Wenn die Schilddrüse große Augen macht

Dr. Melanie Söchtig

Vermehrte Produktion von Hyaluronsäure lässt bei Exophthalmus das Orbitagewebe anschwellen. Vermehrte Produktion von Hyaluronsäure lässt bei Exophthalmus das Orbitagewebe anschwellen. © Science Photo Library/ Living Art Enterprises

Im Rahmen von Schilddrüsenerkrankungen kann es vorkommen, dass Autoantikörper auch die Augen angreifen. Die Behandlung der endokrinen Orbitopathie richtet sich in erster Linie nach dem Schweregrad der Krankheit. Neue ­Therapieoptionen sind in Sicht.

Knapp die Hälfte (40–50 %) aller Patienten mit einer Schilddrüsenüberfunktion vom Typ Basedow entwickelt eine endokrine Orbitopathie (EO); unter den Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis sind es 4–6 %. Die entzündliche Erkrankung der Augenhöhle kann in seltenen Fällen auch unabhängig von einer Schilddrüsenerkrankung auftreten. Bei der Hälfte der Betroffenen entsteht jedoch innerhalb von zwei Jahren ebenfalls eine assoziierte Schilddrüsenerkrankung. Obwohl die EO meist mild verläuft, droht 3–5 % der Betroffenen ein Visusverlust, schreiben Prof. Dr. ­Anja ­Eckstein von der Universitäts­augenklinik Essen und ihre Kollegen in einem Übersichtsartikel zum aktuellen Wissensstand rund um die endokrinen Orbitopathie.

Typische Symptome einer EO sind ein Exophthalmus und eine Oberlid­retraktion sowie ein daraus resultierender unvollständiger Lidschluss bzw. eine vergrößerte Lidspalte. Die Folge kann eine Sicca-Symptomatik sein. Hinzu kommen entzündliche Prozesse in den Weichteilen, die sich in einer Lid- und Bindehautschwellung äußern. Wie stark die Symptome ausgeprägt sind, ist bei den einzelnen Patienten individuell sehr unterschiedlich. Mögliche Folgen der EO sind restriktive Augenbewegungsstörungen mit Doppelbildwahrnehmung (Diplopie) und eine Sehschärfenminderung.

Ebenso wie beim Morbus Basedow selbst spielen Autoantikörper gegen den Thyreotropinrezeptor (TRAK) in der Pathogenese der EO eine zentrale Rolle. Sie lösen zum einen eine von der Hypophyse unabhängige Überproduktion von T3 und T4 und zum anderen in der Augenhöhle pathologische Umbauprozesse aus. Darüber hinaus induziert die simultane Stimulation des Thyreotropinrezeptors (TSHR) und des Rezeptors für den insulin-like growth factor 1 (IGF1R) die Produktion von Hyaluronsäure

Wechselspiel zwischen Orbitopathie und Schilddrüse

Dies wiederum kann eine Volumenvergrößerung des Augenhöhlen­gewebes sowie eine kontraktile Fibrose der Augenmuskeln nach sich ziehen. Eine unkontrollierte Schilddrüsenüberfunktion wirkt sich negativ auf den Verlauf der EO aus. Umgekehrt kann die Wiederherstellung der Euthyreose die EO stabilisieren oder sogar verbessern. Die Wahl der Hyperthyreosetherapie hat einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der TRAK-Spiegel. So lässt sich unter Thyreostatika oder nach einer Schilddrüsenoperation oft ein langsamer Rückgang der TRAK-Spiegel beobachten.

Dahingegen besteht bei einer Radiojodtherapie die Gefahr, dass die TRAK-Spiegel über ein bis zwei Jahre ansteigen und persistieren. Damit erhöht sich das Risiko für eine Verschlechterung oder ein Neuauftreten einer EO – insbesondere dann, wenn die Radiojodbehandlung als Primärtherapie durchgeführt wird. Falls sie trotz aktiver EO erfolgt, sind begleitend gegebene Steroide entsprechend höher zu dosieren.

Bei der Wahl der EO-Therapie ist vor allem der Schweregrad entscheidend. Für visusbedrohende Verläufe sieht die europäische Leitlinie die dreimalige Gabe von intravenösen Glukokortikoiden (je 1 g) innerhalb einer Woche vor. Stellt sich nach zwei Wochen kein ausreichender Therapieerfolg ein, muss eine Orbitadekompression erfolgen. 

Milde Verläufe mit Selen behandeln

Bei milden Verläufen der EO ist gemäß Leitlinie eine Supplementation mit Selen ausreichend. Weisen betroffene Patienten einen hohen Leidensdruck und ein volles Risikoprofil auf, entsprechen die Behandlungsempfehlungen denen für moderat schwere Verläufe.

Die Erstlinientherapie bei moderat schwerer EO besteht aus der kumulativen Gabe von intravenösen Glukokortikoiden wie Methylprednisolon, unter Umständen in Kombination mit Mycophenolat-Mofetil (MMF; off label). Nach sechs Wochen ist der Therapieerfolg zu bewerten. Ist dieser ausreichend, sollte die Behandlung für die nächsten sechs (Glukokortikoide) bzw. 18 Wochen (MMF) fortgeführt werden. Im Falle einer Motilitätsstörung ist eine zusätzliche Strahlentherapie zu erwägen. Bei ausbleibendem Erfolg der Erstlinientherapie ist eine Umstellung auf klassische Immunsuppressiva wie Azathioprin und Cyclosporin A (beide off label) oder Biologika empfehlenswert. 

Vielversprechend, vor allem in Bezug auf eine Reduktion des Exophthalmus, ist der monoklonale Antikörper Teprotumumab, welcher in den USA bereits zur Behandlung der EO zur Verfügung steht. Eine entsprechende Zulassung hierzulande steht jedoch noch aus. Weitere potenziell für die EO-Therapie geeignete, aber hierfür noch nicht zugelassene Biologika sind Tocilizumab und ­Rituximab.

Solange IGF1R- und TSHR-Blocker in Europa noch nicht auf dem Markt sind, stehen sie nur im Rahmen von Studien zur Verfügung. Mit der Zulassung werden sie immer dann als First-Line-Therapie zum Einsatz kommen, wenn ein ausgeprägter Gewebeumbau vorliegt (Exophthalmus, Diplopie). Da nach dem Absetzen dieser Therapie Rezidive drohen, muss man die Auto­antikörper gegen den Thyreotropinrezeptor immer im Auge behalten, so die Autoren.

Quelle: Eckstein A et al. Z prakt Augenheilkd 2023; 44: 381-394 

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