„Wie die dunkle Seite des Mondes“: Wissen zu Trikuspidalinsuffizienz bisher gering

Dr. Sascha Bock

So wie die erdabgewandte Seite des Mondes Forscher reizt, tut es auch die „vergessene“ Trikuspidalklappe. So wie die erdabgewandte Seite des Mondes Forscher reizt, tut es auch die „vergessene“ Trikuspidalklappe. © iStock/skynesher; Sebastian Kaulitzki – stock.adobe.com

Der Aortenstenose widmet die ESC-Leitlinie zu Herzklappenerkrankungen sieben Seiten, der Trikuspidalinsuffizienz nur zwei. Dabei treten signifikante Störungen an diesen Klappen etwa gleich häufig auf. Die Relevanz der Regurgitation darf heute nicht mehr unterschätzt werden.

Über die Trikuspidalinsuffizienz (tricuspid regurgitation) weiß man wenig. Und was man weiß, fällt in den Leitlinien unter „wissenschaftlicher Konsens“, also Evidenzlevel C. Sogar epidemio­logische Daten sind rar, konstatierte Professor Dr. Yan Topilsky­, Sourasky Medical Center, Tel Aviv. Drei Studien drehen sich um dieses Thema. Demnach besteht eine moderate oder schwere Insuffizienz bei ca. 0,6 % der Gesamtbevölkerung. Mit dem Alter steigt die Rate: Über 75-Jährige – insbesondere Frauen – erreichen eine Prävalenz von mehr als 4 %.

Ein signifikanter Klappenschaden hat Folgen: Jährlich sterben bis zu 25 % der Betroffenen. „Es handelt sich um eine maligne Erkrankung!“, so Prof. Topilsky. Offen bleibt aber, ob die funktionelle Trikuspidalinsuffizienz tatsächlich die Exzessmortalität verursacht oder die Insuffizienz nur als Surrogatparameter für die rechtsventrikuläre Dysfunktion herhält. Zwei der jüngeren Studien sehen einen direkten Zusammenhang, eine nicht.

Farbdoppler unterschätzt den Schweregrad der Trikuspidalinsuffizienz

Laut einer aktuellen Metaanalyse mit über 32 500 Patienten geht die moderate/schwere Trikuspidalinsuffizienz unabhängig von pulmonalarteriellem Druck und Rechtsherzversagen mit einer erhöhten Sterblichkeit einher.1 Adjustiert nach verschiedenen Faktoren wie linksventrikuläre Ejektionsfraktion oder Vorhofflimmern ergab sich im Vergleich zu keiner/milder Klappenerkrankung ein relatives Mortalitätsrisiko zwischen 1,54 und 1,95.

Prof. Topilsky betonte, dass man die Trikuspidalinsuffizienz basierend auf ihrer Ätiologie unterscheiden muss (s. Kasten). In der Bildgebung komme es darauf an, den Klappenschaden zu quantifizieren, wenn sich qualitativ ein Rückfluss zeigt. Professor Dr. Rebecca Hahn von der Columbia University in New York pflichtet ihm bei: „ Einer der Hauptgründe, warum wir die Trikuspidalinsuffizienz unterschätzt haben, liegt darin, dass wir in der Echokardiographie den Farbdoppler benutzt haben.“

Ursachen sitzen nicht nur links

Primäre Ursachen der Trikuspidalinsuffizienz umfassen u.a. angeborene Anomalien, Infektionen und Traumata. Für den Alltag relevanter sind die sekundären Auslöser. Etwa die Hälfte aller Trikuspidalinsuffizienz-Fälle lassen sich auf eine linksventrikuläre Klappenerkrankung zurückführen (i.d.R. Mitralklappe). Hinter 21 % steckt eine pulmonale Hypertonie, vorwiegend wegen linksventrikulärer diastolischer Dysfunktion. Eine systolische Dysfunktion der linken Kammer ist für jede siebte Trikuspidalinsuffizienz verantwortlich und 8 % fallen auf das rechtsatriale Remodeling (meist durch Vorhofflimmern).

