können Durchbruchschmerzen ausgemacht werden?

Um dem multifaktoriellen Ursprung der Beschwerden gerecht zu werden, sollte man neben den pharmakologischen Möglichkeiten andere Behandlungsmodalitäten abwägen. Im Vordergrund steht die Frage, wie sehr der Schmerz die Lebensqualität des Patienten beeinflusst und welche Option im Einzelfall am besten passt, unterstrich Dr. Maier. Dazu gehört selbstverständlich auch, die zu erwartenden Vorteile mit den Risiken der Therapie abzuwägen.

Der Erfolg steht und fällt mit der Erwartung des Patienten

Meist hilft ein Blick über den Tellerrand. So multimodal Schmerzen sind, so multimodal kann deren Behandlung aussehen. „Holen Sie sich Rat und Unterstützung von spezialisierten Schmerztherapeuten – vor allem bei komplexem Schmerzgeschehen“, ermutigte der Palliativmediziner. Vorausgegangene Behandlungen und deren Ergebnisse, die individuelle Prognose, eventuell zu erwartende Abhängigkeiten von Analgetika und Komorbiditäten sollten auf jeden Fall berücksichtigt werden.

Todeswünschen nachspüren

Suizidal oder den raschen Tod herbeisehnend? In der S3-Leitlinie Palliativmedizin für Menschen mit einer unheilbaren Krebserkrankung wird beides sorgsam auseinandergehalten. Demnach sind Todeswünsche als Phänomen zu verstehen, das bei Personen mit einer lebenslimitierenden, progressiven Erkrankung auftritt. Dieser Wunsch nach dem Tod reicht von dessen Akzeptanz (Lebenssattheit) über die Hoffnung auf den baldigen Beginn des Sterbeprozesses bis hin zur akuten (bewusst geplanten) Suizidalität. Etwa 8–22 % der Patienten mit einer unheilbaren Krebserkrankung berichten von Todeswünschen. Einer aktuellen Arbeit mit 377 onkologischen Patienten zufolge äußern 18,3%gelegentlich solche Gedanken, 12,2%nennen einen ernsthaften Todeswunsch. Wie aber kann bzw. sollte man damit umgehen, wenn die eigenen Patienten zu einemsagen: „Ich möchte sterben?“ In der angesprochenen Leitlinie finden sich dazu hilfreiche Hinweise. Wichtig ist, zu erfassen, wie demoralisiert und depressiv die Person ist. Ein kurzes Screeningmit zwei Fragen hilft dabei, Depressionen zu entdecken:
  1. Haben Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos gefühlt?
  2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Neben allem anderen steht oder fällt der Erfolg der Bemühungen mit der Erwartung der Patienten. Sie offen und ehrlich aufzuklären, ist laut Dr. Maier daher einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren. Die Betroffenen müssen nicht nur wissen, wie eine gewählte Methode wirkt, sondern auch, wie lange es dauert, bis man mit einer spürbaren Schmerzlinderung rechnen kann (Wann tritt die Wirkung ein? Wie häufig muss man bis dahin z.B. Medikamente geben?). Nicht verschwiegen werden sollten mögliche Nebenwirkungen. Besonders über Opioide kursieren einige populäre Mythen, die die Ängste von Betroffenen schüren können. „Sprechen Sie diese direkt an“, riet der Kollege.

Opioide neu bewertet

Vor zwei Jahren präsentierte die Weltgesundheitsorganisation ihre Neufassung der Richtlinien zum Umgang mit krebsbedingten Schmerzen. Diese gemäß Dr. Maier „längst überfällige“ Anpassung trage der klinischen Praxis Rechnung. Das WHO Stufenschema war – wenn auch sehr einprägsam – niemals als Therapiealgorithmus gedacht, sondern sollte vielmehr als Argumentationshilfe für den Einsatz stark wirksamer Opioide dienen. Entsprechend wurde dieser „Goldstandard der intensitätsmodulierten Schmerztherapie“ nun in den Anhang als Anlage zurückgestuft. Zudem
  • findet sich die WHO-Stufe-II nun als gleichwertige Option zu einer niedrig dosierten Stufe-III Medikation und nicht mehr als notwendiger Zwischenschritt bei moderaten Schmerzen.
  • können Ärzte in der Erstlinientherapie neben Morphin fortan Hydromorphon und Oxycodon einsetzen.
  • ist es möglich, sowohl retardierte als auch nicht-retardierte Applikationsformen zur Dosisfindung bei der effektiven Opioidtherapie wählen.
  • soll man darauf achten, jede Dauermediaktion mit einer rasch wirksamen Bedarfsmedikation zu ergänzen.

In der palliativen Versorgung sieht man sich häufig mit dem Off-Label-Gebrauch von Analgetika konfrontiert. Viele der gängigen Therapieansätze samt geltender Leitlinienempfehlungen sind nicht durch eine Zulassung des Präparats für die entsprechende Indikation gedeckt. Morphin zum Beispiel wird häufig bei Atemnot eingesetzt, obwohl es nur für die Schmerzbehandlung die Zulassung besitzt. Dr. Maier appellierte daran, sich jeden Einsatz bewusst zu machen, sicher zu dokumentieren und dabei einer klaren Strategie zu folgen. Handelt es sich um einen wissenschaftlich gut nachvollziehbaren Einsatz oder ist er eher experimenteller Natur?

Gewonnenes Vertrauen nicht durch Formalitäten zerstören

Von einem sollte man jedoch bei aller Sorgfalt absehen: sich ein formelles Einverständnis der Patienten zu holen. Zum einen können viele Betroffene mit fortschreitender Krankheit kaum noch einem formellen Aufklärungsgespräch folgen und ihren Willen differenziert ausdrücken. Zum anderen wird dadurch ggf. viel von dem Vertrauen zerstört, das für die effektive Schmerzbehandlung so wichtig ist.

Quelle: 14. Allgemeinmedizin-Update- Seminar (Online-Veranstaltung)

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So multimodal Schmerzen sind, so multimodal kann deren Behandlung aussehen. So multimodal Schmerzen sind, so multimodal kann deren Behandlung aussehen. © iStock/Eugeniusz Dudzinski