Was gibt es beim späten Anfallsleiden zu beachten?

Dr. Andrea Wülker

Leben ältere Menschen alleine, können epileptische Anfälle lange unerkannt bleiben. Leben ältere Menschen alleine, können epileptische Anfälle lange unerkannt bleiben. © winnievinzence – stock.adobe.com

Mit der steigenden Lebenserwartung nehmen Epilepsien im höheren Lebensalter zu. Altersepilepsien sind häufig die Folge struktureller Erkrankungen des Gehirns. Die Diagnostik kann herausfordernd sein – und bei der Wahl der anfallssuppressiven Therapie muss man bei betagten Betroffenen einige Besonderheiten im Auge behalten.

Epilepsien, die sich erst im Alter (ab dem 65. Lebensjahr) manifestieren, liegt oft eine strukturelle zerebrale Erkrankung zugrunde. Häufige Ursachen sind vaskuläre Erkrankungen wie ein ischämischer Schlaganfall, intrazerebrale oder Subarachnoidalblutungen, so PD Dr. ­Christian ­Tilz vom Epilepsiezentrum Bodensee in Ravensburg. Auch Hirntumoren, metabolisch-toxische oder demenzielle Erkrankungen können im höheren Lebensalter zu strukturellen Epilepsien führen.

Anfälle im Alter weisen einige klinische Besonderheiten auf. So handelt es sich häufig um fokale, nicht bewusst erlebte Anfälle. Oft liegt eine isolierte Negativsymptomatik wie eine Bewusstseinsstörung oder iktale Aphasie vor. Typisch sind auch ein prolongierter Dämmerzustand oder eine Todd’sche Parese. Dies kann differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereiten – insbesondere, wenn man die Betroffenen nicht im Anfall, sondern erst danach mit einer prolongierten Bewusstseinsstörung sieht. Häufig leben ältere Patientinnen und Patienten alleine, was die Fremdanamnese erschwert oder unmöglich macht. Hinzu kommt, dass Zusatzbefunde nicht selten fehlinterpretiert werden, vor allem wenn mehrere Komorbiditäten vorliegen.

In einer retrospektiven Studie haben Forschende analysiert, wie häufig eine Fehldiagnose vorliegt, wenn Patientinnen und Patienten wegen (epileptischer) Anfälle auf neurologischen Intensivstationen aufgenommen werden. 

Ein Video-EEG-Monitoring kann hilfreich sein

Es zeigte sich, dass gerade bei Älteren (das Durchschnittsalter lag bei 76 Jahren) epileptische Anfälle fehlinterpretiert wurden. Fehldia­gnosen waren u.a. häufiger bei isolierten Negativsymptomen im Anfall, Multimorbidität, zerebrovaskulärer Vorerkrankung oder pathologischem CT-Befund. Umgekehrt wurden aber auch 14 % als falsch positiv diagnostiziert – insbesondere, wenn eine vorbekannte Epilepsie vorlag. Dann war man versucht, das Ereignis wieder als Anfall zu werten, obwohl es letztlich etwas anderes war, z.B. eine TIA oder ein Schlaganfall. Eine Epilepsie im höheren Lebensalter korrekt zu diagnostizieren, ist daher manchmal schwierig, räumte Dr. Tilz ein und wies darauf hin, dass hier ein Video-EEG-Monitoring sehr hilfreich sein kann.

Bei der Wahl der antikonvulsiven Therapie im höheren Lebensalter sind einige Aspekte zu beachten. Eine Case-Control-Studie verglich u.a. die Medikamentenresistenz von Betroffenen mit einer Altersepilepsie (Durchschnittsalter 70 Jahre) mit der jüngerer Epilepsiepatienten (Durchschnittsalter 33 Jahre). Die älteren Erkrankten waren wesentlich seltener pharmakoresistent (26 % vs. 51 %) – Senioren sprechen demnach besser auf die medikamentöse Ersttherapie an. Zudem reichte bei Altersepilepsien eine Monotherapie häufiger aus als bei jüngeren Betroffenen (39 % vs. 18 %). Bei betagten Patientinnen und Patienten sollte man vorsichtig eindosieren und die Dosis langsam steigern, betonte der Referent. Oft genügt bei ihnen eine geringere Zieldosis. Eine antikonvulsive Monotherapie sollte man anstreben.

Andererseits haben ältere Betroffene häufiger Begleiterkrankungen und erhalten Komedikationen. Das muss bei der Wahl der anfallssuppressiven Medikation (ASM) und im Hinblick auf mögliche Interaktionen berücksichtigt werden. Bei Senioren sollte auch auf renale und hepatische Funktionsstörungen geachtet werden, denn diese können die Metabolisierung von ASM beeinflussen.

Hohes Epilepsierisiko nach Subarachnoidalblutung

Zerebrovaskuläre Ereignisse ziehen nicht selten epileptische Anfälle nach sich. Betrachtet man die vaskulären Epilepsien genauer, so ist das Risiko für die Entwicklung einer Epilepsie nach einer Subarachnoidalblutung deutlich höher als nach einem ischämischen Schlaganfall.

Bei den Hirntumoren ist das Risiko für eine strukturelle Epilepsie bei niedriggradigen Gliomen am höchsten (60–80 %), bei höhergradigen Tumoren beträgt das Epilepsierisiko dagegen 20–40 %, bei zerebralen Metastasen 15–20 %.

Wie ist die Evidenz für verschiedene Pharmakotherapien der Epilepsie im höheren Lebensalter? In einer Studie mit älteren Patienten, die an neu aufgetretenen fokalen Epilepsien litten, wurde die Gabe von Levetiracetam, Lamotrigin und Carbamazepin im Hinblick auf die Retentionsraten verglichen. Hier schnitt Levetiracetam am besten ab: 61,5 % der Teilnehmenden nahmen die Substanz nach 58 Wochen weiterhin ein. In der Lamotrigin-Gruppe lag der Prozentsatz bei 55,6 %, unter den mit Carbamazepin Behandelten waren es 45,8 %. Im Vergleich der drei Substanzen war Levetiracetam bei Altersepilepsien am besten verträglich. Daten gibt es auch zu Brivaracetam als Add-on-Therapie: Die Subgruppenanalyse der über 65-Jährigen aus der Zulassungsstudie zeigt hohe Responderraten von bis zu 44 %, die Verträglichkeit war sehr gut.

Neuere Substanzen sind besser verträglich

Insgesamt haben in den letzten Jahren einige neue ASM die Behandlungsmöglichkeiten der Epilepsien im Alter erweitert, fasste Dr. Tilz zusammen. Die neuen Substanzen bieten im Vergleich zu den älteren Antikonvulsiva Vorteile bezüglich Pharmakokinetik und Verträglichkeit. Hilfreich ist auch, dass einige neue ASM als Saft (günstig bei Schluckstörungen) oder für die tägliche Einmalgabe zur Verfügung stehen.

Quelle: 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie

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