Systemtherapeutische Optionen

AIO-Herbstkongress 2023 Mascha Pömmerl 

Hirnmetastasen treten immer häufiger auf. Hirnmetastasen treten immer häufiger auf. © SciePro – stock.adobe.com

Bessere Bildgebungsverfahren und wirksame onkologische Behandlungen lassen die Inzidenz von Hirnmetastasen stetig steigen. Expert:innen diskutierten nun über neue Erkenntnisse zu histopathologischen Wachstumsmustern und aktuelle Standards

Metastasen können – anders als ein Primärtumor – sich unterschiedlich verhalten. Eine Metastase kann so wachsen, dass das Gewebe dabei erhalten oder zerstört wird. „Damit haben wir mindestens zwei unterschiedliche Typen einer Makrometastase“, erklärte Prof. Dr. ­Tobias ­Pukrop, Universitäts­klinikum Regensburg.1 Entscheidend für die Art des Wachstumsmusters der Filiae ist demnach die Interaktion der malignen Zellen mit dem Microenvironment des Organs, in dem die Metastase wächst. 

Der Mechanismus der weiteren Ausbreitung von Makrometastasen könne sich von der Expansion des Primärtumors – also der Invasion als erstem Schritt einer Metastasierung – unterscheiden, erklärte Prof. ­Pukrop. Beim Replacing (oder Infiltration) wird die vorhandene Basalmembran verwendet und die ursprünglichen parenchymalen Zellen des Zielorgans werden ersetzt. „Ein komplett anderer Mechanismus, als wir ihn von der Invasion kennen.“ 

„Bitte achten Sie auf das HGP der Filiae“

Die Unterscheidung der histopathologischen Wachstumsmuster (HGP) wirke sich auch auf klinische Parameter aus. So haben Filiae, die den nicht-infiltrativen Phänotyp aufweisen, eine deutlich bessere Prognose – dies demonstrierten Forschende für Hirn- und vor allem für Lebermetastasen. Prof. P­ukrop ergänzte, dass für CPI das HGP auch prädiktiv sein könnte.

„Nicht-infiltrierende Hirnmetastasen rufen lokalen Druck hervor und machen keine Meningeosis, Metastasen mit einem gemischten Wachstum machen Druck plus Meningeosis und die Metastasen mit diffus infiltrierendem Wachstum machen Meningeosis“, erklärte er und appellierte: „Bitte achten Sie auf das HGP der Metastasen. Es macht einen riesigen Unterschied und sie werden in den nächsten fünf Jahren erfahren, welchen Einfluss das auf die Checkpoint-Blockade hat.“

Bereits bei Krebsdiagnose im metastasierten Stadium weist ein beachtlicher Anteil der Erkrankten Hirnfiliae auf; am häufigsten trifft das auf Melanom und Lungentumoren zu, konstatierte PD Dr. Daniel ­Heudobler, Universitätsklinikum Regensburg.2 Trotzdem sei die Datenlage zur Systemtherapie von Hirnmetastasen nach wie vor schlecht. Die Behandlung mit den Optionen Neurochirurgie sowie Strahlen-, System- und Supportivtherapie richtet sich u.a. nach Anzahl, Lokalisation und Größe der Hirnmetastasen. Daneben spielen Alter, Komorbiditäten, Allgemeinzustand, Prognose, neurologische Symptome, Steroidbedarf, Hirndruckzeichen sowie die extrakranielle Tumorlast eine Rolle – und letztendlich auch die Frage, ob für die jeweilige Entität eine wirksame Systemtherapie zur Verfügung steht. Grundsätzlich müsse bei neu diagnostizierten Hirnmetastasen zuerst zwischen symptomatischen und asymptomatischen Patient:innen unterschieden werden. Während Personen mit asymptomatischen Filiae upfront eine Systemtherapie mit einer ZNS-aktiven Substanz erhalten sollten, bekommen Erkrankte mit symptomatischen Hirnmetastasen eine Lokaltherapie, also eine OP oder Bestrahlung.

Das Gehirn gilt als immunsuppressive Umgebung, sodass die Wirkung einer Immuntherapie dort zunächst als unwahrscheinlich diskutiert wurde. PD Dr. ­Heudobler erklärte, dass die CD8+ T-Zell-Infiltration im Gehirn vom Primärtumor abhänge. Im Falle von Gliomen sei sie sehr gering, bei Hirnmetastasen deutlich höher und besonders hoch bei Melanomen. In zwei Landmark-Trials zur Immuntherapie mit Nivolumab und Ipilimumab – ­CheckMate 204 und ABC – beim metastasierten Melanom, waren Personen mit aktiven Hirnmetastasen zugelassen. In beiden Phase-2-Studien wurden „sehr respektable intrakranielle Ansprechraten“ erzielt, die sich dann in ein langes progressionsfreies und Gesamtüberleben übersetzten, so Dr. ­Heudobler. Die Kombination erzielte deutliche Vorteile gegenüber alleinigem Nivolumab. 

Zielgerichtet gegen BRAF-Mutation plus Symptome

In CheckMate 204 erreichten Erkrankte mit asymptomatischen Hirnmetastasen eine sehr hohe intrakranielle Benefit-Rate im Vergleich zu jenen mit symptomatischen Filiae, die mit Dexamethason behandelt werden durften. Diese Gruppe wies ein deutlich reduziertes Ansprechen sowie PFS und OS auf. „Die symptomatischen Patient:innen sind problematisch“, resümierte PD Dr. ­Heudobler. Die EANO-ESMO-Leitlinie zur Behandlung von Hirnmetastasen bei soliden Tumoren nennt Nivolumab plus Ipilimumab als die zu bevorzugende Erstlinientherapie für Melanom­erkrankte mit asymptomatischen Hirnmetastasen unabhängig von ihrem BRAF-Mutationsstatus. Im Falle von symptomatischen ZNS-Filiae mit BRAF-Mutation und wenn die Betroffenen Dexamethason benötigen, wird eine zielgerichtete Therapie mit Dabrafenib und Trametinib empfohlen. 

