Wie stark werden sich Private-Equity-Übernahmen auf die ambulante Versorgung auswirken?
Von Heuschrecken ist in Verbänden und Presse die Rede, von MVZ als Cashcows – die Bedrohungslage im Zusammenhang mit MVZ-Übernahmen durch Private-Equity-Unternehmen wird gerne drastisch beschrieben. Und dabei liegt sie doch eigentlich noch im Dunkeln: Weder gibt es bislang offizielle Zahlenangaben zu den Übernahmen noch abgeschlossene empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen dieser Übernahmen.
Vielleicht sind es 20 % mehr – aber genau weiß es keiner
Auch die KVen wissen es nicht besser: Wird ein Antrag auf MVZ-Zulassung gestellt, prüft die KV zwar die Gründereigenschaft der Gesellschafter und ob es sich um eine zulässige Gesellschaftsrechtsform handelt. Welche Konzerne und Finanzmittel hinter den Gesellschaftern stehen, weiß sie jedoch nicht.Einstieg der Private-Equity-Gesellschaften
- 50 MVZ/Arztpraxen mit 4100 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*
- 48 Pflegeeinrichtungen mit 36.953 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*
- 27 Krankenhäuser mit 24.756 Beschäftigen wurden in den letzten fünf Jahren von Private-Equity-Gesellschaften übernommen*
* Die Zahlen geben an, in viele medizinische Einrichtungen einer bestimmten Art zwischen 2013 und 1. Hj. 2018 Private-Equity-Gesellschaften eingestiegen sind. Quelle: Übernahmen durch Private Equity im deutschen Gesundheitssektor, s.o.
Muss der Patient wissen, wer seinen Arzt bezahlt?
Apropos Transparenz: Müsste nicht in Zeiten des aufgeklärten Patienten auch dieser informiert werden, dass der Arzt, der ihn gerade behandelt, von einem Finanzinvestor bezahlt wird? Immerhin redet man von Umsatzanreizen in Kaufverträgen im sechsstelligen Bereich. Andererseits werden Anreize dieser Art auch einem Chefarzt im Krankenhaus geboten. Und mehr Selbstzahlerleistungen steigern nicht nur in kapitalgeführten Unternehmen den Umsatz, sondern in jeder betriebswirtschaftlich orientierten Arztpraxis.Der weitere Anstieg ist für die Studienautoren absehbar
Dr. Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule, der gerade eine Studie veröffentlicht zu den quantitativen und qualitativen Dimensionen von Private-Equity-Investments in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft2, fordert eine differenzierte Diskussion der aktuellen Entwicklung ein. Auch wenn seine Studie die Zahlen der Übernahmen bislang nur bis zur ersten Jahreshälfte 2018 gesichert erfasst hat, sei doch bereits absehbar, dass sich der Übernahmetrend in der zweiten Jahreshälfte – und zwar eher verstärkt – fortsetzen wird. Die Auswirkungen der Übernahmen seien dabei noch nicht absehbar, da die Unternehmen jetzt erst ihre Aktivitäten entfalten würden. „Was die aktuelle Diskussion anheizt, ist, dass Investoren in ein solidarfinanziertes System eingreifen. Richtig ist zwar auch, dass dabei in kapitalintensiven Bereichen investiert wird. Auf lange Sicht droht aber ein Renditeabzug zulasten der Beitragszahler und ein System, dass von großen und auf Rendite getrimmten Gesundheitskonzernen bestimmt wird“, so Dr. Scheuplein.Was versteht man unter ...?
Quelle: Rainer Bobsin (nähere Angaben s.o.)
BMVZ: Debatte versachlichen mit mehr Transparenz
Doch noch sind diese dunklen Bilder unbelegt – es fehlen die entsprechenden Untersuchungen. Beschwerden aus Patientensicht seien ihr keine bekannt, sagt Susanne Müller vom BMVZ, dem Bundesverband der MVZ. Als gemeinnütziger Verein würde der BMVZ das Gesamtsystem im Auge haben. Und nach ihrer Erfahrung teile sich die Spreu vom Weizen nicht über das Kriterium „kapitalgeführt“, sondern über „langfristiges oder kurzfristiges Interesse“. Aber das größte Problem sei zurzeit ein „beklagenswertes Nichtwissen“ über die Fakten. Das sei die Grundlage, auf der sich das aktuelle unheilvolle Raunen über „böse“ Finanzinvestoren ausbreiten könne. Richtig, Unwissen lässt falsche Schlüsse ziehen. Würde man zum Beispiel die (unbestätigte) Zahl der einzelnen Private-Equity-MVZ (2017: 420) in Relation zu MVZ generell setzen (in 2017 rund 2800 zzgl. ca. 450 Zahn-MVZ), käme man auf einen bemerkenswerten Anteil von etwa 13 %. Das sei aber eine falsche Perspektive, unterstreicht Bobsin. Denn so beachtlich die starke Zunahme von Private-Equity-Übernahmen auch sei: „In Relation zur Zahl der Arztpraxen in Deutschland sind 500 MVZ nicht viel. Und erst recht nicht im Vergleich zum Pflegebereich oder zu anderen Ländern.“ Der richtige Bezugsfaktor sei wohl die Anzahl der Ärzte, die in Private-Equity-Unternehmen arbeiten. Doch die kann aktuell offensichtlich niemand aus den zugänglichen Angaben recherchieren.1 Rainer Bobsin: Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland, 20 Jahre Private Equity – eine Bestandsaufnahme. 4. erweiterte und aktualisierte Aufl., 104 Seiten, Febr. 2019, ISBN 978-3-945447-23-9, www.offizin-verlag.de/Autoren- A-F/B/Bobsin-Rainer
2 Christoph Scheuplein, Michaela Evans, Sebastian Merkel: Übernahmen durch Private Equity im deutschen Gesundheitssektor. Eine Zwischenbilanz für die Jahre 2013 bis 2018. Discussion Paper 19/01. Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen