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Update aus der MS-Forschung

Endlich erste Prävalenzdaten
Lange konnte man über Inzidenz und Prävalenz der Multiplen Sklerose in Deutschland nur mutmaßen. Mit dem Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung hat sich das geändert. Im Jahr 2015 wurden demnach 223 000 gesetzlich Krankenversicherte wegen der neurologischen Erkrankung behandelt. Mittlerweile liegen Zahlen aus Bayern vor, die die Daten bestätigen.
Zwischen 2006 und 2015 blieb dort die Inzidenz mit 16 bzw. 18/100 000 Menschen in etwa gleich, während die Prävalenz deutlich von 171 auf 277/100 000 kletterte. Diesen Umstand erklärte sich Professor Dr. Volker Limmroth von der Kölner Klinik für Neurologie und Palliativmedizin mit einer verbesserten Diagnostik und der erhöhten Lebenserwartung. „Es sind die ersten halbwegs validen Zahlen seit 1978!“, schreibt der Kollege in seinem Skript zum Vortrag. Hochgerechnet kommt man hierzulande somit auf etwa 220 000–240 000 MS-Kranke.
Ein Biomarker für junge Patienten
Neurofilamente sind spezifische Marker für Neurone und Axone und damit für neuronale Erkrankungen wie Demenz. Auch für die MS zeigte sich ein Zusammenhang zwischen neuro-axonalen Schäden und hohen Spiegeln der Neurofilamente im Liquor. Von den drei Isotypen der Neurofilamente lieferten die Leichtketten (NF-L) in Studien die robustesten Daten. Praktischerweise korrelieren die Werte im Liquor und im Serum, deuten also auf dieselben physiologischen Veränderungen hin. Die neue Technik „single molecule array assay“, kurz SIMOA, weist einzelne Moleküle im Serum nach – so auch die NF-L.
Leichtkettenfilamente zeigen Therapieerfolg bei Jüngeren
Im vergangenen Jahr hatte ein Team um den Biomediziner Dr. Christian Barro vom Universitätsspital Basel rund 2200 Serumproben von je 259 MS-Kranken und Gesunden untersucht. Die Proben wurden jährlich mittels SIMOA über durchschnittlich 6,5 Jahre erhoben. Gegenüber den Kontrollen waren alle NF-L-Werte bei Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom, schubförmiger oder progredienter MS erhöht. Ergebnisse über der 90. Perzentile der Kontrollwerte galten dabei als unabhängiger Marker für eine Behinderungsprogression im nächsten Jahr.
Auch Gadolinium anreichernde sowie neue bzw. wachsende T2-Läsionen und Hirnatrophie standen mit dem Filamentspiegel im Zusammenhang. „Die Neurofilamentkonzentration reflektiert die neuro-axonale Schädigung möglicherweise besser als das MRT“, sagte Prof. Limmroth. Er gab jedoch zu bedenken, dass die Werte von Alter und Komorbiditäten abhängen und individuell variieren können. Junge Menschen besitzen niedrigere Spiegel. Dennoch: „Leichtkettenfilamente eignen sich als Marker für den Therapieerfolg bei jungen Patienten als sinnvolle Ergänzung der klinischen und MRT-Parameter“, lautete sein Fazit.
Im Schub haben MS-Kranke ordentlich zu schlucken
Während eines MS-Schubs werden routinemäßig Steroide intravenös gegeben. In den letzten Jahren legten Studien nahe, dass der orale Weg ebenfalls eine Option bieten könnte. Allerdings standen in den Untersuchungen nur klinische Parameter im Fokus. Eine Arbeitsgruppe um die Neurologin Professor Dr. Sarah A. Morrow von der Western University in London, Kanada, hat nun erstmals auch neurophysiologische Parameter erhoben.
