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Magnete wirken stärker als Fesseln Was die erfolgreiche Zusammenarbeit im Team ausmacht

Am Arbeitsplatz geht es im Grunde nicht anders zu als beim Mikadospiel: Jede Bewegung eines Teammitglieds beeinflusst auch die anderen Mitglieder. Mit diesem Vergleich erläuterte die Psychologin Laura Klinker (Diabetes Zentrum Mergentheim/Otto-Friedrich-Universität Bamberg) die psychologischen Hintergründe und den Ansatz des systemischen Denkens in Bezug auf berufliche Teams. Ein Diabetesteam ist demnach ein soziales System, in dem alle Beteiligten in Wechselbeziehungen zueinander stehen und jedes Verhalten eine Funktion hat, auch wenn diese nicht immer allen bewusst ist.
Mit einem Koffer voller Ressourcen unterwegs
Klinker plädierte für eine ressourcenorientierte statt einer problemfokussierten Sichtweise: „Wir alle haben einen Koffer voller Ressourcen!“ Die Psychologin betonte, dass in einem Diabetesteam die Mitglieder je nach Kontext unterschiedliche Rollen einnehmen, die über ihre beruflichen Titel hinausgehen. So sei eine Ärztin nicht nur medizinische Fachkraft, sondern auch Praxischefin, Teamleiterin und Kollegin. Ähnlich vielfältig seien die Rollen der Diabetesberaterin, die als Alltagshelferin, Ideengeberin, Kummerkasten oder junge Kollegin agieren kann. Die Patient*innen selbst erschienen in der Praxis ebenfalls in verschiedenen Rollen, beispielsweise als Hilfesuchende, Leidende, Bittsteller*innen oder erfolgreiche Expert*innen für ihre eigene Krankheit.
Klinker betonte, dass Teamarbeit die Chance bietet, nicht alle Rollen selbst einnehmen zu müssen: „Schließlich fühlen wir uns nicht in allen Rollen gleichermaßen wohl.“ Besonders bei Konflikten ist es wichtig zu verstehen, dass jedes Verhalten – sei es Rückzug oder Wut – eine Funktion erfüllt: „Vielleicht können wir unserem Gegenüber erst einmal gute Gründe für sein Verhalten unterstellen?“, regte die Psychologin an
„Erfolgreiche Teamarbeit passiert nicht einfach so“
Konkrete Praxistipps vermittelte Angelika Deml, die als Bildungsreferentin für chronische Erkrankungen u. a. Weiterbildungen für Diabetesberater*innen anbietet. „Erfolgreiche Teamarbeit passiert nicht einfach so. Jede und jeder muss wissen, worum es im Kern geht – und wofür“, sagte sie. Hierzu gehörten klare strategische Ziele, die gemeinsam formuliert werden, ebenso wie eine „große inspirierende Vision, auf die alle Ziele einzahlen“. Dies lasse sich zum einen mit klaren Strukturen erreichen: „Teams funktionieren besser, wenn Verantwortlichkeiten und Rollen klar definiert und verteilt sind.“
Auch ein respektvoller Umgang sowie die Trennung von sachlicher Kritik und persönlichen Angriffen seien essenziell. „Zu einer guten Fehlerkultur gehört aber auch, dass Probleme offen angesprochen und nicht unter den Teppich gekehrt werden“, meinte Deml. Regelmäßige, gut vorbereitete Meetings, Teamreflexionen, Fort- und Weiterbildungen, die Nutzung von Zertifizierungsangeboten sowie die Integration von Technologie trügen ebenfalls zu einem erfolgreichen Team bei. Bei Konflikten helfe es, wohlwollend zu sein und den anderen erst einmal gute Absichten zu unterstellen. Und: „Anerkennung ist das Öl im Getriebe sozialer Interaktion – nicht vom Chef zu den Angestellten, sondern auch der Teammitglieder untereinander.“ Deml betonte, dass gemeinsame Erfolge motivieren und dass ein gutes Teamklima nicht nur Mitarbeiter bindet, sondern auch neue anzieht: „Magnete wirken stärker als Fesseln!“
Die Praxischefin als Ressourcenmanagerin
Die Diabetespraxis Northeim, in der die Diabetologin Dr. Sandra Schlüter praktiziert, scheint eine solche Magnetfunktion zu haben. Ihre Anziehungskraft mag zum einen daran liegen, dass die Chefinnen die Kosten für die Kinderbetreuung und die Fortbildung ihrer Angestellten übernehmen sowie regelmäßige Teamausflüge und Kurztrips mit dem Team veranstalten. Doch neben geldwerten Vorteilen ist Schlüter auch etwas anderes wichtig: „Ich wollte einen Ort schaffen, an dem sich alle wohlfühlen und lieber dort ihre Zeit verbringen als zu Hause“, beschrieb sie ihre Zielsetzung.
