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Wenn Amyloid auf die Nerven geht
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Transthyretin, das überwiegend in der Leber produziert wird, ist normalerweise für den Transport von Thyroxin und – mithilfe des Retinol-bindenden Proteins – auch von Vitamin A verantwortlich. Üblicherweise liegt es als Tetramer vor. Zerfällt diese Struktur, denaturieren die Monomere teilweise, wobei Fehlfaltungen entstehen. Die Endprodukte lagern sich außerhalb der Zellen als Amyloid-Transthyretin (ATTR) ab.
Dabei können zahlreiche Organsysteme betroffen sein, schreiben Dr. Helena Pernice und PD Dr. Katrin Hahn vom Amyloidosis Center der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Das ATTR sammelt sich beispielsweise im Herz, den Nieren, im Glaskörper und den Schleimhäuten des Magen-Darm-Trakts an. Häufig beeinträchtigt es dabei auch die Nerven. Man unterscheidet zwischen
- vererbten Formen mit autosomal-dominantem Erbgang (variantenassoziierte Transthyretinamyloidose; ATTRv), bei denen eine Mutation dafür gesorgt hat, dass im Protein eine Aminosäure gegen eine andere ausgetauscht ist, und
- spontanen Formen ohne Mutation (Wildtyp-ATTR; ATTRwt), die sich meist erst bei älteren Menschen bemerkbar machen
Die späte ATTRv-Variante schreitet schneller fort
Die früh einsetzende ATTRv-Amyloidose beginnt meist schon um das 30. Lebensjahr herum und führt relativ schnell zu einer Small-Fiber- und autonomen Neuropathie. Symptome der Small-Fiber-Neuropathie umfassen vor allem brennende, plötzlich einschießende Schmerzen und vermindertes oder fehlendes Temperaturempfinden in Händen und Füßen (strumpf- bzw. handschuhförmige Verteilung). Autonome Beschwerden wie orthostatische Störungen, Diarrhöen/Obstipationen und erektile Dysfunktionen sind ebenfalls typisch. Mittels einer Hautbiopsie lassen sich eine verringerte Dichte der Nervenfasern und Amyloidablagerungen in der Epidermis nachweisen.
Schweregrade der Polyneuropathie nach Coutinho
Stadium 1: PNP-Symptome, aber der Patient kann ohne Hilfen gehen
Stadium 2: Der Patient benötigt Gehhilfen (Stock, Rollator)
Stadium 3: Selbstständiges Gehen ist nicht mehr möglich, der Patient ist auf einen Rollstuhl angewiesen oder komplett bettlägerig
Eine Large-Fiber-Neuropathie setzt bei frühen ATTRv-Varianten erst im Verlauf ein. Sie verursacht dann häufig innerhalb von etwa zwölf Jahren einen Verlust der Gehfähigkeit. Die Hypästhesien beginnen distal an Füßen und Händen, wandern aber immer weiter nach proximal. Störungen des Gangs und der Feinmotorik sind die Folgen (siehe Kasten).
Die späteren, etwa ab dem 50. Lebensjahr beginnenden Varianten dagegen machen sich meist direkt mit einer Neuropathie der großen Nervenfasern bemerkbar. Diese Formen der ATTRv schreiten wesentlich schneller voran und verlaufen unbehandelt nach wenigen Jahren letal.
Die Neurografie ist die Diagnostik der Wahl
Nervenbiopsien zum Amyloidnachweis haben den Nachteil, dass sie einen dauerhaften Funktionsverlust des Nerven zur Folge haben. Außerdem können sie falsch negativ ausfallen, da sich das Amyloid unregelmäßig ablagert. Diagnostischer Goldstandard ist den Autorinnen zufolge daher die Neurografie.
ZNS und Augen können ebenfalls von der ATTRv-Amyloidose betroffen sein. Da Transthyretin zu einem geringen Anteil auch in der Retina und im Plexus choroideus gebildet wird, kann sich Amyloid in den weichen Hirnhäuten und im Glaskörper ablagern. ZNS-Symptome äußern sich beispielsweise als kognitive Störungen, Kopfschmerzen, Ataxie und Hydrozephalus. Hämorrhagische Schlaganfälle sind durch Ablagerungen des Amyloids in den Gefäßwänden ebenfalls nicht selten. Am Auge führen Glaskörpertrübungen zu Sehstörungen. Als Nachweis dient ein Amyloidnachweis im Liquor, weniger invasiv kann bei entsprechenden Symptomen eine MRT weiterhelfen.
Die Wildtyp-Amyloidose kann sich ebenfalls an den Nerven bemerkbar manchen, etwa als sensible Polyneuropathien, teilweise mit ataktischen Gangstörungen. Die Gehfähigkeit bleibt dabei aber erhalten. Radikuläre Schmerzen gehen oft auf eine Spinalkanalstenose durch Amyloiddeposition vor allem im lumbalen Ligamentum flavum zurück; sie betreffen jeden zweiten Kranken. Bei älteren Männern mit Karpaltunnelsyndrom sollte man an Amyloidablagerungen im Bindegewebe um den N. medianus als Ursache denken. Grundsätzlich steht aber bei der ATTRwt das Herz im Vordergrund: Dort verursacht das abgelagerte Amyloid eine Kardiomyopathie.
Bei erblicher ATTR empfiehlt sich eine genetische Beratung
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten, die an verschiedenen Punkten der Amyloidentstehung angreifen (siehe Tabelle).
Therapiemöglichkeiten bei ATTR-Amyloidose | |||
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| Wirkungsweisen | Dosis | Kommentar |
Tafamidis-Meglumin | „Small Molecule“, stabilisiert TTR durch Bindung an Thyroxinrezeptoren |
| Harnwegsinfektionen als häufigere Nebenwirkung |
Patisiran | bindet an RNA-induced Silencing Complex (RISC) und bewirkt die Spaltung der Ziel-Messenger-RNA |
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Vutrisiran | wie Patisiran |
| Studie zur Wirksamkeit bei Kardiomyopathie (ATTRv und ATTRwt) läuft (HELIOS B) |
Inotersen | Antisense-Oligonukleotid, bindet an mRNA, vermindert TTR über sekundären Abbau |
| cave: Thrombozytopenie, Glomerulonephritis |
Eplontersen | wie Inotersen | bei ATTRv-PNP | Phase-3-Studie läuft (NEURO-TTRansform) |
PNP: Polyneuropathie; ATTRv: ATTR-Varianten-Amyloidose; ATTRwt: ATTR-Wildtyp-Amyloidose; nach Pernice & Hahn (2023) |
Liegt eine erbliche ATTR vor und ist die ursächliche Mutation bereits identifiziert, empfiehlt sich ggf. eine humangenetische Beratung. Auf alle Fälle sollte wegen der Vielzahl möglicherweise (subklinisch) betroffener Organe – über das hier im Vordergrund stehende Nervensystem hinaus – der Patient in einem Schwerpunktzentrum von einem interdisziplinären Team betreut werden.
Quelle: Pernice HF, Hahn K. Innere Medizin 2023; 64: 848-854; DOI: 10.1007/s00108-023-01570-6
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