Wasser marsch!

Alexandra Simbrich

Als Standard-Notfalltherapie bei Harnverhalt gilt die Anlage eines transurethralen Blasenverweilkatheters. Als Standard-Notfalltherapie bei Harnverhalt gilt die Anlage eines transurethralen Blasenverweilkatheters. © Weingardt/gettyimages

Ein akuter Harnverhalt ist ein urologischer Notfall, der mit äußerst starken Schmerzen im Unterbauch einhergehen kann. Wie auch bei chronischer Ischurie drohen Nierenschäden. Die Blase sollte initial über einen transurethralen oder suprapubischen Katheter entlastet werden, alles Weitere richtet sich nach dem Auslöser.

Um einen akuten von einem chronischen Harnverhalt zu unterscheiden, hilft ein Blick auf die Symptome: Plötzlich einsetzende Schmerzen im Unterbauch und eine vegetative Begleitsymptomatik deuten auf ein akutes Geschehen hin, schreiben Prof. Dr. Andreas­ Wiedemann­, Evangelisches Krankenhaus Witten, und Prof. Dr. Hans Heppner­, Klinikum Bayreuth­. Eher milde Symptome lassen auf eine chronische Harnretention schließen. Die Betroffenen können nur geringe Urinmengen abgeben, wodurch das Restharnvolumen nach und nach zunimmt. Mitunter entwickelt sich eine Darmparalyse mit dem Bild eines Sub­ileus oder gar eines Ileus. Hält die Blase dem Druck nicht mehr stand, kommt es zur Überlauf­inkontinenz und die Patienten verlieren ungewollt kleine Urinmengen.

Das initiale Restharnvolumen kann Aufschluss geben: Sind im Ultraschall mehr als 500–700 ml zu sehen, ist ein chronischer Harnverhalt naheliegend. Größere Volumina zeigen sich gelegentlich als Vorwölbung im Unterbauch.

Auslöser der gestörten Miktion kann eine subvesikale Verengung sein. Welches Hindernis den Abfluss stört, ist geschlechtsspezifisch (s. Tabelle). Frauen haben anatomisch bedingt selten einen obstruktiven Harnverhalt, Männer aufgrund der häufig vorkommenden gutartigen Prostatahyperplasie öfter.

Als Ursache kommen Anticholinergika infrage

Eine weitere mögliche Ursache für eine Harnretention ist eine Blasen­atonie. Bei ihr ist die Kontraktilität oder die Sensibilität der Blase eingeschränkt, etwa wegen eines peripheren Nervenschadens. Weitaus größere Bedeutung als Auslöser einer Ischurie kommen jedoch Arzneimitteln zu, insbesondere anticholinergen Substanzen. In der Folge können die Betroffenen die Blase nicht vollständig leeren. Zu diesen Substanzen gehören Morphine, Antihistaminika oder Antidepressiva. Auch Furosemid, Digoxin, Prednison und Phenprocoumon triggern mitunter einen Harnverhalt. Für einen schnellen Nebenwirkungscheck empfehlen die Autoren den Anticholinergic Burden­ Score­ und den Wittener Harntrakt-Nebenwirkungs-Score.

Häufige subvesikale Abflusshindernisse bei Harnverhalt

Männer

Frauen

beide Geschlechter

  • Prostatavergrößerung

  • Prostatakarzinom

  • Blasenhalssklerose

  • Harnröhrenstriktur

  • Meatusenge (Enge beim Durchtritt der Harnröhre durch die Scheidenwandung)

  • Harnröhrendivertikel

  • Uterus- oder Scheidenstumpfprolaps

  • funktionelle Obstruktion, z.B. bei Multipler Sklerose (Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie)

Als Notfallbehandlung wird ein Katheter gelegt. Standardmäßig erfolgt der Zugang transurethral, insbesondere bei Infektionen, einer Stauung der oberen Harnwege oder bei postrenalem Nierenversagen. Bei immobilen Patienten, die keine Antikoagulanzien einnehmen, ist der suprapubische Katheter eine risikoarme und technisch einfach durchführbare Methode zur vorübergehenden Harn­ableitung.

Das weitere therapeutische Vorgehen sollte laut Prof. Wiedemann­ und Prof. Heppner­ strukturiert erfolgen: Ist eine vergrößerte Prostata die Ursache für die Harnretention, empfehlen sie einen alphablocker­gestützten Katheterauslassversuch mit 0,4 mg Tamsulosin einmal täglich und die Anpassung der anticholinergen Komedikation.

Kein Katheterauslassversuch bei bakterieller Infektion

Der Dauerkatheter sollte nach zwei bis drei Tagen entfernt werden. Dieses Vorgehen verdoppelt die Chance auf eine Restitution der Spontanmiktion auf rund 50 %. Auch bei Frauen wirkt der prostataselektive Alphablocker. Studiendaten hierzu gibt es jedoch nicht.

Wenn der Patient anschließend spontan und ohne nennenswerte Mengen an Restharn miktieren kann, sollte der Alphablocker dauerhaft verschrieben werden. Kontraindikationen für einen derartigen Auslassversuch sind eine Dilatation der Blase mit hohem Restharnvolumen, eine Stauung der oberen Harnwege oder auch eine begleitende bakterielle Infektion.

Unterstützend können zeitlich begrenzt Cholinergika wie Bethanechol oder Distigmin­bromid gegeben werden, um den Blasenmuskel zu stimulieren. Zu ihren Nebenwirkungen gehören Übelkeit, Speichelfluss, Magen-Darm-Krämpfe, Durchfälle und Harndrang. Kontraindiziert sind sie jedoch unter anderem bei Asthma­, Myokardinfarkt, dekompensierter Herzinsuffizienz, Hyperthyreose und Epilepsie.

Kann ein Patient mit vergrößerter Prostata die Harnblase weiterhin oder erneut nicht spontan entleeren, kann eine Prostataoperation erwogen werden. Neben der klassischen transurethralen Elektroresektion der Drüse stehen mittlerweile schonende Laserverfahren zur Verfügung. Sie zeigen sich hinsichtlich der Effektivität gleichauf mit der klassischen Methode, punkten jedoch im Hinblick auf den Patientenkomfort, die Schmerzintensität und den personellen Nachsorgeaufwand.

Quelle: Wiedemann A, Heppner HJ. Z Gerontol Geriatr 2023; 56: 153-163; DOI: 10.1007/s00391-022-02133-4

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Als Standard-Notfalltherapie bei Harnverhalt gilt die Anlage eines transurethralen Blasenverweilkatheters. Als Standard-Notfalltherapie bei Harnverhalt gilt die Anlage eines transurethralen Blasenverweilkatheters. © Weingardt/gettyimages