Zwar konnten die Autoren nur Daten von 45 der ursprünglich 89 rekrutierten Patienten mit Neuritis des Nervus opticus auswerten. Dennoch zeigte sich, dass die orale Äquivalenzdosis von 1250 mg der Standard-i.v.-Gabe von 1000 mg Methylprednisolon nicht unterlegen war. Weder in den klinischen noch in den neurophysiologischen Endpunkten (visuell sowie somatosensibel evozierte Potenziale). Das galt auch noch nach einem halben Jahr.
Steroide i.v. oder oral? Das scheint egal
Fasst man die Ergebnisse der letzten drei Studien zur Frage „i.v. oder oral?“ zusammen, bleibt laut Prof. Limmroth festzuhalten: Einen wesentlichen Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit fand sich zwischen beiden Behandlungsformen nicht. Intravenös verabreichte Steroide könnten seiner Meinung nach jedoch etwas schneller wirken. Auch sei die orale Therapie keine Option für Diabetiker und Hypertoniker. Als weiteren Nachteil der Tablettengabe sah Prof. Limmroth neben vermehrt auftretenden Magenproblemen und Schlafstörungen die Umsetzbarkeit. Patienten müssten 25 Pillen („jeden Tag eine Packung“) nehmen, da es in Deutschland nur Präparate mit 50 mg Prednisolon gibt.
Trotz der genannten Punkte bietet die orale Therapie nach Aussage des Kollegen auch einige Vorzüge. Sie sei für das Gesundheitssystem günstiger und für den Patienten einfacher.
Wer MS sagt, muss auch B sagen
Für die B-Zell-Depletion steht neben Ocrelizumab vermutlich bald ein weiteres Medikament zur Verfügung: Ofatumumab. Bekannt aus der Therapie der chronisch lymphatischen Leukämie hat der ebenfalls gegen CD20 gerichtete humane monoklonale Antikörper „den Charme, dass er subkutan nur alle vier, vielleicht sogar nur alle zwölf Wochen gegeben werden muss“, erklärte Prof. Limmroth. Theoretisch könnten sich MS-Kranke den Wirkstoff selbst spritzen. Ein Vorteil gegenüber Ocrelizumab, für das Betroffene alle sechs Monate etwa fünf Stunden am Tropf hängen. Außerdem soll Ofatumumab bei Patienten anschlagen, die gegen Rituximab und Ocrelizumab resistent sind. „Eine vielversprechende Ergänzung der MS-Therapie“, urteilte der Experte.
Die Wirkung zeigte sich in einer Phase-IIb-Studie. Aufgeteilt auf fünf Behandlungsarme erhielten 232 RRMS-Patienten entweder 3 mg, 30 mg oder 60 mg Ofatumumab alle zwölf Wochen, 60 mg alle vier Wochen oder Placebo.
Gute Effekte, auch wenn noch B-Zellen übrig blieben
Als primärer Endpunkt galt die kumulative Zahl neuer Gadolinium aufnehmender Herde im MRT in der zwölften Woche. Der Anti-CD20-Antikörper verringerte in allen Gruppen im Vergleich zur Sham-Behandlung die neuen Läsionen um 65 %.
Die besten Ergebnisse erzielte eine kumulative Dosis von ≥ 30 mg alle zwölf Wochen (≥ 90%ige Reduktion, als Baseline galt der Wert nach Woche 4). „Interessanterweise korrelierte der Umfang der B-Zell-Depletion nicht genau mit der Wirksamkeit“, schreibt Prof. Limmroth in seinem Skript. Sogar wenn noch B-Zellen übrig blieben, erzielte der Antikörper einen guten Effekt. So reduzierte die 3-mg-Dosis die B-Zellen zwar nur um etwa 25 %, schützte jedoch zu 71 % vor neuen Läsionen in den Wochen 4–12. „Allerdings war die Evaluation mit einem Jahr relativ kurz“, ergänzte der Kölner Kollege.
Kongressbericht: 11. Neurologie-Update-Seminar
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