Medfluencer Zwischen Wissen und Werbekampagne

e-Health , Apps und Internet Autor: Isabel Aulehla

Ärzte als Influencer, sogenannte Medfluencer, sind auch für Krankenkassen und Pharmaunternehmen als Werbegesichter von Interesse. Ärzte als Influencer, sogenannte Medfluencer, sind auch für Krankenkassen und Pharmaunternehmen als Werbegesichter von Interesse. © Video_StockOrg – stock.adobe.com

Ärzte erreichen auf Instagram, TikTok und YouTube mit aufklärenden und witzigen Videos Millionen von Menschen. Aufgrund ihrer Beliebtheit versuchen Pharmafirmen und Krankenkassen, sie als Werbepartner zu gewinnen. Das ist zwar lukrativ, aber ein Drahtseilakt. 

Wenn ein angehender Hausarzt erklärt, wofür die verschiedenen Farben von Rezepten stehen, wie viele Menschen interessiert das? Mehr als eine Million. „Ich war überrascht, dass Medizincontent so eine Reichweite erzielt“, berichtet David ­Reckers. Der 26-Jährige begann vor etwa einem Jahr, Kurzvideos auf Instagram und TikTok zu posten. Schnell gewann er über 265.000 Follower. Allerdings ist das nur eine Nebentätigkeit. Er absolviert das zweite Weiterbildungsjahr zum Facharzt für Allgemeinmedizin, will später die Praxis von seinem Vater übernehmen.

Als „der.hausarzt“ klärt er in seinen Videos schon jetzt über medizinische Fragen auf, die ihm in Praxis und Klinik begegnen. Was hat es mit weißen Flecken auf den Fingernägeln auf sich? Und was muss man über Chol­esterin wissen? Auch witzige Inhalte kommen bei den Followern gut an. Beispielsweise parodiert Reckers überorganisierte Patienten und ihr Anspruchsdenken. Im Format „Flachwitz Challenge“ sitzen sich zwei Ärzte mit Wasser im Mund gegenüber, ein Dritter liest Medizin-Witze vor. Ziel ist es, das Gegenüber nicht zu bespucken. Meist spucken beide. 

Mit dabei ist oft Jonas Köller. Er steht vor dem zweiten Staatsexamen, pausiert sein Studium aber, um hauptberuflich Social-Media-Content ­erstellen zu können. Er gestaltet unter anderem den Online-Auftritt einer Klinik und tritt auf TikTok für die AOK auf. Er hat sogar ein eigenes Management, das Anfragen verwaltet. Mit kreativen und lockeren Inhalten möchte er zeigen, dass „Medizin nicht nur konservativ ist“. 

Tabuisierte Themen funktionieren gut

Eine hohe Nachfrage besteht auch bei Inhalten zu gesunder Ernährung sowie tabuisierten Magen-Darm-Themen. Auf solche Fragen geht Dr. Luisa Werner ein, Ärztin in Weiterbildung. Die 27-Jährige begann mit dem Dreh, weil sie selbst im Studium unter einem Reizdarm litt und andere Betroffene informieren wollte. In ihren Videos gibt sie z.B. Tipps dazu, welche Produkte sich beim Einkaufen leicht durch gesündere ersetzen lassen und wie die Ernährung bei Morbus Crohn aussehen sollte. Langfristig möchte sie in die Niederlassung, auch den hausärztlichen Bereich kann sie sich vorstellen. 

Hausarzt und MT-Kolumnist S­ebastian Alsleben produzierte sein erstes Video, um Patienten Übungen für den Rücken zu vermitteln. „Vorher konnte ich nur einen Flyer mitgeben, da war die Compliance gleich null“, begründet er. Heute erreicht er auf Instagram und TikTok etwa 33.000 Abonnenten

Alle vier Medfluencer berichten begeistert davon, wie viel Spaß es ihnen macht, zu medizinischen Themen aufzuklären. Dabei fällt ihnen die Produktion der Inhalte neben Klinik und Praxis zeitlich nicht leicht. Reckers verwendet etwa zwei bis drei Stunden täglich für seine Inhalte. Alsleben sitzt in den späten Abendstunden daran. Und Dr. Werner legt Content-Tage ein, an denen sie bis zu sieben Stunden lang fokussiert an den Inhalten arbeitet.

„Ganz uneigennützig ist das natürlich nie“, meint Alsleben. „Ich freue mich über das nette Feedback.“ Manchmal haben die Videos sogar einen gesellschaftlichen Effekt. Im Video „Komm nicht in die Notaufnahme, wenn ...“ erklärt der Hausarzt zusammen mit Köller, bei welchen Anliegen die Notaufnahme die falsche Anlaufstelle ist. Es wurde mehrere Millionen Mal angesehen und hat möglicherweise die eine oder andere Notaufnahme entlastet.

Manche Patienten, die nicht wissen, wohin oder die nicht auf Termine warten möchten, erhoffen sich von den Medfluencern Hilfe. In Direktnachrichten schildern sie ihre Krankheitsgeschichte, schicken Befunde, Laborwerte und Bilder. Für die Ärzte ist das heikel. Sie verweisen auf das Fernbehandlungsverbot, gehen nur allgemein auf Fragen zu Krankheitsbildern ein und empfehlen im Zweifel, eine Arztpraxis aufzusuchen. 

Auch Pharmafirmen und Krankenkassen haben Influencer für sich entdeckt. In den Postfächern sammeln sich jede Woche etliche Anfragen für Produktwerbung oder Aufklärungskampagnen. Doch mit der Monetarisierung ihrer Social-Media-Auftritte halten sich die Mediziner zurück – die Berufsordnung und das Heilmittelwerbegesetz schränken Werbung durch Ärzte stark ein.

