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Über die Wirksamkeit von Medikamenten bei MS-assoziierten Gedächtnisproblemen

Die zunehmende Demyelinisierung führt nicht nur zu körperlichen Einschränkungen, sondern beeinträchtigt MS-Patienten auch in ihren geistigen Fähigkeiten. Am stärksten wirkt sich dies auf die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, auf Lernen und Gedächtnis aus. In klinischen Studien werden diese Einschränkungen jedoch meist vernachlässigt und – wenn überhaupt – allenfalls als sekundäre Endpunkte betrachtet, schreiben Dr. Michelle H. Chen von der Kessler Foundation in East Hanover und ihre Kollegen.
Es mag daher kaum verwundern, dass Forscher 2013 in einem Cochrane-Review keine überzeugende Evidenz für die Wirksamkeit der verfügbaren MS-Medikamente bei mit der Multiplen Sklerose assoziierten Gedächtnisstörungen feststellen konnten. Eine andere Autorengruppe wies drei Jahre später in einer systematischen Übersichtsarbeit zwar auf mögliche kognitionsverbessernde Effekte der neueren, krankheitsmodifizierenden Therapien hin, monierte aber die mäßigen Studiendesigns.
Aktueller Review sorgt erneut für Ernüchterung
Nachdem sich zuletzt sowohl die Studienlage als auch die Reviewmethodik selbst verbessert haben, starteten die Autoren der vorliegenden Arbeit nun einen neuen Anlauf, die Effektivität gängiger MS-Präparate auf das kognitive Vermögen der Patienten zu bewerten. Dazu bezogen sie 87 zwischen 1990 und 2020 publizierte Studien zum Thema ein und ließen diese von drei unabhängigen Experten beurteilen.
Das Ergebnis ernüchterte jedoch erneut. Für kein einziges MS-Medikament fanden die Wissenschaftler eine durchgängig positive, qualitativ hochwertige Evidenz, dass eine kognitionsverbessernde Wirkung vorlag. Am besten schnitt noch Fampridin ab, dem eine qualitativ „saubere“ Studie einen mittleren Effekt bescheinigte. Andere RCT lieferten dagegen nur durchwachsene Ergebnisse. Für die krankheitsmodifizierenden Therapeutika kamen die Autoren zu dem Schluss, dass es keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise gebe, die für einen Benefit hinsichtlich der kognitiven Einbußen sprächen.
Ein eindeutiges Urteil fällten die Forscher über die in der Demenztherapie eingesetzten Präparate Donepezil, Rivastigmin und Memantin sowie das Phytotherapeutikum Ginkgo biloba. Auf die geistige Leistungsfähigkeit von Patienten mit Multipler Sklerose hätten sie keinerlei Einfluss.
Als mögliche Ursachen für das magere Ergebnis ließen sich mehrere Punkte identifizieren. So zeigten sich erwartungsgemäß vor allem in unkontrollierten Beobachtungsstudien beim Endpunkt Kognitionsverbesserung meist günstigere Ergebnisse als in den RCT.
Statt dem p-Wert das Cohen’s d heranziehen
Solche qualitativ nicht besonders gut bewertete Arbeiten sind aber nicht hypothesensichernd, erinnern die Autoren. Ein weiterer Fallstrick lauert beim p-Wert, also jener Grenze, ab der ein Effekt als statistisch signifikant gilt. Legt man ihn zugrunde, wirken verschiedene MS-Medikamente durchaus günstig auf den gewählten Endpunkt, selbst in qualitativ hochwertigen Studien. Legten die Autoren jedoch das klinisch weitaus relevantere „Cohen’s d“ – ein Maß der Effektstärke – an, erzielten die Präparate allenfalls kleine Wirkungen.
Für zukünftige Studien fordern die Wissenschaftler unter anderem,
- homogene Gruppen mit Patienten mit nachgewiesenen kognitiven Defiziten zu testen,
- mehrere valide neuropsychologische Verfahren zu nutzen und
- eine an die Endpunkte angepasste, adäquate Studiendauer zu wählen.
Erst dann könnten Ärzte evidenzbasiert über den Nutzen eines Medikaments entscheiden.
Quelle: Chen MH et al. CNS Drugs 2020; 34: 599-628; DOI: 10.1007/s40263-020-00734-4
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