Psychosomatische Diagnostik und Therapie Das muss man bei der Abrechnung beachten

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Für die Abrechnung von Leistungen der  psychosomatischen Diagnostik gibt es ein paar Dinge zu beachten. Für die Abrechnung von Leistungen der psychosomatischen Diagnostik gibt es ein paar Dinge zu beachten. © Pormezz – stock.adobe.com

Für die psychosomatische Diagnostik und Therapie stehen dem Hausarzt die EBM-Nummern 35100 und 35110 zur Verfügung. Deren Ansatz ist allerdings nicht frei vom Risiko der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Hier ein Fallbeispiel, wie die Abrechnung von Leistungen gelingen kann.

Die Leistungen der sog. psychosomatischen Grundversorgung gemäß Psychotherapie-Richtlinie werden im EBM in den Gebührenordnungspositionen (GOP) 35100 bis 35120 abgebildet. In der hausärztlichen Praxis sind insbesondere die GOP 35100 und 35110 relevant. Beide Leistungen sind nicht antragspflichtig. Sie dürfen aber nur dann ausgeführt und abgerechnet werden, wenn der KV Folgendes nachgewiesen wurde:

  • Eine mindestens dreijährige Erfahrung in selbstverantwortlicher ärztlicher Tätigkeit, 
  • Kenntnisse in einer psychosomatisch orientierten Krankheitslehre,
  • reflektierte Erfahrungen über die Psychodynamik und therapeutische Relevanz der Arzt-Patienten-Beziehung und 
  • Erfahrungen in verbalen Interventionstechniken.

Die Kenntnisse müssen durch Theorieseminare von mindestens 20-stündiger Dauer, Reflexion der Arzt-Patienten-Beziehung (mind. 30 Stunden) sowie Vermittlung verbaler Interventionstechniken (mind. 30 Stunden) erworben werden. Bei Fachärzten für Allgemeinmedizin ist dies Bestandteil der Weiterbildung.

Abrechnung von Leistungen im Fallbeispiel
 EBMLegendePunkte/Euro
Erstkontakt03003Versichertenpauschale im 42. Lebensjahr114/13,6
003220HZuschlag zur Versichertenpauschale für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung Hinweis: Da die Patientin bereits regelmäßig in hausärztlicher Betreuung war, kann die 03220 mit dem Suffix „H“ angesetzt werden.130/15,51
35100Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände193/23,03
33042Sonografische Untersuchung des Abdomens oder dessen Organe und/oder des Retroperitoneums oder dessen Organe einschl. der Nieren mittels B-Mode-Verfahren143/17,07
03008Zuschlag zur Versichertenpauschale für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V Hinweis: Die GOP ist abrechenbar, wenn die Terminvergabe innerhalb von 35 Tagen erfolgt, wobei ab dem 24. Tag im freien PVS-Feld eine Begründung anzugeben ist.131/15,63
Weiterer Kontakt03221Zuschlag zur 03220 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung40/4,77
35110Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen193/23,03

Quelle: EBM

Die Zeitvorgaben einer Sitzung im Auge behalten

Inhalt der GOP 35100 ist die Diagnostik vor Aufnahme einer psychosomatischen Behandlung. Sie enthält ein mindestens 15 Minuten langes Gespräch und ist nur einmal berechnungsfähig – auch wenn die Sitzung länger dauert. Für die Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Zeitvorgaben ist wichtig, dass diese Arzt-Patienten-Kontaktzeit um insgesamt mindestens 15 Minuten überschritten werden muss, wenn neben der 35100 andere diagnostische oder therapeutische Leistungen abgerechnet werden, in deren EBM-Legende ebenfalls eine Zeitvorgabe enthalten ist.

Die GOP 35110 bildet den therapeutischen Ansatz ab, ist je Sitzung ebenfalls nur einmal berechnungsfähig und muss auch mindestens 15 Minuten dauern. Sie kann aber bis zu dreimal am Tag berechnet werden, wenn die Gespräche aufgrund einer medizinischen Notwendigkeit in getrennten Sitzungen erfolgen, z.B. wegen einer vorübergehenden psychischen Destabilisierung des Patienten oder wegen einer kognitiven Einschränkung, die keine längere zusammenhängende verbale Intervention zulässt. In diesem Fall ist bei der Abrechnung die Uhrzeit anzugeben.

