Wer braucht eine Chemo, wer eine ovarielle Suppression?

ESMO 2024 Dr. Moyo Grebbin

Ab 50 wirkt Chemotherapie bei Brustkrebs kaum, auch Patientinnen unter 40 profitieren wenig. Ab 50 wirkt Chemotherapie bei Brustkrebs kaum, auch Patientinnen unter 40 profitieren wenig. © vectorfusionart – stock.adobe.com

„Sobald die Patient:innen 50 werden, hört ihre Chemo auf magische Weise auf zu wirken“, fasste die Referentin fünf Studien überspitzt zusammen. Doch was in TAILORx oft übersehen werde: Auch die Jüngsten < 40 Jahre profitierten davon gar nicht.

Als Referentin einer Session, die speziell der Behandlung sehr junger Patient:innen mit östrogenrezeptorpositivem (ER+), lymphknotenpositivem (LN+) Brustkrebs gewidmet war, trat Prof. Dr. Ann H. Partridge vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston auf. Die drei wichtigsten Aspekte, die es ihrer Auffassung nach bei den jungen Frauen zu bedenken gilt, schickte sie direkt voraus, bevor sie tiefer in die Daten einstieg:

  1. Junge Personen mit ER+ Brustkrebs haben im Altersvergleich eine schlechtere Prognose. Gleichzeitig befinden sich unter ihnen viele Langzeitüberlebende. Sie haben eine größere Zeitspanne vor sich, in der sie dem Risiko eines Rezidivs oder neuen Primärtumors ausgesetzt sind, sowie den Folgen von Krankheit und Therapie.
  2. Viele, aber nicht alle jungen Patient:innen mit ER+ und LN+ Erkrankung benötigen eine Chemotherapie. Es stelle sich daher die Frage: „Wem kann man die Chemotherapie ersparen?“
  3. Maßgeschneiderte Lösungen – in verschärfter wie auch deeskalierter Form – und die Präferenzen der Behandelten hinsichtlich ihrer Lebensqualität sollten immer im Zentrum stehen. „Unabhängig vom Alter, aber ganz besonders bei unseren jüngsten Patient:innen mit ihren besonderen Bedürfnissen.“

Dass die Jüngeren im Durchschnitt schlechtere Überlebensdaten aufweisen, lässt sich z. B. an den Zahlen des US-amerikanischen Datenregisters SEER ablesen. Besonders hoch ist diese Altersdisparität unter denjenigen mit niedriggradigen HR+ Tumoren. „Sie zählen zu der Gruppe, die unserer Auffassung nach am einfachsten zu behandeln ist. Doch das ist so nicht ganz richtig“, warnte Prof. Partridge. Denn gegenüber der mittleren Altersgruppe von 40–75 Jahren haben Personen unter 40 eine deutlich erhöhte krebsspezifische Sterbewahrscheinlichkeit. Sie liegt ähnlich hoch wie für die Ältesten über 75 Jahre – wobei das offenkundig wieder ganz andere Gründe habe, so die Referentin. Es gelte aufzupassen, dass man bei den Jüngsten die Therapie nicht zu leichtfertig deeskaliert. 

Auch in aktuellen Daten, bei denen zwischen dem Luminal-A- und Luminal-B-Subtyp unterschieden wird, finden sich entsprechende Beobachtungen wieder, so Prof. Partridge. Erstens sei der Luminal-B-Anteil bei prämenopausalen Patient:innen unter 40 Jahren höher als bei den Älteren und zweitens das rezidivfreie Überleben im jüngeren Alter kürzer – sowohl in der Luminal-A- als auch der Luminal-B-Gruppe. „Ob das nun biologische Gründe hat oder strukturelle, etwa der Zugang zu Leistungen oder die Ädhärenz, die Unterschiede nach Alter sehen wir ganz klar“, betonte die Referentin. Genomische Analysen hätten zudem untermauert, dass die Jüngeren innerhalb bestimmter Tumorsubtypen die ungünstigeren Mutationsprofile besitzen. „Doch bedeutet das, dass sie alle alles brauchen, was wir zur Verfügung haben?“