Krankenkassen suchen seriöse Gesichter

Auch den Krankenkassen sind Medfluencer willkommen. So produziert Alsleben ab dem kommenden Jahr Aufklärungsvideos für die Barmer. Was die Kassen sich von Medfluencern erhoffen, beschreibt die AOK Plus auf Anfrage: „Influencer können unseren Auftrag zur Aufklärung zu relevanten und aktuellen Gesundheitsthemen und unsere Markenbotschaft verstärken.“ Man schenke ihnen außerdem eine höhere Glaubwürdigkeit als den Kassen selbst. Derzeit mache die Sparte aber nur einen kleinen Teil des Marketingbudgets der AOK Plus aus, weil man prinzipiell keine „A-Promis“ anfrage. Die Auswahl trifft die Kasse vorsichtig. Man analysiere, suche aktiv in den sozialen Medien und lasse sich beraten. „Vor einer Zusammenarbeit werden Influencer intensiv hinsichtlich fachlicher Expertise, ihrem Verhalten und ihrer Werte geprüft.“ Eine hohe Zahl von Kooperationen gelte dabei als weniger glaubwürdig.

Umso mehr überrascht es die Influencer, dass sie durchaus auch Anfragen für Medizinprodukte oder Verschreibungspflichtiges bekommen. Beispielsweise wurde Reckers bereits für Medizinalcannabis angefragt. „Ich frage mich, ob die Unternehmen wirklich unwissend sind, oder ob sie bewusst versuchen, Ärzte hineinzulocken und es ist ihnen egal“, so der 26-Jährige. Für eine Kooperation mit Pharmaunternehmen kann er sich höchstens Disease-Awareness-Kampagnen vorstellen. Einzelne Videos hat er z.B. bereits mit Sanofi gemacht.

Werbung für medizinische Produkte geht nur indirekt

Die Werbung für verschreibungspflichtige Präparate sei ein „Balanceakt“, bestätigt Dr. Martin Waitz. Er ist Arzt und Geschäftsführer der Agentur Medproduction, die Inhalte für Unternehmen im Gesundheitsbereich erstellt und dabei auch mit Influencern zusammenarbeitet. Man könne höchstens Aufklärungsvideos über eine Indikation produzieren und dabei auf den Wirkstoff eingehen, der zur Behandlung genutzt wird. Soll also ein Betablocker beworben werden, bietet sich ein Video zu einer Herzerkrankung an. Eventuell könne man noch auf eine Homepage verlinken, die über die Erkrankung aufklärt. Aber das war’s.

Grundsätzlich beobachtet Dr. Waitz einen hohen ethischen Anspruch bei Medfluencern. „Sie lassen sich nichts in den Mund legen, wofür sie nicht stehen.“ Manche Ärzte seien allerdings so begeistert von bestimmten Präparaten, dass sie gerne bereit seien, im Rahmen des rechtlich Möglichen Werbung zu machen.   

Die Skripte für die Videos erstellt Medproduction. Sie werden Influencern fertig zur Verfügung gestellt und sind mit dem jeweiligen Unternehmen abgestimmt. Trotzdem haben die Ärzte kreativen Freiraum, wenn sie möchten. Die Agentur vermittelt zwischen ihrem und dem Kundenwillen. Je nachdem, ob eine Firma eher trocken oder witzig wirken möchte, schlägt die Agentur andere  Personen vor. Wenn es um emotionalen Inhalt geht, sind auch Patienteninfluencer geeignet. Sie können Einblick in die Erkrankungsbewältigung geben und Stigmatisierung abbauen. 

Wie viel Geld Ärzte als Werbepartner verdienen können und wie groß der Verhandlungsspielraum mit den Firmen ist, hänge von ihrer Reichweite und dem Produktionsaufwand der Videos ab, erklärt Dr. Waitz. Der Tagessatz großer Influencer, die schon länger im Markt seien, sei fünfstellig.  Reckers schätzt, dass sich mit einem einzelnen Video etwa 500 bis 4.000 Euro verdienen lassen. 

Relativ bereitwillig und blauäugig werben einzelne Medizinstudierende in den sozialen Medien für Produkte. Da sie noch keine Ärzte sind, gelten viele Beschränkungen für sie nicht. Manche von ihnen halten ein Nahrungsergänzungsmittel nach dem anderen in die Kamera und behaupten, sie seien medizinisch sinnvoll. Neben den Supplementherstellern sei auch  die Beauty-Industrie besonders an den Studierenden interessiert, so Dr. Waitz. Man versuche, Produkten einen medizinischen Anschein zu verleihen. Er rät grundsätzlich von dieser Form der Werbung ab. Die Medizinstudierenden würden ihre spätere Seriosität als Ärzte verspielen, wenn sie offensichtliche Werbeparolen wiedergeben.

Alsleben und Köller beantworten medizinische Fragen. Alsleben und Köller beantworten medizinische Fragen. © Screenshots Instagram, 2.11.23
Köller und Reckers stellen sich der Flachwitz Challenge. Köller und Reckers stellen sich der Flachwitz Challenge. © Screenshots Instagram, 2.11.23
Dr. Werner klärt über Gastritis auf. Dr. Werner klärt über Gastritis auf. © Screenshots Instagram, 2.11.23
Reckers pa­rodiert Hausarzttypen. Reckers pa­rodiert Hausarzttypen. © Screenshots Instagram, 2.11.23