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Vorhofflimmern: Europäische Kardiologen aktualisieren ihre Leitlinie

Die Möglichkeiten zum Screening auf Vorhofflimmern (VHF) haben sich im Zeitalter der Smartphones und Smartwatches so erweitert, dass die European Society of Cardiology in ihrer neuen Leitlinie zum VHF erstmals deren Nutzung empfiehlt. Tatsächlich schneiden diese Devices in puncto Sensitivität und Spezifität nicht schlechter ab als Zufalls-EKG und Blutdruckmonitoring und auf jeden Fall besser als das Pulstasten. Ein Gelegenheitsscreening wird für alle Patienten ab 65 Jahre angeraten. Vorher sollte der Arzt aber mit dem Patienten reden und ihn informieren, wie wichtig die Diagnose VHF ist und welche therapeutischen Implikationen sich daraus ergeben.
Subklinische VHF-Vorstufe als neue Entität
Die Definition des VHF hat sich nicht wesentlich verändert. Sie besagt einfach, dass es sich um eine supraventrikuläre Tachyarrhythmie mit unkoordinierter elektrischer Aktivierung handelt, aus der eine ineffektive Kontraktion der Vorhöfe resultiert. Als neue Entität führt die Leitlinie Atrial High Rate Episodes (AHRE) auf, quasi die subklinische Vorstufe des VHF, die aber bereits mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht, wie Professor Dr. Giuseppe Boriani, Universität Modena, betonte. Deshalb gibt es ein eigenes Kapitel zum Management von AHRE – dazu später mehr.
Ohne EKG keine Diagnose. Es erfolgt entweder als Einzelelektrodenableitung über mindestens 30 Sekunden oder mit den üblichen zwölf Elektroden. Die Leitlinie fordert als nächsten Schritt eine strukturierte Charakterisierung des VHF und bietet das 4S-Schema mit Scores und Diagnostikempfehlungen an:
- Das Schlaganfallrisiko soll mit dem bewährten CHA2DS2-Vasc-Score kalkuliert werden.
- Für die Symptomausprägung empfehlen sich EHRA-Symptomscore und Fragebogen zur Lebensqualität.
- Die Schwere der VHF-Last bemisst sich nach dem zeitlichen Verlauf (paroxysmal, persistierend, permanent) und der Dauer der VHF-Episoden.
- Der Substratschweregrad wird anhand von Klinik, Bildgebung (transthorakales und/oder transösophageales Echo, CT oder MRT) und Biomarkern wie NT-proBNP beurteilt, aber auch anhand von Alter und Begleiterkrankungen.
Die ABC-Strategie klingt simpel, erfordert aber ein komplexes Herangehen an jeden einzelnen Patienten. Deshalb braucht es einfache Konzepte, die sich in der täglichen Praxis umsetzen lassen, sagte Professor Dr. Gregory Lip, Universität Liverpool.
A Primäres Ziel bleibt natürlich, VHF-Patienten den Schlaganfall zu ersparen. Dazu sollen als erstes jene identifiziert werden, die ein niedriges Risiko haben, also Männer mit 0 Punkten und Frauen mit 1 Punkt im CHA2DS2-Vasc. Den anderen sollte der Arzt nach sorgfältiger Abwägung des Blutungsrisikos und falls möglich der Modifikation von Blutungsrisikofaktoren zur oralen Antikoagulation (OAK) raten, die vorzugsweise mit einem NOAK erfolgt. Dabei ist die Entscheidung unabhängig davon zu treffen, ob das VHF erstmals aufgetreten, paroxysmal oder persistierend/permanent besteht. Zu beachten ist, dass Schlaganfall- wie Blutungsrisiko sich über die Zeit und mit steigendem Alter verändern und deshalb in Zeitabständen von etwa sechs Monaten immer wieder überprüft werden müssen.
Bei hohem Risiko und viel AHRE ggf. antikoagulieren
Zum Management von AHRE gibt es vergleichsweise wenig Evidenz, räumte Prof. Boriani ein. Empfohlen wird, per Langzeit-EKG die Häufigkeit von AHRE-Episoden zu checken und das Schlaganfallrisiko anhand des CHA2DS2-Vasc-Scores zu kalkulieren. Patienten mit seltenen Arrhythmien und niedrigem Risiko sollten unter Beobachtung bleiben, bei hohem Risiko und viel AHRE kann eine orale Antikoagulation indiziert sein.
B Die bessere Symptomkontrolle bezieht sich auf die Entscheidung zwischen Frequenz- und Rhythmuskontrolle, die gemeinsam mit dem Patienten getroffen werden soll. Erscheint die Frequenzkontrolle ausreichend, bleiben Betablocker und Kalziumantagonisten erste Wahl, es sei denn, die linksventrikuläre Ejektionsfraktion beträgt unter 40 %. Dann sind Kalziumantagonisten nicht mehr indiziert. Stattdessen kommt Digoxin allein oder zusammen mit einem Betablocker infrage. Zielfrequenz für die Ersttherapie sind < 110 Schläge/min.
Eine pharmakologische Kardioversion sollte nur bei hämodynamisch stabilen Patienten erwogen werden. Für die langfristige Rhythmuskontrolle können verschiedene Antiarrhythmika genutzt werden: Flecainid, Propafenon oder Sotalol bei normaler LV-Funktion, wobei unter Sotalol dringend proarrhythmische Risikofaktoren wie QT-Zeit, Kalium und Kreatininclearance zu monitoren sind. Dronedaron eignet sich auch für Patienten mit mäßig eingeschränkter LV-Funktion, Amio daron kann mit Klasse-I-Empfehlung auch bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) eingesetzt werden, wegen Kardiotoxizität ist aber Vorsicht angezeigt.
Soll der Sinusrhythmus durch Katheterablation herbeigeführt werden, was nach erfolgloser medikamentöser antiarrhythmischer Therapie empfohlen wird, ist eine strikte Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren essenziell, erklärte Professor Dr. Carina Blomstrom-Lundqvist, Universität Uppsala.
Ablation als First-Line- Therapie empfohlen
Denn je schlechter das Risikoprofil, desto höher das Risiko, dass die Ablation nicht oder nicht dauerhaft das gewünschte Ergebnis bringt. Als First-Line-Therapie wird die Ablation jetzt mit Stärke I (vorher IIa) für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz empfohlen, die zur tachykarden Kardiomyopathie neigen, weil sie die linksventrikuläre Funktion nachhaltig verbessert und bei HFrEF sogar das Überleben verlängert.
C Vorhofflimmern kommt fast nie allein, sondern meist in Gesellschaft eines Pakets modifizierbarer Risikofaktoren, betonte Professor Dr. Isabelle van Gelder, Universität Groningen. Sie erhöhen das Risiko durch gemeinsame Endstrecken wie Vorhofwandstress, Endotheldysfunktion, Inflammation sowie vagale und adrenerge Stimuli und sind deshalb wichtige Ziele für Prävention und Management des VHF.
Die erste VHF-Episode ist als Warnruf zu verstehen, dass unterschwellig das Remodeling schon lange begonnen hat. Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas, Bewegungsarmut, Rauchen und Alkoholkonsum anzugehen, senkt nicht nur die Gefahr kardiovaskulärer Komplikationen, sondern auch die von VHF und VHF-Rezidiven. Die Leitlinie selbst widmet dem Thema zwar nur zwei Seiten, rät aber eindringlich dazu, alle Risikofaktoren konsequent anzugehen.
Quelle: European Society of Cardiology Congress 2020 – The Digital Experience
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