Progressive MS: Neuroinflammation stoppen, Neuroprotektion fördern

Dr. Elke Ruchalla/Elisa Sophia Breuer

Die progressive MS braucht multimodale Therapieansätze. Die progressive MS braucht multimodale Therapieansätze. © freshidea – stock.adobe.com

Die Neuroinflammation stoppen und die Neuroprotektion fördern: Damit könnte es gelingen, die progressive MS aufzuhalten. Allerdings müssen noch etliche Forschungshürden genommen werden.

Die genaue Pathophysiologie der SPMS und der PPMS ist nach wie vor unklar. Bisher weiß man nur, dass im Vergleich zur RRMS die Atrophie zunimmt. Diese resultiert aus einem chronischen Axonverlust, beeinträchtigter Glia-Homöostase mit Produktion reaktiver Sauerstoff- und Stickstoffspezies und mitochondrialen Schäden. Funktion und Metabolismus der Axone und ihrer Ionenkanäle sind gestört. T- und B-Lymphozyten tragen dazu bei, den Prozess am Laufen zu halten.

Aufgrund der Heterogenität der Prozesse können therapeutische Effekte nur durch einen multimodalen Ansatz erzielt werden. Dieser sollte sowohl auf die neuroentzündlichen Prozesse als auch auf die Neuroprotektion zielen, schreiben Neurowissenschaftler um Junior-Professor Dr. Simon­ Faissner­ vom St. Josef-Hospital, Ruhr-Universität Bochum.

Zu den Möglichkeiten, die Neuroinflammation zu stoppen, gehören:

 

Depletion von B- und T-Lymphozyten

Lymphozyten unterhalten den autoentzündlichen Prozess. Lange hat man off label den CD20-Antikörper Rituximab gegeben, mittlerweile wurde das daraus weiterentwickelte Ocrelizumab von FDA und EMA als erste Therapiemöglichkeit für die PPMS zugelassen. Während ausschließlich B-Zellen CD20 exprimieren, ist das Oberflächenprotein CD52 auch auf T-Zellen präsent. Gegen CD52 gerichtete Antikörper könnten somit beide Lymphozyten-Gruppen angreifen. Aktuell wird GZ402668 auf seine Wirkung untersucht. Als weitere Option nennen Prof. Faissner et al. Statine. Sie beeinflussen vermutlich nicht nur die T-Zell-induzierte Inflammation, sondern wirken auch neuroprotektiv. Grundsätzlich sei es jedoch schwierig, T-Lymphozyten anzugreifen. Natalizumab konnte in Studien nicht überzeugen, einige andere Antikörper werden noch erforscht.

 

Stammzelltransplantation

Statt einzelne Immunzellen anzugreifen, einfach eine Zelllinie neu programmieren. Untersucht werden verschiedene Zellarten und Vorbehandlungsprotokolle. Zum Teil scheinen sie sich nur für jüngere Patienten im frühen Erkrankungsstadium zu eignen.

 

Weitere antientzündliche Strategien

Andere Optionen richten sich gegen Astrozyten und Mikroglia, die im ZNS an der Entzündungsreaktion mitwirken, indem sie u.a. Zytokine und Sauerstoffradikale freilassen. Wie der Sphingosin-1-Rezeptor-Modulator Siponimod, der in den USA bereits zur Therapie der SPMS zugelassen ist. Er verhindert die Proliferation der Astrozyten und vermindert die Hirnatrophie sowie die Erkrankungsprogression. Antioxidativ wirkende Substanzen versprechen ebenfalls, die Inflammation zu bremsen. So reduziert Dimethylfumarat den oxidativen Stress und Liponsäure die Atrophie. Minocyclin, Dextromethorphan und das Malariamedikament Hydroxychloroquin senken die Entzündungsaktivität der Mikroglia. Der PDE(Phosphodiesterase)-4-Inhibitor Ibudilast schließlich hält Makrophagen auf, die ins ZNS einwandern wollen und damit die Entzündung und Atrophie verstärken könnten. Laut den Bochumer Kollegen werden zusätzlich folgende Ansätze untersucht: Inhibition von Zytokinen, Manipulation der Mitochondrien, Bindung von Eisen sowie Hemmung von Glutamat.

Eine Neuroprotektion lässt sich u.a. über die folgenden Mechanismen erreichen:

 

Blockade von Ionenkanälen

Wissenschaftler versuchen, Axone vor dem Myelinabbau zu schützen, indem sie Ionenkanäle medikamentös beeinflussen. Diese Kanäle – vor allem diejenigen für den Transport von Natrium und Kalzium – finden sich an demyelinisierten Axonen in Überzahl, mit der Folge eines verstärkten Natrium- und sekundär auch Kalziumeinstroms. Das angesammelte Kalzium wirkt toxisch auf die Nervenfortsätze und zerstört sie. Substanzen wie Phenytoin und Lamotrigin blocken die Natriumkanäle.

 

Steigerung der Remyelinisierung

Das ist ein weiterer Forschungsansatz, der beispielsweise den Antikörper Opicinumab umfasst. Er richtet sich gegen ein Protein namens LINGO­ 1 (leucine-rich repeat neuronal protein 1), das die Differenzierung von Oligodendrozyten stört – diese Zellen wiederum sind für die Myelinbildung essenziell. Anders, aber mit dem gleichen Ziel, wirkt Domperidon, das die Prolaktinkonzentration erhöht. Das Hormon fördert seinerseits den Aufbau der isolierenden Nervenscheide. Offenbar zeigen auch antimuskarinerge Substanzen einen ähnlichen Effekt: Clemastin, ein Antihistaminikum der ersten Generation, wird derzeit daraufhin untersucht. Und schließlich soll auch Biotin positiv auf die Myelinproduktion wirken. Es dient als Koenzym für Proteine, die an der Synthese der Myelingrundbausteine beteiligt sind.

Quelle: Faissner S et al. Nat Rev Drug Discov 2019; DOI: 10.1038/s41573-019-0035-2

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