Welcher Ansatz ist besser beim HPV-assoziierten Oropharynxkarzinom und lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom?

Dr. Claudia Schöllmann

Sollte man beim Oropharynxkarzinom 
und Prostatakarzinom eher eine Radiochemotherapie (RCT) oder die primäre Resektion als Strategie wählen? Sollte man beim Oropharynxkarzinom und Prostatakarzinom eher eine Radiochemotherapie (RCT) oder die primäre Resektion als Strategie wählen? © deagreez – stock.adobe.com

 „Kopf-Hals-Tumoren – OP vs. R(CH)T“ und „Die Kombination einer antihormonellen Therapie mit der Strahlentherapie ist die Therapie der Wahl bei lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom!“. Das waren die Themen zweier Oxford-Debatten beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie. Anhand von Fallbeispielen wurde die Thematik aus Sicht der Radioonkologie und Chirurgie diskutiert – ohne wirkliche Sieger.

HPV-assoziiertes Karzinom des Oropharynx – wie vorgehen?

Mit der Kasuistik eines 53-­jährigen, männlichen nicht-rauchenden Patienten mit p16-positivem Tonsillen­karzinom rechts (cT2 cN1 cM0, UIC/AJCC I [8. Klassifikation]) führte Dr. Alexander Rühle vom Universitätsklinikum Leipzig in die Session zu Kopf-Hals-Tumoren ein. „Würden Sie die Radiochemotherapie (RCT) oder die primäre Resektion als Strategie wählen“, lautete seine Frage an die beiden Diskutantinnen, die Strahlentherapeutin PD Dr. Silke Tribius vom Asklepios Tumorzentrum Hamburg und die HNO-Ärztin und „begeisterte Operateurin“ PD Dr. ­Sarina Müller, Universitätsklinikum Erlangen.

Dr. Tribius positionierte sich im Team „primäre RCT“ und argumentierte, dieses Verfahren sei bei resektablen HPV-assoziierten Oropharynxkarzinomen (OPC) hinsichtlich des onkologischen Outcomes der primären Resektion, der ja meist eine risikoadaptierte adjuvante Therapie folge, vergleichbar und hinsichtlich der funktionellen Outcomes zumindest nicht unterlegen. Die Daten mehrerer Studien hätten ein „exzellentes Outcome“ der RCT bei HPV-assoziierten OPC selbst bei extranodaler Ausdehnung ergeben. 

Im aktuellen Fall sei erwartbar, dass die OP mit all ihren möglichen Konsequenzen (rekonstruktive Maßnahmen, Lappentransfer, Trismus) aufgrund der multiplen Lymphknoten Level II/III durch eine adjuvante RCT sowie eine beidseitige Neck Dissection mit assoziierter Toxizität ergänzt werden müsse. Auch dies spräche für die RCT, erläuterte Dr. Tribius. Derzeit würden Deeskalationsstrategien der RCT geprüft mit dem Ziel, ihre Toxizität weiter zu vermindern; solche Strategien sollten aber momentan nicht außerhalb von Studien durchgeführt werden.

Dr. Müller vom Team „pro OP“ sprach sich im speziellen Fall für eine primäre Resektion in Form einer Tumortonsillektomie mit Neck Dissection beidseits aus, die entweder einzeitig mit mikrovaskulärem Transplant oder zweizeitig sowie auch robotorassistiert erfolgen könne. Ein solches Vorgehen sei mit einer guten Prognose assoziiert (HPV+, Nichtraucher:in) und lasse auch onkologisch und funktionell gute Outcomes erwarten. 

Die HNO-Ärztin betonte, dass die primäre RCT bisher keine überzeugende Deeskalationsstrategie aufweisen könne. In der Salvage-Situation sei eine Operation zudem erschwert, wenn im Vorfeld eine primäre RCT durchgeführt worden sei. Die RCT könne auch mit Sprachproblemen, Xerostomie, Trismus, Osteoradionekrose und gestörter Schluckfunktion assoziiert sein. Hier sieht Dr. Müller Vorteile der qualitativ hochwertig durchgeführten, primären OP, zumal derzeit Strategien zur Deintensivierung der adjuvanten Radiotherapie (RT) nach OP erarbeitet würden.

Übereinstimmend betonten beide Diskutantinnen, bei der Therapieentscheidung im klinischen Alltag gebe es kein Schwarz oder Weiß. Die Entscheidung müsse unter Einbeziehung patient:innenindividueller Faktoren und Komorbiditäten gemeinsam von Ärztin/Arzt und Patient:in abgewogen werden. Im konkreten Fall sei die Entscheidung letztlich zugunsten der RCT gefallen, ergänzte Dr. Rühle.

Prof. Wilfried Budach, Universitätsklinikum Düsseldorf, betonte abschließend, bei lokoregionär begrenzten Plattenepithelkarzinomen des Oropharynx, Larynx oder Hypo­pharynx seien primäre RCT und primäre Resektion/R(CH)T gleichwertig. Für das OPC gelte dies für die Stadien I und II unabhängig vom HPV-Status. Bei HPV-positiven Tumoren der Stadien III–IVb sieht Prof. Budach dagegen Vorteile für die primär chirurgische Therapie gefolgt von einer adjuvanten RT oder RCT, falls ein gutes funktionelles Ergebnis und eine R0-Resektion zu erwarten seien. 

