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Antivirale Therapie punktet bei MS

Schon der Erstbeschreiber der Multiplen Sklerose, Pierre Marie, brachte vor 135 Jahren infektiöse Prozesse als Ursache ins Spiel. Inzwischen existiert kaum noch ein Virus, das nicht mit der MS assoziiert wurde – Masern-, Tollwut-, Varizella-, Herpesvirus. „Die eine oder andere Blase ist geplatzt“, konstatierte Privatdozent Dr. Klemens Ruprecht von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Weiter im Rennen sind dagegen EBV und MSRV als Kofaktoren.
Für die Beteiligung von EBV spricht die Tatsache, dass EBV-negative Personen ein extrem niedriges MS-Risiko tragen. Natürlich ist das Virus enorm verbreitet – eine Metaanalyse von zwölf Fall-Kontrollstudien ergab zwar eine Seroprävalenz von 94 % bei Menschen ohne MS. Aber die von MS-Patienten fiel mit 99,5 % noch höher aus. In einer aktuellen Studie an 901 Patienten aus der deutschen KKNMS-Kohorte fanden Dr. Ruprecht und Kollegen nur bei einem einzigen Erkrankten keine EBV-Antikörper.
Mehrfach repliziert wurde inzwischen der Befund, dass die Antikörpertiter bei MS-Patienten höher ausfallen als bei gesunden Kontrollen und schon mehrere Jahre vor Ausbruch der Erkrankung zu steigen beginnen. Der Antikörpertiter gegen das Kernantigen EBNA hat sich als stärkster nicht-genetischer Risikofaktor für eine MS erwiesen, berichtete Dr. Ruprecht: „Die Infektion mit EBV ist offenbar ein frühes Ereignis auf dem Weg zur MS.“
MS als Spätkomplikation der EBV-Infektion?
Einzelfallanalysen ergaben ein Intervall zwischen Serokonversion und MS-Ausbruch von durchschnittlich 5,6 Jahren, wobei die Spanne von 2,3 bis 9,4 Jahre reichte. Dabei scheint das Risiko besonders dann erhöht, wenn jemand erst spät im Leben eine symptomatische EBV-Infektion erleidet, also an infektiöser Mononukleose erkrankt. Symptomatische EBV-Infektionen verdoppeln das Risiko im Vergleich zu asymptomatischen. „Aus epidemiologischer Sicht erscheint die MS als seltene Spätkomplikation der EBV-Infektion“, resümierte der Neurologe. „Die Frage ist nicht mehr, ob es einen Zusammenhang zwischen EBV und MS gibt, sondern wie der verbindende Mechanismus aussieht.“
Spezifische B-Zellen kommen zu spät
Der Gedanke an eine floride oder reaktivierte Infektion im ZNS liegt nahe, aber so einfach ist es wohl nicht. MS-Patienten synthetisieren intrathekal zwar reichlich antivirale Antikörper, aber die richten sich gegen Masern-, Varizellen-, Röteln- oder Herpes-simplex-Viren. EBV-Antikörper finden sich im Liquor nur bei wenigen Patienten. Eine Hypothese besagt, dass im Zuge der EBV-Infektion B-Zellen die Blut-Hirn-Schranke queren und dann im Gehirn Antikörper produzieren, die sich gegen frühere Virusinfektionen richten. Bis EBV-Antikörper produzierende B-Zellen einwandern könnten, ist die Blut-Hirn-Schranke schon wieder geschlossen.
Hat jemand eine infektiöse Mononukleose durchgemacht oder ist er anti-EBV-positiv, bedeutet das noch lange nicht, dass er an MS erkranken wird. Derzeit ist die einzige Konsequenz, die sich aus den Erkenntnissen ziehen lässt: „Wenn ein Patient EBV-negativ ist, sollte man die Diagnose MS noch einmal gründlich überprüfen“, so Dr. Ruprecht.
Etwa 8 % des menschlichen Genoms bestehen aus endogenen Retroviren, die sich im Laufe der Evolution eingenistet haben, aber durch Mutationen, Deletionen und Trunkierungen inaktiviert sind. Bisher sind rund 30 Familien dieser HERV (Human Endogen Retrovirus) genannten Viren bekannt. MSRV zählt vermutlich zur Familie HERV-W, aber der genaue Ursprung ist unklar. Ein MSRV-Hüllprotein namens HERV-W ENV scheint bei der MS-Pathogenese eine Rolle zu spielen. Es wird in MS-Läsionen im ZNS exprimiert und aktiviert dort den Toll-like Rezeptor 4 von Lymphozyten und Mikroglia. Das mündet letztlich in Schäden an den Axonen und gestörte Remyelinisierung.
Neuer Antikörper steigert wohl auch Remyelinisierung
Hier gibt es bereits einen ersten Therapieansatz: Der gegen ENV gerichtete rekombinante monoklonale Antikörper GNbAC1 hat in einer klinischen Phase-II-Studie an 270 Patienten mit schubförmig remittierender MS im Laufe eines Jahres Neurodegenerationsmarker in Thalamus und Kortex verbessert. MRT-Befunde legen nahe, dass er auch die Remyelinisierung zu steigern vermag. „Die Effekte waren nicht dramatisch, aber konsistent“, kommentierte Dr. Ruprecht. Der Ansatz soll auf jeden Fall weiterverfolgt werden.
Kongressbericht: Neurowoche 2018
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