So schützen Sie sich vor Fehldiagnosen

Dr. Elisabeth Nolde

Absprung zum analytischen Denken schaffen. Absprung zum analytischen Denken schaffen. © fotolia/Gina Sanders

Hinterwand­infarkt verkannt! Legionellen­pneumonie übersehen! Sind es junge Ärzte, schlechte Ärzte, müde Ärzte, denen Fehldiagnosen unterlaufen? Wissenswertes zu den Tücken des diagnostischen Prozesses – und wie man sich davor schützen kann.

Der medizinische Irrtum nimmt laut einer US-Analyse den dritten Rangplatz auf der Liste der Todesursachen ein. Als häufigste Gründe erwiesen sich Fehler bei Medikationen, Diagnosen und der Interpretation von Tests bzw. Untersuchungen, so Dr. Matthias Janneck, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Literaturdaten zufolge liegt der Anteil der Fehldiagnosen bei 10–15 %.

Jede sechste Synkope wegen Lungenembolie

Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit Lungenembolien. Bei 100 Patienten, die nachweislich daran verstorben sind, wurde diese Diagnose nur in 55 % zu Lebzeiten gestellt. Einer aktuellen Studie zufolge steckt hinter jeder sechsten Synkope eine Lungenembolie. „Wir alle machen solche Fehler“, so Dr. Janneck. Aber warum? Bei der Beschäftigung mit möglichen Ursachen fanden Forscher Folgendes heraus:

  • Fehler werden repetitiv und systematisch gemacht
  • mangelndes Wissen ist i.d.R. nicht die führende Ursache
  • meist wird die richtige Diagnose nicht in Erwägung gezogen

Zu den Hauptgründen für Fehldiagnosen scheint das „Irren mit Konzept“ zu gehören. Demnach ist unser Gehirn extrem bereit, bestimmte Diagnosen abzuliefern. Das läuft in klinischen Situationen blitzschnell ab und ist überdies einfach. Doch Befunde können auch fehlinterpretiert werden. Um sich vor Fehldiagnosen zu schützen, sollte eine Balance gefunden werden zwischen dem klinischen Routineblick und der Wahrnehmung von Außergewöhnlichem. Dabei lassen sich vier klassische Konstellationen unterscheiden:

  • die typische Manifestation einer häufigen Erkrankung
  • die typische Manifestation einer seltenen Erkrankung
  • die atypische Manifestation einer häufigen Erkrankung
  • die atypische Manifestation einer seltenen Erkrankung (s. Fälle)

Um der ärztlichen Entscheidungsfindung auf die Spur zu kommen, machten sich Wissenschaftler daran, den diagnostischen Prozess aufzudröseln: Allem voran steht der Patient mit seiner Krankheitspräsentation. Darauf reagiert das Gehirn, indem es eine „innere geistige Aktentasche“ bemüht, um zu prüfen, ob ein Muster für die Befunde existiert.

Muster-Erkennungsschiene funktioniert erstaunlich gut

Wird kein Muster erkannt, gibt es als Option den analytischen Denkansatz. Hierbei werden Differenzialdia­gnosen gemäß Lehrbuch durchgekämmt. Kurz gefasst gibt es also zwei Wege, und zwar die schnelle Mustererkennung und den langsamen analytischen Prozess.

Zurück zum Alltag: Fortwährend muss ein Arzt anhand verfügbarer Daten klinische Entscheidungen treffen. Dies läuft weitgehend über die Muster-Erkennungsschiene und funktioniert erstaunlich gut, so Dr. Janneck. Bei systematischen Denk- und Wahrnehmungsfehlern können Denkwege grob vereinfacht beispielsweise so ablaufen: Gesucht werden Befunde, die die eigenen Verdachtsdiagnosen stützen, während man Befunde, die dagegen sprechen, gern leichtfertig ignoriert. Keiner erwartet im Praxisalltag, dass die initiale Diagnose immer stimmt, sagte Dr. Janneck. „Wenn allerdings weitere Befunde reinkommen, die partout nicht passen, muss man sich von der Erstdia­gnose verabschieden.“

Diagnostische Wege immer hinterfragen

Generell sollten die Wege, die zur Diagnose führen, hinterfragt werden und auch der Absprung zum analytischen Denken sollte gelingen. Wer sich mit übergeordneten Denk- und Wahrnehmungsfehlern ausein­andersetzt, kann sich besser vor falschen Diagnosen schützen:
  • Als einer der wichtigsten „Irrtümer“ gilt der sog. Bestätigungsfehler: Die verfügbaren Informationen werden direktiv in Richtung der Verdachtsdiagnose bewertet. Letztlich kommt es zur Fehldiagnose.
  • Auch das zu frühe Festlegen auf eine Diagnose erfordert eine selbstkritische Auseinandersetzung. Ein praktisches Beispiel: Bei unklaren Oberbauchschmerzen sollte man nicht sofort „V.a. Cholezystitis“ auf den Bogen schreiben. „Denn danach macht sich keiner mehr Gedanken, der Fall ist sozusagen diagnostisch tot“, kommentierte Dr. Janneck.
  • Von einem „search satisfaction bias“ sprechen Spezialisten, wenn ein neuer Befund, z.B. ein erhöhter Troponin-Wert, perfekt in das aktuell angedachte Konzept passt. Dabei sollte man immer überlegen, ob Laborwerte und Untersuchungsergebnisse wirklich das diagnostische Problem lösen.


Quelle: 123. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Absprung zum analytischen Denken schaffen. Absprung zum analytischen Denken schaffen. © fotolia/Gina Sanders