Eine der Studien, in denen der Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie in diesem Setting untersucht wurde, war TAILORx. Lymphknotennegative ER+/HER2- prä- und postmenopausale Personen konnten daran teilnehmen und erhielten eine endokrine Behandlung mit bzw. ohne zusätzliche Chemotherapie. Die Ergebnisse sehen auf den ersten Blick so aus, als ob die unter 50-Jährigen, besonders in der „Hochrisiko“-Kategorie, durchaus von der Chemotherapie profitierten, erklärte die Referentin. Sehe man sich die Altersgruppen jedoch genauer an, so seien es überhaupt nicht die Jüngsten < 40 Jahre, denen die Chemotherapie helfe. Im Gegenteil: Bei ihnen gab es – wie über 50 – keinen Vorteil zu verzeichnen, sondern lediglich bei denjenigen zwischen 41 Jahren und 50 Jahren. „Was soll man nun davon halten?“, fragte Prof. Partridge und wagte einen Erklärungsversuch: „Wenn der größte Nutzen bei diesen niedriggradigen ER+ Tumoren allerdings in dem chemoendokrinen Effekt besteht: Wer wird aller Wahrscheinlichkeit nach chemotherapiebedingt in die Menopause gehen? Genau: die etwas Älteren. Bei ihnen bewirkt die Chemo eine ovarielle Suppression.“ 

Eine ähnliche Studie, RxPONDER, hatte ebenfalls den Vergleich zwischen einer Chemotherapie gefolgt von endokriner Behandlung vs. die endokrine Therapie allein zum Inhalt. Diesmal besaßen die Teilnehmenden einen LN+ Status, der Recurrence Score (RS) betrug 0–25. „Ich will Ihnen den Haken dieser Arbeit nicht vorenthalten: Die Studienpopulation ist nicht repräsentativ für junge Brustkrebspatient:innen“, erklärte Prof. Partridge. Viele Erkrankte mit etwas höherem Risikoprofil und der Bereitschaft zu einer Chemotherapie seien gar nicht erst eingeschlossen und randomisiert worden. 

In diesen Punkten besteht schon jetzt Konsens

  • Jüngere Personen mit ER+ Erkrankung haben ein höheres Rezidivrisiko. Zu den Möglichkeiten, es zu senken, zählen die Chemotherapie, Hormonbehandlungen inklusive der OFS, CDK4/6-Hemmer und PARP-Inhibitoren (sofern sie vertragen werden).
  • Nicht alle jungen Brustkrebspatient:innen benötigen aggressive Chemo-Regime oder zusätzliches adjuvantes Tamoxifen.
  • Die OFS ist ein leistungsfähiges klinisches Werkzeug, besonders bei jungen Frauen, welches das Rezidivrisiko konsistent um etwa 30 % senkt gegenüber Tamoxifen alleine.
  • Sie ist weniger nützlich, wenn die Betroffenen bereits eine Chemotherapie erhalten und mit hoher Wahrscheinlichkeit dadurch ohnehin ein ovarieller Funktionsverlust ausgelöst wird.
  • Die OFS hat bekanntlich ihre Nachteile: vasomotorische Symptome, Schlaflosigkeit, Osteoporose, sexuelle Dysfunktion. Diese Toxizitäten wirken sich oft negativ auf die Therapietreue aus und die wiederum auf die Rate später Rezidive.

Französische Registerdaten untermauerten diesen letzten Punkt noch einmal, erklärte Prof. Partridge. Es sei wichtig, auf ein besseres Nebenwirkungsmanagement und eine bessere Unterstützung hin zu arbeiten, damit den Betroffenen die Hormontherapie-Adhärenz gelingt.    