Aufgrund des Niederdrucksys­tems im rechten Ventrikel kann sich der Jet kleiner darstellen als bei einem vergleichbaren Klappen­defekt auf der linken Seite. Deshalb diagnostiziert mancher womöglich eine moderate Insuffizienz, obwohl die effektive Regurgitations­öffnungsfläche (EROA) 40 mm2 beträgt und damit eine schwere Störung vorliegt. Zudem geht es in der Bildgebung um mehr als die Trikuspidalis. Verschiedene Ätiologien haben auch verschiedene Morphologien der umliegenden Strukturen. Beispielsweise wölbt sich das Septum bei Patienten mit ausgeprägter pulmonaler Hypertonie nach links, was den Zug der Papillarmuskeln verstärkt. Anulus und rechtsatriales Volumen liefern frühe Hinweise auf eine Trikuspidalinsuffizienz . Denn bevor sich der Ventrikel vergrößert, dilatiert der Vorhof. Der Anulus reagiert sehr sensibel auf eine atriale oder ventrikuläre Erweiterung. „Wir nennen es zwar Anulus, doch eigentlich ist nicht viel Bindegewebe drin“, erklärte Prof. Hahn. Um die Struktur richtig zu beurteilen, kommt die 3D-Echokardiographie ins Spiel. Eine einzige Schnittebene (wie im 4-Kammer-Blick) gibt die Geometrie des Klappenrings und damit den Durchmesser nur unzureichend wieder. Neben dem 3D-Echo hob die Kollegin die kardiale MRT hervor, insbesondere zur Beurteilung der rechtsventrikulären Größe und Funktion. Mit zunehmender ventrikulärer und septaler Dysfunktion verstärkt sich die Regurgitation. Manche Betroffenen sprechen im fortgeschrittenen Stadium dann nicht mehr auf bestimmte Therapien an. So bringt eine Anuloplastie dem Patienten mit schwerer pulmonaler Hypertonie wenig, da die primäre Ursache der Trikuspidalinsuffizienz woanders liegt. Ausgerechnet diese Gruppe landet für einen isolierten Klappeneingriff häufig bei Professor Dr. Francesco Maisano, Herzchirurg am Universitätsspital Zürich. „Schicken Sie diese Patienten bitte nicht mehr zu mir“, lautete sein Appell. Nach wie vor sei die Trikuspidalis die „dunkle Seite des Mondes“. Zu viele Faktoren beeinflussen die Therapieentscheidung im Einzelfall. Dem Schweizer Kollegen zufolge ist die alleinige operative Behandlung der Trikuspidalinsuffizienz mit einer Exzessmortalität von über 5 % behaftet – trotz besserer Selektion und moderner OP-Methoden.

Evaluation der sekundären Trikuspidalinsuffizienz

  • Schweregrad der Regurgitation: qualitative Dopplerparameter, Vena contracta (biplan und 3D), quantitatives Assessment (EROA und Regurgitationsvolumen, Letzteres 3D)
  • Anulusdilatation: Durchmesser, Fläche, Dynamikveränderungen
  • Zugkraft der Chordae (tethering): Höhe der zeltartigen Aufspannung der Klappensegel („tenting“), Tenting-Volumen im 3D-Echo, Segel- winkel
  • Rechter Ventrikel – Pulmonalarterie: pulmonalarterieller Druck und Widerstand, rechtsventrikuläre Kontraktilität in Bezug zur Nachlast
  • rechtsventrikuläres Remodeling und Funktion: Ventrikelgröße (2D und 3D), multiparametrisches Assessment der regionalen und globalen RV-Funktion (TAPSE, RV dP/dT, 2D-longitudinal Strain, 4D flow etc.)
  • Linksherzgröße und -funktion: multiparametrisches Assessment von Vorhof und Ventrikel, begleitende linksseitige Klappenerkrankung?

Kombinierte Eingriffe sind im klinischen Alltag selten

Die Pathophysiologie und das falsche Timing machen dem chirurgischen Erfolg einen Strich durch die Rechnung. Eine Intervention kommt zunächst immer zu früh (u.a. wegen schwacher Symptome). Irgendwann hat man den optimalen Zeitpunkt dann verpasst und die Patienten haben ein hohes periprozedurales Risiko. Eine Studie bestätigt: Verglichen mit einer medikamentösen Therapie ändert die isolierte Trikuspidalinsuffizienz-Operation nichts an der Prognose. Anders sieht es bei den kombinierten Eingriffen aus. Die Fachwelt ist sich weitgehend einig, dass eine relevante Trikuspidalinsuffizienz mitbehandelt werden sollte, wenn eine linksseitige Klappenoperation ansteht. Allerdings brauchen in der modernen Herzchirurgie nur wenige eine begleitende Trikuspidalinsuffizienz-Versorgung, so die Erfahrung von Prof. Maisano. Ob Anuloplastie oder Edge-to-edge-Rekonstruktion – fast alle chirurgischen Techniken lassen sich heute auch perkutan durchführen. Derartige Transkathetereingriffe sind das Gebiet von Dr. Ralph Stephan von Bardeleben­, Universitätsmedizin Mainz. Erste Outcomedaten zur Trikuspidalklappenanuloplastie mittels Cardioband® zeigen, dass sich neben den Echoparametern die Gehstrecke und die Lebensqualität der Behandelten verbessern.2 Mit mehr als 2000 Implantationen kommt bislang am häufigsten die Edge-to-edge-Technik zum Einsatz (vorwiegend MitraClip®, seltener PASCAL-System). In der TRILUMINATE-Studie arbeiteten Dr. von Bardeleben und weitere Kollegen mit dem TriClip™-Device:3 Trotz einer sehr kranken Patientenpopulation mit teils massiver Regurgitation starb binnen 30 Tagen nach Intervention niemand. Bei einer Teilnehmerzahl von 85 und noch wenig Erfahrung sei das eine sehr wichtige Botschaft, so der Experte. „Der Benefit beginnt mit der Art des Eingriffs.“

* European Society of Cardiology

Quellen:
1. Wang N et al. Eur Heart J 2019; 40: 476-484; doi: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy641
2. Nickenig G et al. J Am Coll Cardiol 2019; 73: 1905-1915; doi: https://doi.org/10.1016/j.jacc.2019.01.062
3. ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03227757

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So wie die erdabgewandte Seite des Mondes Forscher reizt, tut es auch die „vergessene“ Trikuspidalklappe. So wie die erdabgewandte Seite des Mondes Forscher reizt, tut es auch die „vergessene“ Trikuspidalklappe. © iStock/skynesher; Sebastian Kaulitzki – stock.adobe.com