Das spricht für bzw. gegen OP und Radiotherapie

Insgesamt, so der Experte, sprächen beim primär resektablen Oropharynxkarzinom ein hohes Tumor­volumen, die voraussichtliche Nicht-Notwendigkeit einer Radiotherapie (T1–T2/N0), die Nicht-Notwendigkeit einer simultanen Chemo­therapie sowie ein ausgeprägter Raucherstatus (> 20 packs/year) eher für eine primäre Resektion, ein zu erwartendes großes funktionelles Defizit bei Resektion und HPV- bzw. p16-Positivität eher für eine primäre Radiochemotherapie.

Lokal fortgeschrittenes Prostatakarzinom: Radiotherapie + ADT oder radikale Prostatektomie? 

In der Session zum lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom (T3/T4 N0M0 oder N1M0 unabhängig vom PSA- und ISUP-Score) sollten die Diskutanten – PD Dr. ­Stefan A. Körber, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Regensburg, und Prof. Dr. ­Axel Heidenreich, Universitätsklinikum Köln, – die ihrer Ansicht nach angemessene Therapie bei Prostatakarzinomen cT3b cN1 M0 und cT3a CN0 M0 diskutieren.

Dr. Körber, der das Team „RT plus Antideprivationstherapie“ vertrat, betonte, die Überlegenheit der Kombination RT + ADT beim lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom sei gegenüber alleiniger System­therapie, aber auch gegenüber alleiniger RT in klinischen Studien bei T3/T4- und N1-Tumoren gut belegt. Hinzu käme eine adäquate Verträglichkeit; auch im Falle einer fokal dosiseskalierten RT sei „kein wesentlicher Einfluss auf schwerwiegende GI- und GU-Toxizitäten“ zu erwarten. Dagegen lägen keine randomisierten Studien zum direkten Vergleich zwischen RT + ADT vs. OP vor. Die rekrutierende prospektive Phase-3-Studie SPCG-15 werde künftig Aufschluss in dieser Frage liefern. Dr. Körber kam auf Basis der vorliegenden Studiendaten zum Schluss, die Effektivität von RT + ADT sei in klinischen Studien gut belegt und – unter Verwendung moderner strahlentherapeutischer Verfahren (IMRT/IGRT) – auch mit geringer Toxizität assoziiert. 

Prof. Heidenreich als „operativ tätiger Uroonkologe“ kam zu anderen Schlüssen. Er zeigte sich trotz deutlich schlechterer Datenlage vom Konzept der radikalen Prostat­ektomie (RP) überzeugt, wenn folgende Bedingungen erfüllt seien: eine valide, qualitativ hochwertige Primärdiagnostik, eine individuelle prätherapeutische Risikoabschätzung (Tumorbiologie, Komorbiditäten, Lebenserwartung) und eine adäquate prätherapeutische interdisziplinäre Diskussion der verschiedenen Therapieoptionen im Tumorboard. Zudem müsse sichergestellt sein, dass der operative Eingriff hochwertig durchgeführt werde und eine evidenzbasierte Beratung über die möglichen adjuvanten Therapieoptionen gewährleistet sei. 

Aus Prof. Heidenreichs Sicht ist lediglich mit einer modernen, qualitativ hochwertigen radikalen Prostat­ektomie eine individualisierte und risikoadaptierte Therapie möglich, die, ergänzt durch individualisierte adjuvante Maßnahmen, eine langfristige onkologische Kontrolle (lokal, lokoregionär, sys­temisch) und ein geringes Nebenwirkungsprofil vereine –funktionell (Potenz, Kontinenz) ebenso wie sys­temisch (kardiovaskulär, metabolisch, kognitiv). 

„Auch Chirurgie entwickelt sich ständig weiter“

Er verwies darauf, dass nach RT Lokal­rezidive auftreten können, und betonte die Toxizität einer Langzeit-ADT. In der N1M0-Situation stellten ≥ 2 positive Lymphknoten einen Schwellenwert dar, ab dem die Langzeitergebnisse von RT + ADT deutlich schlechter würden. Der Urologe wies zudem darauf hin, dass sich auch die Chirurgie ständig weiterentwickele. So sei etwa eine schnellschnittgesteuerte Nervenschonung unilateral oder bilateral auch bei cT3/4-Tumoren möglich.

Prof. Dr. Ute Ganswindt, Medizinische Universität Innsbruck, Sekundantin des „Pro RT + ADT“-Teams, verwies auf die aktuelle Leitlinie der European Association of Urology (EAU), wonach die RP bei cP0-Erkrankung als Teil einer multi­modalen Therapie nur mit schwachem Empfehlungsgrad versehen sei, die RT + ADT dagegen mit starkem. Auch in der N1-Situation werde mit starkem Empfehlungsgrad eine lokoregionäre Therapie sowie eine Langzeit-ADT mit Abirateron angeführt. Dagegen erscheine nach RP in dieser Situation ein „ggf. gesicherter mindestens trimodaler Therapieansatz“ vorteilhaft, also eine sofortige adjuvante RT plus RT des gesamten ­Beckens (WPRT) in Abhängigkeit von der Zahl befallener Lymphknoten. Daraufhin konterte Prof. Dr. Maximilian ­Burger, Caritas-Krankenhaus St. Josef, Regensburg, Sekundant der Gegenseite, mit dem Satz: „Die Operation ist die beste Therapie, weil sie keine ADT braucht, effektiv ist und weil die ­Radiatio so gut ist.“

Quellen:
Rühle A., Tribius S., Müller S., Budach W. 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie; Symposium 32 „Kopf-Hals-Tumoren“ 
Körber SA., Heidenreich A., Ganswindt U., Burger M. 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie; Symposium 33 „Prostatakarzinom“
EAU-Leitlinie Prostatakarzinom

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