Wie sie dieses angestrebte Teamklima schaffen kann, musste sie sich zu Beginn ihrer niedergelassenen Tätigkeit allerdings erst aneignen. „Man kommt da aus einer eigentlich recht coolen Rolle als Oberärztin auf einmal in die Rolle als Chefin und muss erst einmal lernen, Ressourcen zu managen“, berichtete sie. Dazu gehört für sie, dass alle Mitarbeitenden grundsätzlich gleich behandelt werden sollten, obwohl das aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten nicht immer so leichtfalle: „Ich musste zum Beispiel erst lernen, dass nicht alle Angestellten gern mitdenken mögen. Manche bevorzugen klare Aufgaben, die sie der Reihe nach abarbeiten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das akzeptieren konnte.“
Neben den humanen Ressourcen gelte es aber auch, finanzielle, physische, organisatorische und technologische Ressourcen zu managen: „Als ich mich niedergelassen habe, hatten wir nicht einmal Vorbereitungskurse von der KV, wie es sie heute gibt“, erinnerte sich Schlüter. Das erforderliche betriebswirtschaftliche Know-how musste sie sich auf eigene Faust aneignen: „Ich habe Medizin studiert und hatte keine Ahnung von Vermögens- und Immobilienmanagement, Kreditwürdigkeit oder Businessplan!“ Doch letztlich wuchs sie in ihre neue Rolle hinein: „Ich habe in anderen Praxen hospitiert und mich von erfahrenen MFA an die Hand nehmen lassen, die mir erklärt haben, wie ambulante Medizin geht.“
Heute ist ihre Praxis, unterstützt durch technische Infrastruktur, transparent und strukturiert organisiert. „Im Idealfall organisiert das Team alles so, dass ich nur im Sprechzimmer sitze und den ganzen Tag nicht mehr herauskomme“, erzählte sie. Eine in ihr Praxissystem integrierte virtuelle Praxis spiegelt allen Teammitgliedern, wo sich die eingecheckten Patient*innen jeweils gerade aufhalten. „Wenn irgendwo Stau oder Leerlauf entsteht, kann also jeder sehen, wo es gerade hängt.“
Praxisführung heißt: Jonglieren mit vielen Faktoren
Dass die Arbeitsprozesse reibungslos funktionieren, ist nicht selbstverständlich. Denn die komplexe Infrastruktur ihrer Praxis mit Anmeldung, Labor, Telefonzimmer, Wartebereich, Sprechzimmer, Wundbereich, Beratungsräumen, Zweigstelle und Schulungszentrum verteilt sich an zwei Standorten in drei Häusern über mehrere Etagen und drei Server, 35 Computer, sieben Tablets, sechs Smartphones, eine Spielekonsole sowie 25 Drucker. Damit die Technik zuverlässig funktioniert, beschäftigt die Praxis mittlerweile einen IT-Experten. Obwohl sie sich in ihrer Rolle als Praxischefin mittlerweile zu Hause fühlt, findet Schlüter doch: „Man muss mit so vielen internen und externen Faktoren jonglieren, da kann einem schon mal schwindelig werden!“
Quelle: Diabetes Kongress 2024