Praxismanagement Miteinander sprechen – und sich zu einem guten Team entwickeln

Autor: Antje Thiel

Eine gemeinsame Basis muss das Team oft erst entwickeln. Eine gemeinsame Basis muss das Team oft erst entwickeln. © ssstocker – stock.adobe.com

In multiprofessionellen Behandlungsteams sind sich nicht immer alle Beteiligten einig über Prioritäten und Prozesse. Konflikte können u. a. hierarchische, kulturelle oder sprachliche Hintergründe haben. Wenn es im Team knirscht, bekommen das neben den Mitarbeitenden selbst auch die behandelten Patient*innen zu spüren. Zeit und Geld, die man in kontinuierliche Teamarbeit investiert, zahlen sich deshalb auf lange Sicht aus.

Wer als Mensch mit Diabetes in einer Diabetesklinik oder Schwerpunktpraxis behandelt wird, kommt in der Regel mit etlichen verschiedenen Berufsgruppen in Kontakt. Da ist die Diabetologin, die ihn mit Blick auf die Laborwerte zum schnellen Abnehmen drängt. Der Ernährungsberater würde dafür gern bestimmte Lebensmittel ganz vom Speiseplan streichen. Die Psychologin wiederum möchte mit Blick auf die psychologische Historie lieber kleinschrittige Ziele vereinbaren.

„Für Patient*innen ist es sehr unbefriedigend, wenn die verschiedenen Professionen ihnen ganz unterschiedliche Empfehlungen mit auf den Weg geben“, weiß Laura Klinker von der Diabetesklinik Mergentheim. Sinnvoll wären aus Sicht der Psychologin daher regelmäßige Fallkonferenzen, bei denen sich die beteiligten Professionen zu einzelnen Patient*innen austauschen und gemeinsame Ziele vereinbaren. Eine solche strukturierte interprofessionelle Zusammenarbeit wird allerdings bislang nur in wenigen Gesundheitseinrichtungen umgesetzt (s. Kasten).

Grenzüberschreitungen als Nährboden für Konflikte

Neben Differenzen auf interprofessioneller Ebene können aber auch zwischenmenschliche Probleme die Zusammenarbeit im Team erschweren. „Die größten Konflikte entstehen – wie immer im Leben –, wenn Menschen nicht gesehen werden in ihrem Handeln und ihrem Bemühen“, erklärt Klinker die psychologische Dynamik. Fehlende gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung im Team könnten Nährboden für Konflikte und erlebte Grenzüberschreitungen sein.

Interprofessionelle Zusammenarbeit

Eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe mit ihren unterschiedlichen Professionen und Disziplinen kommt Patient*innen und den beteiligten Fachkräften selbst zugute. Ihre flächendeckende Umsetzung scheitert bislang allerdings an fehlenden Rahmenbedingungen und Hürden bei der Abrechnung – insbesondere im ambulanten Bereich. Dabei sollte die interprofessionelle Zusammenarbeit eigentlich bereits in der Ausbildung gefördert werden. Gesundheitsfachkräfte, die das moderne Konzept vorantreiben wollen, können sich dem Netzwerk „Gesundheit Interprofessionell“ anschließen, das u. a. einen vierteljährlichen digitalen Salon veranstaltet.

Wer noch tiefer eintauchen möchte, kann z. B. den neuen Bachelor-Studiengang „Interprofessionelle Gesundheitsversorgung“ absolvieren. Darin werden Berufserfahrene aus den Gesundheitsberufen für den Blick über den eigenen fachlichen Horizont sensibilisiert und in ihren kommunikativen Fähigkeiten gestärkt.

gesundheitinterprofessionell.com

„Wir befassen uns im Alltag recht wenig mit unseren persönlichen Grenzen. Es wird leichter, Grenzen aufzuzeigen, wenn man sie konkret benennen kann“, sagt Klinker. Sie bietet deshalb gelegentlich den Teams der Diabetesklinik Workshops an, in denen die Teilnehmenden versuchen, ihre persönlichen Grenzen besser wahrzunehmen und zu artikulieren: „Wir machen dann Rollenspiele und Erlebensübungen, bei denen wir zum Beispiel mit einem Seil markieren, wie groß der persönliche Raum um uns herum ist – und was passiert, wenn jemand diesen Kreis durchbricht.“

Verschiedene Kulturen: besser keine Schubladen aufmachen

Auch Marion Deiters, die in Steinfurt gemeinsam mit einer Kollegin das Schulungs- und Beratungsunternehmen „Die Denkstation“ betreibt, weiß um die kommunikativen Fallstricke in gemischten Teams. Ihr Fokus gilt den kultursensiblen Aspekten der Zusammenarbeit, wobei der Begriff „Kultur“ sich nicht nur auf die ethnische Herkunft bezieht, sondern auf Sprache, Rituale, Werte und Normen innerhalb einer Gruppe. „Wie nehme ich mein Gegenüber wahr, ohne direkt Schubladen aufzumachen?“, beschreibt Deiters ihren Ansatz.