Rolle der Blut-Hirn-Schranke

Heute wisse man, dass die Blut-Hirn-Schranke bei ZNS-Filiae verändert ist. „Die metastasierenden Zellen schädigen die Blut-Hirn-Schranke“, erklärte PD Dr. ­Heudobler. Die Blut-Tumor- bzw. Blut-Metastasen-Schranke sei deutlich permeabler für Medikamente, aber auch für inflammatorische Zellen. 

Immuntherapie +/- Chemo bei fehlenden Alterationen

Personen mit NSCLC und Hirnmetastasen hingegen sollten einer großen Metaanalyse zufolge eine Kombination aus Immun- und Chemo­therapie erhalten. In die Phase-­2-Studie ­ATEZO-BRAIN waren NSCLC-Patient:innen mit entweder unbehandelten asymptomatischen oder mit Antikonvulsiva oder Low-dose-Dexamethason behandelten Hirnmetastasen eingeschlossen. Atezolizumab plus Chemo führte zu einer systemischen ORR von 45 % und einer intrakraniellen ORR von 42,7 %. Die EANO-­ESMO-Leitlinie empfiehlt für Erkrankte mit asymptomatischen Hirnmetastasen ohne adressierbare Treibermutation entweder eine alleinige Immuntherapie (PD-L1-Expression ≥ 50 %) oder eine Chemoimmuntherapie (PD-L1-Expression < 50 %). PD Dr. ­Heudobler sieht Letztere grundsätzlich im Vorteil.

Die seit zwei Jahren laufende Studie ­Break B5-BM-NSCLC schließt NSCLC-Patient:innen mit mindestens einer nicht vortherapierten Hirnmetastase ein. Geprüft wird die duale Checkpoint-Inhibition mit Nivolumab und Ipilimumab in Kombination mit Bevacizumab und außerdem in den ersten zwei Zyklen plus Carboplatin und nab-Paclitaxel. 

Personen mit NSCLC und onkogenen Treibermutationen weisen besonders häufig Hirnfiliae auf. Die derzeit verfügbaren TKI gegen EGFR und ALK erreichen bei asymptomatischen Metastasen sehr gute intrakranielle Ansprechraten, so PD Dr. ­Heudobler. Intra- und extrakranielles Ansprechen unterschieden sich kaum. So empfiehlt auch die EANO-ESMO-Leitlinie in der Erstlinie eine zielgerichtete Behandlung. In der ­FLAURA2-Studie führte die Kombination aus Osimertinib plus Chemotherapie bei NSCLC-Patient:innen mit EGFR-Mutation und Hirnmetastasen zu einer hohen CR-Rate im Gehirn im Vergleich zu Osimertinib alleine; die ORR fiel ähnlich aus. Die Addition der Chemotherapie zum Aufbrechen der epithelialen Barriere könne damit für die Betroffenen einen Benefit darstellen, kommentierte Dr. ­Heudobler.

In die ­HER2CLIMB-Studie zum metastasierten HER2+ Mammakarzinom wurden auch Erkrankte mit unbehandelten oder nach lokaler Therapie aktiven Hirnmetastasen eingeschlossen. Die Ergänzung von Trastuzumab und Capecitabin mit Tucatinib verdoppelte die intrakranielle Ansprechrate. In der Gruppe von Patient:innen mit Hirnmetastasen reduzierte sich das Progressionsrisiko um 68 %. Auch das mediane OS wurde durch zusätzliches Tucatinib signifikant verlängert. 

Zum ersten Mal bei aktiver Hirnmetastasierung wurde in der einarmigen ­TUXEDO1-Studie mit Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) ein Antikörper-Drug-Konjugat eingesetzt. Die intensiv vorbehandelten Teilnehmenden erzielten eine ORR von 73 %. Auch die Leitlinien empfehlen für die Therapie von asymptomatischen oder oligometastasierten Hirnmetastasen bei HER2+ Mammakarzinomen die HER2-gerichtete Systemtherapie, um die Ganzhirnbestrahlung hinauszuzögern. „Mit Blick auf die aktuellen Daten denke ich aber, dass die Empfehlungen in Zukunft noch klarer in Richtung Systemtherapie ausfallen dürften“, erklärte Dr. ­Heudobler. Dazu würden seiner Meinung nach auch die Daten einer gepoolten Analyse von Patient:innen mit Hirn­metastasen der Studien DESTINY Breast01, -02 und -03 beitragen. T-DXd erzielte überlegene intrakranielle Ansprechraten bei behandelten sowie aktiven, unbehandelten Hirnmetastasen.

1. Pukrop T. 20. AIO-Herbstkongress 2023; Session: State-of-the-Art ZNS-Tumoren/Meningeosis; Vortrag: „Pathophysiologie“
2. Heudobler D. 20. AIO-Herbstkongress 2023; Session: State-of-the-Art ZNS-Tumoren/Meningeosis; Vortrag: „Systemtherapie bei Hirnmetastasen“

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Hirnmetastasen treten immer häufiger auf. Hirnmetastasen treten immer häufiger auf. © SciePro – stock.adobe.com