Chemotherapie: Einfluss des Alters

Die Ergebnisse für den postmenopausalen Status waren eindeutig: Es gab keinen Unterschied. „Von daher war das eine sehr wertvolle Studie, die vielen die Chemo erspart hat“, so die Referentin. Prämenopausal trat eine gewisse Differenz zu Tage, wenn auch eine geringere als in TAILORx. Das erscheine etwas merkwürdig, da es sich immerhin um LN+ Erkrankte handelte, basiere aber vermutlich auf dem schon angesprochenen Selektionsbias, so Prof. Partridge. Es seien leider keine Daten für die Altersgruppe < 40 Jahre verfügbar, denn es wurden zu wenige so junge Personen eingeschlossen. Man müsse bei Ergebnissen genau hinsehen, wer eigentlich wirklich untersucht wurde. 

Das Team der RxPONDER-Studie habe allerdings noch sehr gute Arbeit geleistet und versucht zu erörtern, inwiefern eine chemotherapieinduzierte Unterdrückung der ovariellen Funktion (OFS) in den Ergebnissen zum Tragen kommt. Da es keine verblindete Studie war, lag der Anteil derjenigen, die therapeutisch mit einer OFS behandelt wurden, erwartungsgemäß im rein endokrinen Arm etwas höher, in beiden Gruppen blieb die Rate insgesamt aber niedrig und konstant. Trennten die Wissenschaftler:innen das Überleben ohne invasive Erkrankung (IDFS) in beiden Armen danach auf, ob die Patient:innen wieder begannen zu menstruieren, so ergab sich ein numerischer IDFS-Vorteil für diejenigen ohne Periode (ohne Chemo: adjustierte HR 1,48; 95%-KI 0,92–2,40; mit Chemo: aHR 1,56; 95%-KI 0,85–2,86). „Dies legt nahe, dass eine OFS sich lohnen kann, und zwar gerade bei den jüngsten Patient:innen auch noch zusätzlich über die Gabe einer Chemotherapie hinaus“, resümierte Prof. Partridge. Dafür spreche auch eine weitere Analyse des RxPONDER-Teams, bei der statt des Ausbleibens der Periode das Anti-Müller-Hormon-Level als Marker einer OFS betrachtet wurde. „Natürlich beweist das nicht, dass der gesamte Nutzen der Chemotherapie bei den Frauen mit niedrigerem Risiko auf dem chemoendokrinen Effekt beruht“, räumte die Referentin ein. Die Daten lieferten jedoch einen weiteren Hinweis darauf, dass er einen guten Teil dazu beitragen könnte. 

Wenn man die Studien TAILORx, RxPONDER sowie MINDACT gemeinsam betrachte, falle außerdem auf, dass die Ergebnisse sich ähneln: In allen bezifferte sich der Vorteil durch die Chemotherapie für diejenigen ≤ 50 gegenüber den > 50-Jährigen auf rund 5–6 %; Endpunkte waren dabei die Fernmetastasierung, das fernmetastasefreiem Überleben bzw. DFS/IDFS. „Sobald die Patient:innen 50 werden, hört ihre Chemo auf magische Weise auf zu wirken“, formulierte Prof. Partridge bewusst überspitzt und mit einem Augenzwinkern – biologisch stimme das so natürlich nicht ganz und das Alter sei schließlich ein Kontinuum. 

Ihr Fazit aus all der bisherigen Evidenz: „Zu welchem Anteil die Resultate einer Chemotherapie bei prämenopausalen Personen auf einer dadurch hervorgerufenen OFS beruhen, wissen wir derzeit nicht.“ Antworten werde jedoch die US-amerikanische Studie OFSET liefern, in die Forschende aktuell prämenopausale Patient:innen mit mittlerem genetischem Risiko rekrutieren. Beide Arme erhalten darin eine gezielte OFS-Therapie plus Aromatase-Inhibitor, mit oder ohne Chemo. Die Studie OPTIMA-UK werde zudem international erweitert unter dem Namen OPTIMA YOUNG.

Quelle: Partridge A. ESMO Congress 2024; Session „How to treat very young patients with ER+, node positive BC?“; Presentation by Expert

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