In ihren Coachings versucht die Krankenpflegerin und Diplom-Berufspädagogin daher, die Teilnehmenden für die Bedeutung der individuellen Sozialisation und daraus resultierende interkulturelle Missverständnisse zu sensibilisieren. „Ein häufiges Thema sind Pünktlichkeit und das Verständnis von Zeit“, berichtet Deiters. Doch auch in anderen Verhaltensweisen macht sich die jeweilige kulturelle Prägung bemerkbar. So sei beispielsweise das Fragenstellen nicht in allen Kulturen gleichermaßen verankert. „Diese Sozialisation kann man nicht einfach abstellen“, betont die Coachin, „insbesondere wenn nicht klar kommuniziert wird, dass es erwünscht ist, Fragen zu stellen.“

Vorurteile und mangelndes gegenseitiges Verständnis können sich ungünstig auf die Dynamik im Team auswirken. „Häufig wird die Vielfalt in den Teams gar nicht wahrgenommen, und es gibt zu wenig Zeit für Teambesprechungen oder Reflexion der eigenen Haltung“, weiß Deiters. Sie empfiehlt, neuen Kolleg*innen in der Einarbeitungsphase erfahrene Teammitglieder als Mentor*innen an die Hand zu geben. Diese könnten bei Tätigkeiten unterstützen, aber auch ungeschriebene Regeln der Einrichtung bzw. der jeweiligen Teams sowie unterschiedliche Verständnisse von Gesundheit und Krankheit erklären. „Es ist auch hilfreich, ein Verzeichnis mit den typischen Begriffen und internen Abkürzungen zu erstellen, die in der eigenen Einrichtung verwendet werden.“  

Kultursensible Teamarbeit spart Zeit und Ressourcen

Den Einwand, für diese Form der Teamarbeit sei im Arbeitsalltag keine Zeit, mag sie dabei nicht gelten lassen: „Zeitmangel ist natürlich eine große Herausforderung, aber nicht alles kostet mehr Zeit.“ Viel aufwendiger sei es, wenn Mitarbeitende im Team unzufrieden sind, sich nicht wahrgenommen fühlen, deswegen häufiger krank sind und schneller ihren Job verlassen. Deiters rät Teams initial zu Fortbildungen, in denen grundlegendes Wissen über Kultursensibilität erworben wird. Im Anschluss sei die regelmäßige Selbstreflexion wichtig, „die dauert manchmal nur wenige Minuten“, sagt Deiters. Auf lange Sicht spare kultursensible Teamarbeit viel Zeit und Ressourcen.

Ein Tag für die Entwicklung des Teams – pro Monat

Wie wichtig bewusste Teamentwicklung ist, weiß auch Dr. Hansjörg Mühlen. Der in Duisburg niedergelassene Diabetologe hat eine turbulente Zeit hinter sich: „In den vergangenen Jahren sind zwei meiner besten Kräfte in Rente gegangen“, erzählt er. Die Suche nach Ersatz war zum einen aufgrund des Fachkräftemangels schwierig. Zum anderen passten die wenigen Bewerber*innen oftmals nicht ins Team. „Wir haben daher häufiger Mitarbeiterinnen austauschen müssen. Dadurch war viel Bewegung im Team, es gab auch Neid und Konkurrenzkämpfe.“

Zum Team in Dr. Mühlens Praxis gehört zum Glück auch eine auf Diabetes spezialisierte Fachpsychologin. „Sie ist im gesamten Team geschätzt und respektiert und steht nicht nur den Patienten, sondern auch den Mitarbeitenden für persönliche Probleme zur Verfügung“, erzählt der Diabetologe. Außerdem führt die Psychologin Team-Coachings durch. Seit gut einem Jahr schließt die Praxis einmal pro Monat für einen ganzen Tag, dann dreht sich alles um das Praxisteam. „Wir besprechen an diesen Tagen zwar auch organisatorische Dinge oder frischen unsere Kenntnisse in Reanimation auf, aber im Wesentlichen dient der Tag der Teamentwicklung. Und so langsam läuft es wieder rund.“

Er rät Kolleg*innen, auch das Qualitätsmanagement (QM) für die Zusammenarbeit im Team zu nutzen: „Man kann sich mit QM einerseits totregulieren, andererseits brauchen 80 % der Tätigkeiten Standards, die sich über eine solche Verschriftlichung festschreiben lassen.“ Das schütze auch das Team vor Problemen: „Wenn man sich auf bestimmte Routinen und Regeln verständigt hat, greift Kritik nicht mehr auf der persönlichen, sondern auf der Sachebene. Die Kommunikation ist dann anders.“ Und noch eine Beobachtung hat Dr. Mühlen im Zusammenhang mit dem oft eher ungeliebten QM gemacht: „Die Gedanken verändern sich, wenn man etwas verschriftlicht. Dann merkt man, wo es hakt und an welcher Stelle noch Arbeit erforderlich ist.“ Der Prozess koste initial zwar viel Zeit, „doch am Ende zahlt er sich aus. Wir haben keine Zeit, auf ihn zu verzichten.“