Zu viele Teratogene bei Schwangeren

Stefanie Menzel

Die Gesamtmedikation müsse bei Frauen im gebärfähigen Alter regelhaft dokumentiert und auf kindsschädigende Wirkstoffe hin geprüft werden. Die Gesamtmedikation müsse bei Frauen im gebärfähigen Alter regelhaft dokumentiert und auf kindsschädigende Wirkstoffe hin geprüft werden. © iStock/kali9

Dass manche Arzneimittel Ungeborene schädigen­ können, sollte seit der Contergan-Tragödie jedem klar sein. Doch noch immer verordnen Ärzte jeder hundertsten Schwangeren eine Substanz mit hohem Fehlbildungspotenzial.

Früher sagte man fruchtschädigend, heute heißen sie teratogen, feto- oder auch reprotoxisch. Gemeint sind Substanzen, die bei Einnahme in den ersten acht Wochen einer Schwangerschaft die Organentwicklung des Embryos stören können. Solange zuverlässig verhütet wird, sind sie nicht grundsätzlich kontraindiziert. Doch erfahren die meisten der werdenden Mütter häufig erst in der fünften Woche, dass sie ein Kind bekommen.

Bei Frauen im gebärfähigen Alter Medikation prüfen

„Der Schutz des ungeborenen Lebens muss schon vor der Schwangerschaft beginnen“, forderte deshalb Professor Dr. ­Daniel ­Grandt vom Klinikum Saarbrücken, einer der Autoren des ­BARMER Arzneimittelreports 2021. Die Gesamtmedikation müsse bei Frauen im gebärfähigen Alter regelhaft dokumentiert und konsequent auf kindsschädigende Wirkstoffe hin geprüft werden.

Entsprechend ihrem Schadpotenzial teilt man die fraglichen Arzneimittel in drei Klassen ein: schwach, gesichert und unzweifelhaft stark teratogen. Während die Substanzen der ersten Klasse ein Fehlbildungsrisiko von insgesamt bis zu 4 % aufweisen, steigt es bei den anderen auf 10 % bzw. 30 % und mehr. Zum Vergleich: Ohne risiko­erhöhende Faktoren liegt die Rate für grob­strukturelle Fehlbildungen etwa bei drei von einhundert Kindern.

Wie Prof. Grandt und Kollegen anhand von Routinedaten der ­BARMER zeigen konnten, nehmen rund 65 % der Frauen in der Zeit vor der Schwangerschaft Arznei­mittel ein, jede Sechste als Langzeitmedikation. In 7,8 % der Fälle handelt es sich dabei um poten­ziell teratogene Substanzen, bei 14 von 1000 Betroffenen sind es sogar gesichert oder unzweifelhaft fruchtschädigende Stoffe. Dies sei außerhalb der Schwangerschaft zwar kein Behandlungsfehler, stellt aber ein großes Risiko dar, erklärte Prof. Grandt.

Dem Report zufolge besitzt nur ein geringer Anteil der arzneimittelpflichtigen Frauen vor der Schwangerschaft einen Medikationsplan. Ein solches Dokument steht ihnen derzeit erst ab drei verordneten Medikamenten zu. Auch hapert es ­offensichtlich an der Kommunika­tion zwischen Arzt und Patientin: Wie eine stichprobenartige Befragung von knapp 1.300 Frauen nach der Entbindung ergab, war die Arzneimittelsicherheit bei bis zu 69 % von ihnen vor der Schwangerschaft nicht thematisiert worden. Unter Umständen ein fatales Versäumnis, so die Einschätzung des Referenten, denn jede dritte Schwangerschaft tritt ungeplant ein. Meist übernehmen Gynäkologen die medizinische Betreuung der werdenden Mütter erst ab der siebten Schwangerschaftswoche. Eine Anpassung der Therapie erfolgt dann reichlich spät und ist ohne Medikationsplan nicht immer vollumfänglich möglich.

So kommt es, dass 2018 laut Arzneimittel­report 663 von 66.549 Frauen im ersten Trimenon teratogene Arzneimittel erhielten, darunter 52 sogar gesichert oder unzweifelhaft stark reprotoxische Substanzen. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung geht es um etwa 600 Frauen jährlich.

Nur ein kleiner Teil der teratogenen Therapien wird in der Schwangerschaft neu verordnet. Meist handelt es sich um die Fortführung bereits begonnener Behandlungen, die zu 62 % auf der Indikationsstellung eines Neurologen beruhen. Besonders häufig fanden sich Valproinsäure, Fingolimod, Teriflunomid, Topiramat und Carbamazepin unter den Verschreibungen. Laut Report liegen die Absetzquoten lediglich zwischen 31 und 60 %. Dies sei viel zu wenig, so Prof. Grandt. Der Einsatz stark fruchtschädigender Arzneimittel sei in keinem Fall vertretbar, wenn es gleichwertige und sichere Alternativen gebe.

Prof. Grandt forderte vor allem die bessere Dokumentation der Arzneimitteltherapie bei Frauen im gebärfähigen Alter. Wünschenswert sei ein Rechtsanspruch auf den bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) ohne Mindestzahl bei den Verordnungen. Die Gesamtmedikation müsse allen behandelnden Ärzten zugänglich sein, wiederholt auf teratogene Risiken überprüft und regelmäßig mit den Frauen besprochen werden.

Pressekonferenz „BARMER-Arzneimittelreport 2021“; Veranstalter: BARMER

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Die Gesamtmedikation müsse bei Frauen im gebärfähigen Alter regelhaft dokumentiert und auf kindsschädigende Wirkstoffe hin geprüft werden. Die Gesamtmedikation müsse bei Frauen im gebärfähigen Alter regelhaft dokumentiert und auf kindsschädigende Wirkstoffe hin geprüft werden. © iStock/kali9