Welche Medikation kann fortgeführt werden?

Dr. Melanie Söchtig

Die Medikamentenverordnung gleicht bei Schwangeren einem Drahtseilakt, bei dem Nutzen und Risiken für Mutter und Kind abzuwägen sind. Die Medikamentenverordnung gleicht bei Schwangeren einem Drahtseilakt, bei dem Nutzen und Risiken für Mutter und Kind abzuwägen sind. © iStock/Alter_photo

Wenn schwangere Frauen wegen akuten Beschwerden oder chronischen Erkrankungen medikamentös behandelt werden müssen, herrscht oft Verunsicherung. Es gibt jedoch Arzneimittel, die für Mutter und Kind erfahrungsgemäß sicher sind.

In Deutschland erhalten etwa 85 % der werdenden Mütter im Verlauf der Schwangerschaft verschreibungspflichtige Medikamente. Die Verordnung gleicht einem Drahtseilakt, bei dem Nutzen und Risiken sowohl für die Mutter als auch für das Kind abzuwägen sind, betonen Dr. Juliane Hannemann und Prof. Dr. Rainer Böger vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Ein Grund dafür ist die physiologisch bedingte veränderte Pharmakinetik bei schwangeren Frauen. So nimmt bei ihnen die Magen-Darm-Motilität ab und die Durchblutung der Organe zu. Während die intestinale Resorption von Medikamenten dadurch kaum beeinflusst wird, kann sich das Verteilungsvolumen erhöhen. Relevant ist das insbesondere für die notfallmäßige Gabe einer Ladungsdosis von Arzneimitteln.

Mit der renalen Durchblutung erhöht sich auch die glomeruläre Filtrationsrate im Verlauf der Schwangerschaft kontinuierlich. Deshalb kann für Medikamente, die unverändert renal eliminiert werden, eine Dosiserhöhung um 20–65 % erforderlich werden. Auch die Expression und Aktivität von hepatischen Enzymen unterliegt Veränderungen. Die Unterschiede in der Metabolisierung sind jedoch nur für Arzneimittel mit einer geringen therapeutischen Breite klinisch relevant, deren Dosis gegebenenfalls angepasst werden muss.

Die Abnahme der Plasma-Eiweißkonzentration kann dazu führen, dass bei stark proteingebundenen Arzneistoffen der für die pharmakologische Wirkung bedeutsame freie Anteil zunimmt. Bei einer Hypoproteinämie kann außerdem auch die Arzneistoffexposition des Kindes ansteigen, weil nicht-proteingebundene Stoffe die Plazenta passieren.

Monoklonale Antikörper passieren die Plazenta

Der Übertritt von Wirkstoffen über die Plazenta ist mit der Resorption im Magen-Darm-Trakt vergleichbar. Arzneistoffe mit einem Molekulargewicht von über 1.000 Dalton wie Insulin oder Heparin passieren die Plazenta kaum. Anders verhält es sich mit neueren gentechnologisch hergestellten monoklonalen Antikörpern: Diese passieren die Plazenta über einen aktiven Transportmechanismus für IgG-Antikörper. Während der aktive Transport im ersten Trimenon noch vernachlässig­bar gering ist, nimmt er im zweiten und dritten Trimenon deutlich zu.

Das erhöhte Verteilungsvolumen, die gesteigerte renale Clearance und die Induktion metabolisierender Enzyme hat insbesondere Einfluss auf die Anfallskontrolle bei schwangeren Frauen mit Epilepsie. So muss in der Schwangerschaft beispielsweise mit niedrigeren Plasmaspiegeln für Lamotrigin und Oxcarbazepin gerechnet werden.

Eine Herausforderung stellt außerdem die Thyroxin-Substitution bei Schwangeren mit Hypothyreose dar, da in der Regel der Spiegel des thyroxinbindenden Globulins ansteigt und der Thyroxin-Bedarf zunimmt. Deshalb sollte die Thyroxin-Dosierung mithilfe von Messungen des Thyreoidea-stimulierenden Hormons und gegebenenfalls des freien Tetrajodthyronins angepasst werden.

Gegen Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Sodbrennen und Reflux helfen oft bereits eine Ernährungsumstellung oder Hausmittel. Bei schwerem Erbrechen werden H1-Rezeptorenblocker empfohlen. Als Mittel erster Wahl gilt Doxylamin in Kombination mit Pyridoxin. Wenn diese Antiemetika versagen, kann der Serotonin-5-HT3-Rezeptorblocker Ondansetron eingesetzt werden. Starkem Sodbrennen oder Reflux wirkt man mit Antazida oder im nächsten Schritt mit den Säuresekretionshemmern Ranitidin und Omeprazol entgegen. Falls sich der Einsatz von Laxanzien bei Obstipation nicht vermeiden lässt, sollten Füll- und Quellstoffe sowie osmotische Laxanzien wie Lactulose bevorzugt werden. Anthrachinonderivate und Rizinusöl sind zu vermeiden.

Gegen Schmerzen kann während der gesamten Schwangerschaft Paracetamol, gegebenenfalls kombiniert mit Codein, verordnet werden. Acetylsalicylsäure und klassische NSAR dürfen als Mittel zweiter Wahl nur im ersten und zweiten Trimenon zum Einsatz kommen. Im dritten Trimenon ist das Risiko zu hoch, dass sie den Ductur Botalli verschließen, außerdem wirken sie wehenhemmend.

Bei sehr starken Schmerzen sind Opioide die einzige Alternative. Werden sie geburtsnah eingenommen, drohen Atemdepression oder Entzugssymptome beim Neugeborenen.

Zur Therapie bakterieller Infek­tionen werden Penicilline und Cephalosporine bevorzugt. Unkomplizierte Harnwegsinfekte können außerdem mit Fosfomycin behandelt werden. Folsäure-Antagonisten sind möglich, wenn keine Alternative zur Verfügung steht. Ein komplizierter Harnwegsinfekt sollte mit Cephalosporinen der Gruppe 2 oder 3 stationär behandelt werden.

Zur Behandlung einer Hypertonie gelten α-Methyldopa oder β-Adrenozeptorenblocker als sichere Kandidaten für Schwangere. Bei Atenolol droht eine Wachstums­retardierung, bei ACE-Hemmern, AT1-Rezeptorenblockern und Diu­retika ein Oligohydramnion. Diese Wirkstoffe werden deshalb ebenso wie Dihydralazin nicht empfohlen.

Humaninsulin ist das Mittel der Wahl, wenn die werdende Mutter einen Gestationsdiabetes entwickelt, so die beiden Experten. Bei vorbestehendem Typ-2-Diabetes kann alternativ Metformin eingesetzt werden, andere Antidiabetika sind zu vermeiden.

Quelle: Hannemann J, Böger R. Hamburger Ärzteblatt 2021; 10: 12-17

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Die Medikamentenverordnung gleicht bei Schwangeren einem Drahtseilakt, bei dem Nutzen und Risiken für Mutter und Kind abzuwägen sind. Die Medikamentenverordnung gleicht bei Schwangeren einem Drahtseilakt, bei dem Nutzen und Risiken für Mutter und Kind abzuwägen sind. © iStock/Alter_photo