Viele funktionelle Körperbeschwerden führen zu keinen (wiederholten) Arztbesuchen. Bei 20 bis 50 % der Patienten, die mehrere Körperbeschwerden und Kriterien für eine „somatoforme Störung“ aufweisen, sind die Leiden jedoch anhaltend. Die S3-Leitlinie „Funktionelle Körperbeschwerden“ der AWMF rät hier eine biopsychosoziale Simultandiagnostik. D.h.: Körperliche wie psychische Symptome sollten ausgewogen ernst genommen und abgeklärt werden, um eine übermäßige „Somatisierung“ oder „Psychologisierung“ zu vermeiden.

Keine seltenen Fälle in der Hausarztpraxis

Während die Psychiatrie allgemein auf die Diagnostik und Therapie von Störungen und Erkrankungen der Psyche des Menschen abhebt, beschäftigt sich die Psychosomatik mit körperlichen Beschwerden, die Folgen seelischer Belastungen sein können. Die Übergänge sind oft fließend. Typische Symptome sind z.B. chronische Schmerzen, die den Kopf, die Gelenke, Muskeln oder den Bauch betreffen. Außerdem können allgemeine Beschwerden wie Erschöpfung, Müdigkeit und Schlafstörungen sowie körperliche Symptome wie Verdauungsbeschwerden, Kreislaufprobleme und Schwindel auftreten.

In Hausarztpraxen kommen solche funktionellen Körperbeschwerden (somatoforme Erkrankungen) in 20 bis 50 % der Fälle vor. Ein Allgemeinarzt mit 40 Patienten am Tag sieht nach unabhängigen Erhebungen etwa zwei Patienten mit funktionellen Körperbeschwerden pro Stunde. Eine Auswertung von Krankenkassendaten zeigt, dass 91 % aller Versicherten mit einer F4-Diagnose nach ICD-10 ausschließlich durch Allgemeinärzte und Fachärzte der somatischen Fachdisziplinen versorgt werden.

Fallbeispiel: Reizdarmsyndrom mit familiärer Häufung

Falls sich also aus Anamnese und Untersuchungsbefund keine Hinweise für abwendbar gefährliche Verläufe bekannter körperlicher oder psychischer Erkrankungen ergeben, sollte dies dem Patienten erläutert werden, um ihn zu beruhigen.

Je nach Schweregrad sind am Anfang häufigere Sitzungen empfehlenswert. Dem trägt die bis zu dreimal täglich ansetzbare GOP Rechnung. Ist es zur psychischen Stabilisierung gekommen, können die Abstände weiter gefasst werden. Studien belegen, dass sich bei 50 bis 75 % der Patienten die medizinisch nicht (hinreichend) erklärbaren Körperbeschwerden innerhalb von 6 bis 15 Monaten verbessern.

Ein Fallbeispiel: Eine 42-jährige Patientin kommt nach einem Hausarztwechsel erstmals in die Praxis. Sie berichtet, dass sie seit längerer Zeit, angeblich nahrungsmittelunabhängig, abdominale Krämpfe, Blähungen sowie unregelmäßigen Stuhlgang habe. Ähnliche Symptome würden bei der Mutter und dem jüngeren Bruder auftreten. Eine besondere berufliche oder familiäre Stresssituation wird verneint. Bei der körperlichen Untersuchung fallen ein geblähtes Abdomen und ein leichter Druckschmerz bei der Palpation auf. Die Abdomen-Sonografie zeigt keine Auffälligkeiten. Eine Laboruntersuchung wird veranlasst und zur differenzialdiagnostischen Abklärung ein Termin beim Gastroenterologen vermittelt. 

Da die Laborwerte alle im Normbereich liegen und die fachärztliche Abklärung keine Anhaltspunkte für eine andersartige Ursache der Beschwerden liefert, kann die Diagnose eines Reizdarmsyndroms als gesichert angesehen werden. Der Patientin wird die Bedeutung der Erkrankung erläutert und eine begleitende psychosomatische Gesprächstherapie angeboten. Sie erhält eine Empfehlung an die Krankenkasse für eine Diätberatung nach Muster 36 und ein „grünes Rezept“ für ein Pfefferminzöl-Präparat. 

Die familiäre Häufung der Symptomatik deutet auf eine Verhaltensstörung als (Mit-)Ursache der Erkrankung hin. Wichtig ist deshalb die weitere Betreuung der Patientin. Sofern sich dabei zeigt, dass die psychische Komponente eine nur untergeordnete Rolle bei dem Krankheitsbild einnimmt, kann eine ggf. notwendige weitere Gesprächstherapie nach GOP 03230 berechnet werden.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht